Süddeutsche Zeitung

Befangenheitsantrag im NSU-Prozess:Scharmützel um drei Buchstaben

Darf man vom "NSU"-Prozess sprechen - oder ist das schon eine Vorverurteilung? Weil der Aktenordner eines Richters die Beschriftung "NSU" trägt, stellen Beate Zschäpes Anwälte einen Befangenheitsantrag. Wieder mal geht es in München erst an zweiter Stelle um die Aufklärung einer Mordserie.

Aus dem Gericht von Tanjev Schultz

Darf man vom "NSU" sprechen? Seit Monaten läuft der sogenannte NSU-Prozess, doch nun bietet dieses Kürzel, das für "Nationalsozialistischer Untergrund" steht, plötzlich Anlass für einen Befangenheitsantrag gegen einen Richter. Wolfgang Heer, der Verteidiger von Beate Zschäpe, begründet den überraschenden Antrag: Einer der beisitzenden Richter sei kurz vor Verhandlungsbeginn am Mittwoch mit einer Akte in den Gerichtssaal gekommen. Der Ordner sei beschriftet gewesen mit "HV NSU", wobei HV im Juristendeutsch für "Hauptverhandlung" steht. Heer hält das für eine "massive Vorverurteilung" seiner Mandantin. Denn die Existenz einer terroristischen Vereinigung namens NSU müsse ja erst erwiesen werden.

Ist das nun eine besonders seltsame Spitzfindigkeit oder ein notwendiges Einfordern richterlicher Unvoreingenommenheit? Zschäpes Mitangeklagte André E. und Ralf Wohlleben schließen sich prompt dem Antrag an, über den der Senat allerdings nicht sofort entscheiden wollte.

Die Bundesanwaltschaft gab bereits eine Stellungnahme ab und ließ erkennen, dass sie den Antrag offenbar nur für ein juristisches Mätzchen hält: Bei "vernünftiger" Würdigung handle es sich bei der Beschriftung "HV NSU" lediglich um eine schlagwortartige Bezeichnung des Prozessgegenstands. Im Prozess gehe es nun mal um die Gründung und das Bestehen der Vereinigung NSU. Die Bezeichnung findet sich unter anderem in dem Bekennervideo der Neonazis, das in der Wohnung in Zwickau gefunden und an Vereine und Verlage verschickt worden war.

Zeuge André K. bleibt vage und provoziert

Nach dem längeren Hin und Her um den Befangenheitsantrag setzt der Vorsitzende Richter Manfred Götzl ungerührt die Befragung des Zeugen André K. fort. André K. war einmal ein Vertrauter und Freund der Neonazis aus Jena, die dann im Untergrund verschwanden. Ein bundesweit führender Neonazi hat einmal gesagt, K. sei eigentlich eine "Karikatur". Man brauche nur Minuten, bis André K. einem unsympathisch sei. Das stellt der vor Gericht auch erstaunlich zuverlässig unter Beweis. Der 38-jährige, bullige Mann hat Beate Zschäpe und ihre Freunde noch nach deren Flucht unterstützt. Aber Konkretes ist ihm kaum zu entlocken, er bleibt in allem vage, redet sich heraus, beruft sich auf Lücken in seiner Erinnerung.

Dass André K. sich mitunter devot gibt und mehrmals seine Sätze einleitet mit der Wendung: "Nehmen Sie es mir nicht übel, aber. . .", macht seinen Auftritt nur noch provozierender. Mit Namen habe er ohnehin Probleme, und leider sei das Ganze ja nun auch schon lange her.

Für Zschäpe und ihre Freunde wollte er gefälschte Pässe organisieren, bekam dann aber nur Blanko-Dokumente ohne Lichtbilder und ohne Daten. Die näheren Umstände der Aktion sind dem Zeugen nicht zu entlocken. Eine Neuigkeit gibt er jedoch gleich zu Beginn preis: Er behauptet, sich mit Uwe Böhnhardt getroffen zu haben, während im Januar 1998 jene Razzia lief, die der Auslöser war für das Untertauchen des Neonazi-Trios. Angeblich rief Böhnhardt seinen Freund an, nachdem die Polizei gekommen war. Böhnhardt soll zu André K. noch gesagt haben, er werde mit dem Auto türmen, sobald sich dazu eine Gelegenheit biete.

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SZ vom 06.02.2014/dmo
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