Das deutsche Berufsbeamtentum ist im Lauf seiner Geschichte mit einer Reihe von Adjektiven belegt worden: bewährt, verdient, reaktionär, belastet, bürokratisch. Das Wort humorvoll war selten dabei, bis 2003 die Ära Peter Heesen begann (die bis 2012 dauerte). Der Krefelder war in der Tat von so frohsinnigem Wesen, wie man es dem Rheinland gern nachsagt, und vermochte als Chef des mächtigen Deutschen Beamtenbundes die ganze Misere der staatlichen Überbürokratisierung mit einem kleinen Gleichnis auf den Punkt zu bringen: „Da soll ein neues öffentliches Schwimmbad gebaut werden. Die Sicherheitsvorschriften verlangen: raue Kacheln.“ Denn: Sonst könnte der Badegast ausrutschen und bös zu Fall kommen, und wer bitte haftet dann? „Die Hygieneregeln schreiben aber vor: glatte Kacheln.“ Denn: Andernfalls könnten sich Schimmel und Schmodder in den Kacheln einnisten, und was würde das Gesundheitsamt dann sagen? „Und da sitzt der zuständige Beamte also an seinem Schreibtisch“, so Heesen, „und fragt sich: Was nun?“
Schöner konnte man die Haltung kaum ausdrücken, dass nicht der Beamte schuld an der Bürokratie ist, sondern diese ihn zwingt, wie ein Bürokrat zu handeln. Derlei Heiterkeit ist den aktuellen Debatten über steigende Pensionslasten und über die Frage, ob Beamtinnen und Beamten wie andere Bürger auch in die Rentenkassen einzahlen sollen, weitgehend fremd. Gestritten wird über „Privilegien“ der Beamtenschaft freilich, seit es diese gibt. Verteidiger des herkömmlichen Status der Staatsdiener verteidigen deren Unkündbarkeit und eben die Pensionen mit dem Verweis auf das, siehe oben, bewährte deutsche Berufsbeamtentum oder, wie es 1949 ins Grundgesetz geschrieben wurde, auf dessen „hergebrachte Grundsätze“ wie Treuepflicht, Verlässlichkeit, Kompetenz.
Das deutsche Berufsbeamtentum ist Folge einer Modernisierung
Das deutsche Berufsbeamtentum ist Folge einer Modernisierung, die Ende des 18. Jahrhunderts begann und sich unter dem Eindruck der Französischen Revolution 1789 und der Herrschaft Napoleons in Europa deutlich beschleunigte, besonders in der Vormacht Preußen. Schon Friedrich der Große hatte 1777 deklariert: „Er (der König; Anm. d. Red.) ist nur erster Diener des Staates, verpflichtet, mit Rechtschaffenheit, mit Weisheit und mit völliger Uneigennützigkeit zu handeln.“
Ebendiese Grundsätze sollten künftig für alle Diener des Staates gelten, was eine klare Abkehr vom feudalen Herrschaftswesen war, in dem sich die großen Adelsfamilien Posten im öffentlichen Dienst sicherten und zuschacherten. Nach der Niederlage gegen Napoleon 1806 mühten sich die preußischen Reformer, eine von Unbestechlichkeit, Fachwissen, Sorgfalt und Zuverlässigkeit geprägte staatliche Elite aufzubauen, bis die Verwaltung jener „wohlgeordneten Maschine“ gleichen sollte, als die sie der Staatsrechtler August Wilhelm Rehberg schon 1807 pries. Im Gegenzug zu seiner Treue und seinem Pflichtbewusstsein durfte der Staatsdiener auf finanzielle und berufliche Sicherheit, also die väterliche Fürsorge des Monarchen zählen. An diesem Prinzip hat sich bis heute wenig geändert, außer dass die Könige dem demokratischen Rechtsstaat gewichen sind.
Allerdings entstand durch die enge Bindung an den Thron ein Problem, das bald in eine dunkle, bis heute nicht gern eingestandene Seite des Berufsbeamtentums führen sollte. Die deutsche Staatsverwaltung war professionell und sachkundig und blieb es auch im deutschen Kaiserreich von 1871 an. Doch wandelte sich die Staatsverwaltung immer weiter zu einem Herrschaftsinstrument des Kaisers und seiner Kreise, gerade unter dem unseligen Wilhelm II. Das zeigte sich dramatisch nach der Revolution von 1918, dem Aufbegehren der Soldaten und Arbeiter gegen den verhassten wilhelminischen Obrigkeitsstaat, gegen die Kriegsherren und Militaristen. Die Mehrheit der Beamten aber war aus kaisertreuen Milieus rekrutiert worden, mit voller Absicht; Reserveoffizier zu sein, war vielfach ein Einstellungskriterium für den öffentlichen Dienst geworden.
Dementsprechend dankten viele Beamte den allzu großherzigen Sozialdemokraten nicht, die 1918/19 im Rat der Volksbeauftragten nur wenige Spitzenpositionen mit Demokraten besetzten und sich ansonsten auf die Loyalität der Beamtenschaft verließen. Diese jedoch stand der Weimarer Demokratie weitgehend ablehnend gegenüber. Kein Zufall, dass diese Demokratie in Preußen, dessen SPD-Ministerpräsident Otto Braun anfangs im Apparat durchgriff und viele Republikfeinde ersetzte, bis 1932 die letzte Bastion besaß.
Die Nazis behaupteten, 1933 habe jeder zweite Beamte NSDAP gewählt. Das lässt sich nicht belegen, zeugt aber vom Ungeist in der Beamtenschaft. Die Diener verrieten ihren, den Weimarer Staat, nur um den Ring der neuen Herrscher zu küssen. Und wer das verweigerte, den warfen die Nationalsozialisten nach dem Berufsbeamtengesetz von 1933 heraus oder taten ihm noch Schlimmeres an.
Von wegen bewährt also: Nach 1945 war das Berufsbeamtentum in Deutschland aus eigener Schuld so diskreditiert wie die meisten Gesellschaftsbereiche. Die anfangs massiven Bemühungen vor allem der Amerikaner, das Personal des öffentlichen Dienstes auszutauschen, endeten bald mit Beginn des Kalten Krieges, als man die Deutschen wieder brauchte. So behielten viele und keineswegs nur kleine Funktionsträger des NS-Terrorstaats ihre Beamtenstellen. Der Bundestag verabschiedete 1951 auch noch das „131er-Gesetz“, das Kritiker zu Recht als kalte Amnestie für alte Nazis in den Ämtern bezeichneten.
Erst als diese Generation ausschied, wurde das deutsche Beamtentum den eigenen Ansprüchen gerecht. Die Debatte aber, ob so viele Staatsdiener wirklich verbeamtet werden müssten, etwa die zahlreichen Lehrerinnen und Lehrer, ob das Beamtentum ein Hemmnis von gestern ist oder ein fortwährender Segen, ob die Beamten zu viele Vergünstigungen genießen oder nicht, die wird gewiss noch lange weitergehen.