Bedrohung durch al-Qaida:"Wir sind explizites Feindesland"

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An diesem Donnerstag läuft Osama bin Ladens Ultimatum an Europa für einen Waffenstillstand ab. In Deutschland rechnen Sicherheitsbehörden und Terrorexperten zwar nicht unmittelbar mit einem Anschlag. Doch vieles deutet darauf hin, dass al-Qaida bald wieder zuschlagen wird.

Von Michael Nienaber

Die deutsche Übersetzung des fragwürdigen Angebots war fehlerfrei: Im April bot der Terroristen-Anführer Osama bin Laden Europa in einer Tonbandnachricht einen Waffenstillstand an.

Mit den Anschlägen in Madrid traf der Terror von al-Qaida erstmals Europa. (Foto: Foto: dpa)

Erstmals wurde dabei die Botschaft auch in deutscher Sprache verbreitet.

Binnen drei Monaten, so die Forderung des Moslem-Extremisten, sollten die Deutschen und die übrigen Europäer ihre Rolle in der internationalen Politik überdenken und ihre Truppen aus Afghanistan und Irak abziehen.

Als Gegenleistung werde al-Qaida auf künftige Anschläge in Europa verzichten, so die Offerte. Doch Bundeskanzler Gerhard Schröder lehnte Verhandlungen mit der Terrororganisation kategorisch ab - wie seine übrigen Kollegen in Europa auch. Nun ist die Frist abgelaufen.

Die Niederlande kündigten am Wochenende an, ihre Sicherheitsvorkehrungen aus Sorge vor Anschlägen zu erhöhen. Holland hat im Irak rund 1300 Soldaten stationiert. Deutschland ist mit knapp 2000 Soldaten in Afghanistan im Einsatz.

BND: Keine automatische Verschärfung der Sicherheitslage

Die deutsche Bundesregierung sieht offiziell keine Verschärfung der Sicherheitslage. Dafür gebe es keine Erkenntnisse, sagte ein Sprecher von Bundesinnenminister Otto Schily in Berlin. Die Sicherheitsmaßnahmen seien bereits auf einem sehr hohen Niveau.

Auch der Bundesnachrichtendienst (BND) sieht zunächst keine Veränderung der Bedrohung. "Das Auslaufen des Ultimatums bedeutet nicht automatisch eine Verschärfung der weltweiten Sicherheitslage", sagte eine Sprecherin des BND auf Anfrage von sueddeutsche.de.

Doch in deutschen Sicherheitkreisen und bei Terrorexperten besteht kein Zweifel an der Entschlossenheit von Osama bin Laden. "Er hat den Waffenstillstand für drei Monate angeboten und diese Frist wird er halten, denn er will seine Glaubwürdigkeit nicht verlieren", sagte Terrorismusexperte Mohammed Darif dem ZDF.

Darif ist sich daher sicher, dass es nach Ablauf der jüngsten Frist von Osama bin Laden zu Terroranschlägen kommen wird.

In seiner ZDF-Dokumentation "Al Qaida 2004 - das Netzwerk des Terrors in Europa" kommt der TV-Journalist Elmar Theveßen zu dem beunruhigenden Fazit, dass ab Mitte Juli mit schweren Anschlägen der Terrororganisation Al-Qaida in den USA und Europa zu rechnen ist. "Bin Laden muss und will glaubwürdig bleiben", sagte Theveßen zu sueddeutsche.de.

In den nächsten Tagen ist nach Ansicht von Insidern zwar nicht direkt mit einem Anschlag in Deutschland zu rechnen. "Al-Qaida will alles, aber bloß nicht berechenbar sein", erklärte Kai Hirschmann vom Institut für Terrorismusforschung in Bonn im Gespräch mit sueddeutsche.de.

Terror-Experte: "Nächster Anschlag nur eine Frage der Zeit"

Das auslaufende Ultimatum sei vor allem als Instrument zu verstehen, um einen Keil zwischen die westlichen Länder und in das transatlantische Bündnis zu treiben. Gleichzeitig warnte Hirschmann davor, dass Terrorzellen die Videobotschaft vom April als Signal zu neuen Anschlägen verstehen könnten.

"Deutschland ist spätestens seit dem Djerba-Anschlag vom April 2002 explizit zum Feindesland erklärt worden", so Hirschmann. Daran habe auch die ablehnende Haltung der rot-grünen Bundesregierung zum Irak-Krieg nichts geändert.

Es bestehe also ungeachtet des auslaufenden Al-Qaida-Ultimatums für die innere Sicherheit in Deutschland eine permanente Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus, so Hirschmann. "Es ist nur eine Frage der Zeit."

Das ZDF sendet an diesem Donnerstag um 22.15 Uhr die Dokumentation "Al Qaida 2004 - das Netzwerk des Terrors in Europa" von Elmar Theveßen.

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