Bayern hat einen Ruf zu verlieren. Der Freistaat rühmt sich, das sicherste Bundesland der Republik zu sein, seine Polizei gilt als zupackend und gleichzeitig kommunikationsstark. "Liberal samma scho, aber ned bled", lautet das inoffizielle Motto der bayerischen Sicherheitspolitik. Doch einige Vorfälle aus jüngster Zeit nähren Zweifel daran, ob das noch auf alle Polizeibeamten zutrifft - das mit der Liberalität, aber auch das mit dem "ned bled".
Durch einen Zufall war im Frühjahr 2019 ans Licht gekommen, dass etwa 40 Polizisten in einer privaten Chatgruppe antisemitische Inhalte geteilt hatten. Wegen eines Sexualdelikts hatten Ermittler die Handys beschuldigter Kollegen beschlagnahmt. Der Verdacht wegen der Sexualstraftat bestätigte sich nicht, aber in den Chats entdeckten die Ermittler unter anderem ein Foto von einem Hakenkreuz und ein Video von einem jüdischen Kind, das auf einem Keyboard spielt, untermalt mit dem Klingeln einer Registerkasse.
An dem Chat waren Einsatzkräfte des Unterstützungskommandos (USK) der Münchner Polizei beteiligt sowie weitere Beamte aus anderen Abteilungen. Nach mehr als einjährigen Untersuchungen stufte die Justiz den Versand des Videos als Volksverhetzung ein. Der 28-Jährige, der es verschickt hatte, nahm einen Strafbefehl in Höhe von 50 Tagessätzen zu 70 Euro an. Wegen eines anderen Videos wurde das Verfahren eingestellt, ebenso wegen des Fotos von dem Hakenkreuz.
Gegen 15 Teilnehmer des Chats wurden laut Innenminister Joachim Herrmann (CSU) Disziplinarverfahren eingeleitet, elf Polizisten wurden strafversetzt, einer kündigte aus eigener Initiative und beklagte sich hernach via Bild-Zeitung über angeblich rufschädigendes Verhalten von Münchens Polizeipräsident Hubertus Andrä. Dieser hätte sich vor seine Beamten stellen sollen, statt mit Suspendierungen zu reagieren, meinte er. Andrä sah das anders: "Ich hätte mir gewünscht, dass einer der Beamten in dem Chat mal geschrieben hätte: 'Lass das'", erklärte der Polizeichef damals. Innenminister Joachim Herrmann versprach, bei der Aus- und Fortbildung der Polizisten mehr zu tun, "um das Entstehen von rechtsradikalem, fremdenfeindlichem oder antisemitischem Gedankengut zu verhindern".
Ein halbes Jahr später muss der Innenminister nun schon wieder an das Berufsethos seiner Polizisten appellieren. Am Mittwoch vergangener Woche durchsuchten 170 Beamte von LKA, vom Zoll und von Spezialkommandos aus anderen Bundesländern 30 Wohnungen und sieben Dienststellen ihrer Kollegen von der Münchner Polizei. Ein Koksdealer, der die Münchner Schickeria belieferte, hatte als Kronzeuge ausgesagt, dass nicht nur Polizisten zu seinen Kunden zählten, sondern dass sie sogar Polizisten-Rabatt bekamen und Stoff weiterverkauften. Wie beiläufig hatte der Dealer im Februar in einem Prozess gegen den Mitarbeiter einer Diskothek erwähnt, dass sich auch die Polizisten "an mir eine goldene Nase verdient haben". Offenbar sah er das als eine Art Versicherung gegen Strafverfolgung.
Was die Ermittler zunächst nicht recht glauben mochten, konnte der Kronzeuge mit Videos, Fotos und Chats belegen. Inzwischen hat sich der Skandal auf 21 beschuldigte Polizisten ausgeweitet. Bei der Auswertung beschlagnahmter Handys ergaben sich Anhaltspunkte dafür, dass Polizisten wegschauten, wenn Kollegen beschlagnahmte Drogen abzweigten. Außerdem sollen Beamte zwei Unschuldige durch falsche Beschuldigungen vor Gericht gebracht haben.
"Solches Fehlverhalten kann Ihrer aller Arbeit in Misskredit bringen", schrieb Herrmann Anfang der Woche in einem Brief an alle Beamten und warnte vor "falsch verstandenem Korpsgeist". Wenn Straftatbestände im Raum stünden, müsse dies gemeldet werden. "Das hat nichts mit Denunziation oder unkameradschaftlichem Verhalten zu tun, im Gegenteil." Kommenden Mittwoch soll er sich im Innenausschuss des Landtags zu den Vorfällen erklären.