Süddeutsche Zeitung

Bayern:Dem Virus auf der Spur

Die Gesundheitsbehörden geben sich selbstgewiss, die Lage im Griff zu haben. Den ersten Infizierten hatten sie binnen Stunden isoliert und die Öffentlichkeit informiert. Doch das war offenkundig erst der Anfang.

Von Carolin Fries und Dietrich Mittler

Am Montagabend, gegen 22 Uhr, rührte sich bei Markus Söder das Telefon. Am Apparat seine Gesundheitsministerin Melanie Huml. Damit war die Nachricht auch bei Bayerns Ministerpräsidenten angekommen, anderthalb Stunden, nachdem feststand, dass sich der erste Patient in Deutschland mit dem neuen Coronavirus aus China infiziert hatte. Söder und seine Ministerin kamen überein, die Öffentlichkeit umgehend zu informieren. Noch in der Nacht veröffentlichte das Gesundheitsministerium dazu eine Mitteilung mit ersten Informationen.

Wie man sich schützen kann

Eine Infektion mit dem neuen Coronavirus zu diagnostizieren, ist ohne eine molekularbiologische Untersuchung der Erreger kaum möglich. Manche Infizierte haben gar keine oder nur milde Symptome, die an eine Erkältung erinnern. Fieber, Husten und Kurzatmigkeit listet die amerikanische Seuchenschutzbehörde CDC auf. Wenn es überhaupt Symptome gibt, dann treten sie zwei bis 14 Tage nach der Infektion auf. Doch es gibt eben auch schwere Krankheitsverläufe; vor allem für Menschen mit Vorerkrankungen kann das Virus lebensgefährlich werden. Wer sich krank fühlt, in China war oder mit Menschen Kontakt hatte, die in China waren, sollte das dem Arzt unbedingt mitteilen.

Die üblichen Hygienemaßnahmen, die auch vor Erkältungen, Grippe- und Durchfallviren schützen, helfen am besten gegen eine Ansteckung: regelmäßiges und sorgfältiges Händewaschen mit Seife und am besten mit warmem Wasser, "Husten- und Nies-Etikette" wahren, wie das Robert-Koch-Institut schreibt, also in die Armbeuge zielen oder besser in ein Taschentuch und dieses gleich entsorgen, Abstand halten zu Erkrankten.

Gesichtsmasken, wie sie nun häufig in China zu sehen sind, bieten nur bedingt Schutz. Ob sie funktionieren, hängt von vielen Faktoren ab: Wird die Maske richtig und konsequent getragen? Schließt sie also überall bündig mit der Haut ab? Wird sie regelmäßig gewechselt? Wie gut filtert die Maske? Ein Mundschutz hilft jedoch auch unabhängig von der Porengröße: Er erinnert den Träger und die Trägerin daran, nicht mit den eigenen Fingern ins Gesicht zu fassen. Denn die Schleimhäute von Augen, Mund und Nase sind die wichtigsten Einfallstore für viele Virusarten. Und ziemlich sicher schützt man mit einer Maske andere Menschen, wenn man selbst krank ist. hach

Doch das war erst der Anfang. Stunden später am Dienstagmorgen in München, der erste Pressetermin. Vor Huml reiht sich eine Phalanx von Mikrofonen auf. "Wir nehmen die Lage sehr ernst, aber wir sind auch gut vorbereitet", sagt die Ministerin. In Bayern existiere bereits seit Jahren eine Spezialeinheit für solche Fälle, die "Task-Force Infektiologie".

Huml spricht nur kurz, dann übernehmen Andreas Zapf, der Präsident des bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), und Martin Hoch, der Chef der Task-Force, das Wort. Es gibt viele Fragen zu beantworten. Etwa: Wer genau ist betroffen? Es handelt sich um einen 33-jährigen Familienvater aus Kaufering im oberbayerischen Landkreis Landsberg am Lech. Der Mann arbeitet in Stockdorf am Stadtrand von München bei dem Autozulieferer Webasto - die Firma hat Niederlassungen auch in China.

Die infizierte Chinesin stellte die ersten Symptome auf dem Rückflug fest

Auch diese Frage kommt: Wo und wie hat er sich infiziert? Offenbar im Betrieb selbst. Eine chinesische Kollegin war als Kursleiterin für eine firmeninterne Fortbildung eingereist. Und wie geht es dem Patienten? Er sei wach, ansprechbar, fieberfrei. Er liegt im Krankenhaus München-Schwabing auf der Infektionsstation, weiterhin von anderen Patienten isoliert, befindet sich nach Einschätzung der Mediziner nicht in Lebensgefahr. Und die chinesische Schulungsleiterin? Sie sei selbst Mitarbeiterin der Webasto-Gruppe, stamme nicht aus Wuhan, sondern aus Shanghai. Sie sei aber wohl vor ihrer Deutschlandreise von ihren Eltern besucht worden, die im Großraum Wuhan leben. Vermutlich sei so der Erreger auf sie übertragen worden.

Ohne Anzeichen einer Erkrankung traf sie nach Angaben von Landesamts-Chef Zapf am 19. Januar in Bayern ein, hielt am 21. Januar die Fortbildung ab - nur vor einer kleinen Gruppe, auch der infizierte Mitarbeiter nahm daran teil. Erst auf ihrem Rückflug, am 23. Januar, habe die chinesische Referentin Anzeichen einer Grippe verspürt. Zurück in der Heimat, ging sie zum Arzt. Die Diagnose war unmissverständlich: infiziert mit dem Coronavirus.

