Beerdigung von Margaret Thatcher:Verehrt, verdammt, bis in den Tod

Man solle die Tote als Menschen würdigen, nicht als Politikerin, sagt Londons Bischof Chartres in seiner Trauerrede. Aber geht das bei Margaret Thatcher? Der Abschied von der ehemaligen Premierministerin steht im Zeichen der Frage: Hat die "Eiserne Lady" ihr Land modernisiert oder gespalten?

Von Christian Zaschke, London

Um ein Uhr mittags deuteten vor St. Paul's Cathedral nur noch die dröhnenden Reinigungswagen darauf hin, dass hier eben eine Großveranstaltung stattgefunden hat. Genauer: die größte Trauerfeier für einen britischen Politiker seit knapp 50 Jahren. Mit einem zeremoniellen Begräbnis hat Großbritannien am Mittwoch Abschied genommen von Margaret Thatcher, die von 1979 bis 1990 an der Spitze einer konservativen Regierung gestanden hatte. Es war eine große, eine würdevolle Feier, und so unnachahmlich die Briten darin sind, eine solche Veranstaltung mit Glanz und Gloria auszurichten, mit pomp and circumstance, so gut sind sie auch darin, im Handumdrehen alle Spuren des Geschehens zu beseitigen.

Knapp zwei Meilen weiter, in Westminster, wo der Trauerzug begonnen hatte, waren um ein Uhr die Absperrgitter längst wieder verschwunden, der Verkehr floss, die Touristen fotografierten Big Ben. Zwei Stunden lang war London die Bühne gewesen für ein Begräbnis, über das hitzig debattiert worden war. Zwei Stunden lang waren die Straßen bevölkert von Tausenden Zuschauern, zwei Stunden lang erklangen Salutschüsse und Trauermusik, es brandete Beifall auf, es wurde ein wenig gebuht - und nun herrschte wieder Londoner Alltag. Fast wirkte es, als wäre die pompöse Trauerfeier für Margaret Thatcher, die am Montag vergangener Woche im Alter von 87 Jahren gestorben war, nur ein Traum gewesen.

Doch dieser Eindruck war allein der britischen Effizienz geschuldet, die niemals größer ist als in Momenten der öffentlichen Feier. Bereits am Montag hatten die Militärs noch vor Sonnenaufgang den Ablauf geprobt. Am Mittwoch wichen sie keinen Millimeter, keine Sekunde vom Protokoll ab. Um Punkt zehn Uhr setzte sich der Leichenwagen mit dem Sarg vor den Houses of Parliament in Westminster in Bewegung. Begleitet von einer Motorradstaffel fuhr er gemessenen Tempos durch das Regierungsviertel in Whitehall. Um 10.01 passierte er die Downing Street, in der Thatcher länger als jeder andere Premierminister des 20. Jahrhunderts regiert hatte. Drei Wahlen hat sie gewonnen, und dass sie ihr Amt 1990 aufgeben musste, lag nicht daran, dass sie vom Volk abgewählt wurde, sondern daran, dass ihre engsten Parteifreunde sie zum Rücktritt gedrängt hatten.

Die kleine Prozession passierte den Trafalgar Square und erreichte die Kirche St. Clement Danes auf der Straße The Strand. Dort wurde gebetet. Anschließend luden Militärs aller Waffengattungen den in eine britische Flagge gehüllten Sarg auf eine Lafette. Auf dem Sarg lag weißer Blumenschmuck, in dem eine schlichte Karte mit einer Aufschrift steckte: "Geliebte Mutter, immer in unseren Herzen." Thatcher hinterlässt zwei Kinder, Mark und Carol.

Polizisten sichern die Würde des Begräbnisses

4000 Polizisten waren im Einsatz, nach dem Anschlag auf den Marathonlauf in Boston waren die Sicherheitsvorkehrungen noch einmal erhöht worden. Zudem hatten die Polizisten sich auf Proteste eingestellt, denn Thatcher hat das Land gespalten wie kein Politiker vor und nach ihr. Die offizielle Leitlinie lautete: Gemäßigter Protest sollte geduldet werden; wenn jedoch die Würde des Begräbnisses gestört würde, sollte die Polizei eingreifen.

***BESTPIX*** The Ceremonial Funeral Of Former British Prime Minister Baroness Thatcher

700 Soldaten begleiteteten den Sarg von Margaret Thatcher: Hier kommt der Sarg an der St. Pauls Kathedrale an. 

(Foto: Getty Images)

Um 10.33 Uhr setzte die Lafette, gezogen von sechs schwarzen Pferden, sich in Bewegung. Seit dem frühen Morgen hatten Zuschauer an der Strecke ausgeharrt, um einen guten Blick aufs Geschehen zu haben. Genau 19 Minuten, so sah es das Protokoll vor, sollte die Fahrt bis zur St. Paul's Cathedral dauern. 700 Militärs begleiteten den Sarg, sie gingen in einer Geschwindigkeit von 70 Schritten pro Minute. Keinen mehr, keinen weniger. Während jeder Minute, in der die Lafette unterwegs war, wurde ein Salutschuss abgefeuert.

