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Söder und Tirol:So können nur bayerische Politiker mit Österreichern umgehen

Es hat seine Gründe, warum bayerische Politiker wie der CSU-Chef gegen den südlichen Nachbarn immer etwas sticheln. Die Geschichte dieses Konflikts reicht zurück bis 1156. Und sie ist sehr kriegerisch.

Kommentar von Rudolf Neumaier

Der bayerische Ministerpräsident bezeichnet die Österreicher weiterhin als Freunde. Glimmt also noch ein Fünkchen Zuneigung zu den südlichen Nachbarn? Die Deutschen, vornedran die Bayern, sind schlecht auf die Österreicher zu sprechen, Markus Söder prophezeit sogar "langfristige Verwerfungen" wegen der Verkehrspolitik der Tiroler. Seine Landsleute bittet er, Urlaube lieber in Bayern zu verbringen, im "klimasensibleren" Berchtesgaden zum Beispiel. Was immer das heißen soll - für die Skilehrer und Kellner im Land, deren Gäste mit Abstand am häufigsten aus Deutschland kommen, klingt das nach Boykottaufruf und Söders Freundschaftsbeschwörung wie eine Warnung: "Passt auf, Freundchen, gleich fällt der Watschnbaum."

So können nur bayerische Politiker mit Österreichern umgehen. Bei allen anderen Deutschen ist mehr Distanz zu den Österreichern gewachsen, mehr Respekt. Peinlich sind allenfalls Niederlagen im Fußball. Als besonders bitter werden sie jedoch im Grenzgebiet empfunden, in Bayern. Denn der Bayer hegt mal offener, mal latenter einen Überlegenheitswahn gegenüber den Österreichern, der darauf fußt, endlich zu einem größeren und vor allem stärkeren Land zu gehören und so zu dominieren, wie die Österreicher andersrum über Jahrhunderte dominiert hatten.

Ressentiments wachsen genauso aus der Geschichte hervor wie bizarre Komplexe und Mentalitäten. Die Rivalität zwischen den Bayern und den Österreichern wurde 1156 bei Regensburg urkundlich besiegelt. Kaiser Friedrich Barbarossa musste aufbegehrende Fürsten zufriedenstellen, also spaltete er das Herzogtum Bayern auf: Einen Teil, die Ostmark, übergab er Heinrich Jasomirgott aus dem Geschlecht der Babenberger, Bayerns Kernland erhielt Heinrich der Löwe.

"Lieber bayerisch sterben, als kaiserlich verderben!"

Ohne diese Teilung wäre Wien womöglich heute noch bayerisch. Damit haderten die Bayern jahrhundertelang. Ihr Ur-Geschichtsschreiber Aventinus betrauerte um 1522 die Teilung als Tiefpunkt der Geschichte und Folge von "menschlicher Blödheit". Im 19. Jahrhundert beklagte Sigmund von Riezler, erster Ordinarius für Landesgeschichte in München, das Schicksal von 1156: Bayern und das aus seinem Territorium gelöste Neuherzogtum im Osten seien "in brudermörderischer Feindschaft gegeneinander getrieben worden".

Was sich zwischen Bayern und Österreichern an brudermörderischen Scharmützeln abspielte, lernen die Schulkinder hier wie dort im Geschichtsunterricht: Der Kampf von Ludwig dem Bayern, Wittelsbacher, gegen den Habsburger Friedrich den Schönen um die Kaiserkrone. Die Schlacht bei Mühldorf 1322, Ludwig siegte. Oder der Spanische Erbfolgekrieg: Ist von der Sendlinger Blutweihnacht 1705 die Rede oder von der Schlacht bei Aidenbach, wo bayerische Revoluzzer gegen die Österreicher untergingen, rufen Patrioten noch heute reflexartig: "Lieber bayerisch sterben, als kaiserlich verderben!"

All das hat das Verhältnis geprägt, von 1156 bis hin zum Streit um den Transitverkehr. Die Bayern, schreibt Riezler, "wurden Bewohner eines Binnenlandes mit einseitigerer Entwicklung und lahmerem Verkehr". Wobei es nun die Österreicher sind, die, aus Notwehr, wie sie sagen, den Verkehr am Brenner mit Blockabfertigung und Fahrverboten lähmen. Und das auch noch an diesem ersten bayerischen Sommerferienwochenende. Es wird hitziger.

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SZ vom 27.07.2019/jael
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