Zu Wochenbeginn erreichte diese Information die Firma Webasto in Stockdorf, die umgehend das Gesundheitsamt benachrichtigte. Der Mitarbeiter, der sich bei der Chinesin offenkundig infizierte, hatte zwar am Wochenende Probleme mit den Bronchien, doch am Montag erschien er am Arbeitsplatz. Am Nachmittag ging er - alarmiert durch die Mitteilung über den Zustand seiner chinesischen Kollegin - selbst zum Arzt, der Schnelltest wurde zum Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr geschickt, nach etwas mehr als vier Stunden hatten die Infektionsmediziner das Ergebnis in der Hand: Coronavirus. Dass der Erreger offensichtlich von einer Person stammte, die selbst noch keine Anzeichen von Krankheit zeigte, erstaunt Task-Force-Leiter Hoch. "Das ist neu", sagt er.

In der Stockdorfer Firma selbst ist am Dienstagmorgen das Einzige, das auf den Krankheitsfall hindeutet, eine Literflasche Desinfektionsmittel am Empfangstresen. Doch weder die bis zum Rand gefüllte Flasche noch das Angebot der Konzernleitung, im Home-Office zu arbeiten, scheint bei den Mitarbeitern auf großes Interesse zu stoßen. Der Parkplatz ist voll. "Ich gehe nicht heim, ich bringe nur meine Pfandflaschen weg", sagt ein Mitarbeiter, der mittags die Zentrale verlässt. Die Stimmung sei "superentspannt". Das ändert sich zweifellos am Dienstagabend. Da wird bekannt, dass bei drei weiteren Webasto-Mitarbeitern eine Corona-Infektion festgestellt wurde. Am Mittwoch sollen bei 40 Personen, die in der Firma engen Kontakt mit den Infizierten hatten, Tests vorgenommen werden. Das Unternehmen teilt noch am späten Abend mit, dass der Standort Stockdorf bis einschließlich des Wochenendes "zum Schutz der Belegschaft" geschlossen sei. Webasto hatte am Montagabend alle Mitarbeiter per E-Mail von der infizierten Kollegin in China in Kenntnis gesetzt und alle China-Reisen für zwei Wochen abgesagt. Am Dienstag erließ das Unternehmen ein Reiseverbot für Mitarbeiter innerhalb Chinas. In der Stockdorfer Zentrale wurden die mehr als 1000 Mitarbeiter aufgefordert, bei grippeverdächtigen Symptomen einen Arzt aufzusuchen. Sie wurden zudem gebeten, Termine mit Externen zu verschieben oder auf Video- und Telefonkonferenzen zu verlegen. Doch der Arbeitsplatz des ersten Infizierten ist nur ein Ort, auf den sich die Aufmerksamkeit der Gesundheitsbehörden richtet. Alle Kontaktpersonen der Betroffenen wollen die Behörden ausfindig machen. Am Dienstag ging man zunächst von rund 40 Kontaktpersonen aus. Das dürften nach den neuen Infektionen mehr werden. "Die werden jetzt nicht alle getestet, aber es wird seitens des Gesundheitsamtes darauf geachtet, ob für das Coronavirus typische Krankheitssymptome auftreten", sagt LGL-Chef Zapf. Eine Zwangsüberwachung gebe es nicht, auch wenn sie rechtlich möglich sei.

Zu den Kontaktpersonen des infizierten 33-Jährigen zählen zum Beispiel nicht nur seine Kolleginnen und Kollegen, sondern auch seine Familienangehörigen. Er ist Familienvater, sein Kind besucht eine Krippe. Kind und Ehefrau seien zu Hause, aber symptomfrei. Die Krippe soll weiter geöffnet bleiben, wie ein Sprecher des Landratsamtes in Landsberg betonte.

Die Eltern würden informiert. Ministerin Huml mit ihrem Team ist anzumerken, dass ihr Fragen nach der Kinderkrippe nicht ins Konzept passen. Lieber berichtet sie darüber, dass sich ihr Haus seit gut einer Woche auf den Ernstfall vorbereitet habe. Nun sei er eingetroffen, und alles laufe nach Plan. Es gibt keinen Grund zur Panik, so lautet die Botschaft.

Noch sind nicht alle Kontaktpersonen gefunden

Doch alle möglichen Kontaktpersonen sind noch nicht ausfindig gemacht. "Das muss jetzt ganz rasch gehen", sagt Zapf. Ein enger Mitarbeiter der Ministerin ließ durchblicken, noch an diesem Tag werde man mit der Chinesin in Kontakt treten, um mehr über ihre Begegnungen zu erfahren.

Unterdessen berichtet Chefarzt Clemens-Martin Wendtner, der den 33-Jährigen in Schwabing behandelt, sein Patient habe ihn bereits gefragt, wann er nach Hause dürfe. Ob er keine Angst habe, sich zu infizieren? "Hätte ich dann heute Morgen seine Hand geschüttelt?", gibt Wendtner zurück. Er trug allerdings Schutzkleidung inklusive Handschuhe. Seine Botschaft lautet indes ebenfalls: keine Panik.

Völlige Sicherheit aber, auch das eine Erkenntnis an dem Tag, an dem die erste Infektion mit dem neuen Virus in Deutschland bekannt wurde, gibt es nicht. Der Leiter des Landesamtes für Gesundheit zuckt mit den Schultern. Nicht alle Risiken seien absehbar, sagt Andreas Zapf. "Das ist eine Folge der Vernetzung der Welt."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4774984
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 29.01.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.