Anders als Winston Churchill im Jahr 1965 erhielt Thatcher kein Staatsbegräbnis. Das sogenannte "zeremonielle Begräbnis" unterscheidet sich jedoch lediglich in Nuancen vom Staatsbegräbnis - zum Beispiel darin, dass Thatcher mit lediglich 19 statt wie Churchill mit 21 Salutschüssen geehrt wurde. Die Kosten für die Trauerfeier hat die Regierung mit knapp zehn Millionen Pfund angegeben. Das hatte ebenso zu Kritik geführt wie die große Präsenz des Militärs. Mit militärischen Ehren werden traditionell hochrangige Mitglieder der Königsfamilie beerdigt, Politiker jedoch nicht.

"In gewisser Weise sind wir heute alle Thatcheristen."

Premierminister David Cameron hatte das Ausmaß der Trauerfeier am Mittwochmorgen verteidigt. Im Interview mit der BBC sagte er, es handele sich um die gebotene Ehrerbietung vor einer Person von großer nationaler Bedeutung. "Ich glaube, andere Länder der Welt würden denken, Großbritannien macht da etwas grundlegend falsch, wenn wir diesen Anlass nicht angemessen würdigen." In einer durchaus provokanten Wendung fügte er an: "In gewisser Weise sind wir heute alle Thatcheristen."

Dieser Aussage würden wohl einige Millionen Menschen im Land widersprechen. Seit gut einer Woche wird in Großbritannien über das politische Erbe Thatchers gestritten, es ist eine vehement geführte Debatte. Während ihre Anhänger Thatcher als "Retterin des Landes" preisen, die Großbritannien wieder stolz und wettbewerbsfähig gemacht habe, verdammen ihre Gegner sie als Begründerin der neuen sozialen Kälte, die Gier und Egoismus zu Tugenden erhoben habe.

Bewertungen, die sich zwischen diesen Extremen ansiedeln, gibt es kaum. Bemerkenswert ist, wie unversöhnlich sich beide Lager noch immer gegenüber stehen - und überdies, dass die Diskussion von jüngeren Menschen mindestens ebenso aktiv geführt wird wie von jenen, die Thatchers Amtszeit als Erwachsene erlebten.

Überschaubare Proteste

Der Protest an der Strecke war dennoch überschaubar. Am Ludgate Circus, kurz vor St. Paul's, hatten sich knapp 100 Demonstranten versammelt. Sie hielten Plakate mit der Aufschrift "Ruhe in Schande" in die Höhe. Als der Sarg vorbeigefahren wurde, wandten sie diesem den Rücken zu und riefen: "Maggie, Maggie, Maggie - tot, tot, tot." Die übrigen Zuschauer versuchten, die Rufe mit Beifall zu übertönen.

Um 11 Uhr wurde der Sarg in die Kathedrale getragen. Dort hatten sich laut offiziellen Angaben 2300 Gäste aus mehr als 170 Ländern versammelt, darunter Königin Elisabeth II. und ihr Mann Prinz Philip. Thatchers Enkelin Amanda und Premierminister Cameron trugen Verse aus der Bibel vor, der Bischof von London, Richard Chartres, hielt die Trauerrede. Er sagte: "Nach dem Sturm eines Lebens, geführt in der Hitze des politischen Gefechts, herrscht nun große Ruhe. Die Beerdigung von Margaret Hilda Thatcher ist nicht die Zeit für eine Debatte über ihr Vermächtnis."

Chartres hielt eine gute Trauerrede. Ausdrücklich wollte er die Politik aus der Kirche halten, er schlug stattdessen einen bisweilen leichten Ton an. Er erwähnte, wie ihn Thatcher bei einem Empfang einmal beim Handgelenk gegriffen und gesagt habe: "Rühren sie die Entenpastete nicht an, Bischof! Die macht dick." Heiterkeit wogte durch das Schiff der Kathedrale, und Finanzminister George Osborne war von all dem so bewegt, dass er weinte. Chartres sagte: "Nun, da sie hier liegt, ist sie eine von uns. Sie teilt das gemeinsame Schicksal aller Menschen." Im Anschluss an die Feier wurde der Sarg im Leichenwagen ins Royal Hospital in Chelsea gebracht. Dort sollte der Leichnam Margaret Thatchers am Abend im kleinsten Kreise der Familie eingeäschert werden.

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