Süddeutsche Zeitung

Gesellschaftsklima in Bautzen:"Geh doch weg"

Streit und Anfeindungen dominieren derzeit das politische Klima in der sächsischen Stadt Bautzen. Ein Gesprächsforum soll den Weg "zurück zur Sachlichkeit" ebnen - und führt in eine ganz andere Richtung.

Von Antonie Rietzschel, Bautzen

"Gehen Sie wieder!" Dieser Satz trifft Annalena Schmidt wie eine Ohrfeige. Aufrecht und starr sitzt sie vor dem Altar der Maria-und-Martha-Kirche in Bautzen. Hinter ihr hängt ein schwarzes Kreuz aus Edelstahl, daneben zwei bunte Sträuße aus Tulpen.

Normalerweise feiert die evangelische Gemeinde hier ihren Gottesdienst. Doch an diesem Freitagabend ist der Altarraum ein Ort der Wut. Wut gegen all jene, die sich kritisch über die Stadt äußern.

Zu dieser Gruppe gehört Schmidt, die sich gegen Rechtsextremismus engagiert. Sie ist Beleidigungen und Drohungen auf Twitter oder Facebook gewohnt. Doch an diesem Abend blickt sie direkt in die Gesichter von Menschen, die keinen Hehl aus ihrem Hass machen. Wie die ältere Frau mit getönter Brille, die neben ihr auf dem Podium sitzt. Was sie denn schon geleistet habe, fragt die sie. "Außer diese Stadt fertig zu machen." Und dann zum Schluss dieser Satz: "Gehen Sie wieder!"

"Zurück zur Sachlichkeit", heißt das Gesprächsforum, zu dem Oberbürgermeister Alexander Ahrens (SPD) am Freitagabend eingeladen hatte. Der Titel klingt wie der Versuch, die Zeit zurückzudrehen. In eine Vergangenheit, in der in Bautzen noch nicht das Hotel "Husarenhof" und damit eine geplante Flüchtlingsunterkunft abbrannte. Als die Stadt noch für ihren Senf und die historische Altstadt bekannt war - und nicht für die Ausschreitungen zwischen Rechtsextremen und Asylbewerbern im Herbst 2016.

Versuch, Risse zu kitten

Doch die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen, die Stadt in Ostsachsen gilt bundesweit als Symbol für Fremdenfeindlichkeit. Im Mai sind Kommunal-, im Herbst Landtagswahlen. Und durch die Bürgerschaft mit ihren 40 000 Einwohnern zieht sich noch immer ein tiefer Riss, der nun mit Hilfe einer Reihe von Dialogveranstaltungen wie "Zurück zur Sachlichkeit" gekittet werden soll.

Für den Auftakt hat die Stadt ausgerechnet zwei Menschen als Impulsgeber ausgewählt, die in Bautzen besonders polarisieren. Annalena Schmidt und Jörg Drews. Schmidt arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin für das Sorbische Institut. Bei Twitter und auf ihrem Blog thematisiert sie fremdenfeindliche und rechtsextreme Vorfälle in der Stadt, fotografiert, wie sie Hakenkreuze von einer Bushaltestelle entfernt - oder thematisiert die guten Verbindungen des hiesigen CDU-Landratsvizes zur NPD. Die Bundesregierung zeichnete sie als "Botschafterin für Toleranz" aus.

Es war Schmidt, die die Aufmerksamkeit auf den lange sehr öffentlichkeitsscheuen Bauunternehmer Drews lenkte, der ihr an diesem Abend gegenübersitzt.

Drews' Firma Hentschke-Bau ist einer der größten Arbeitgeber der Region, beschäftigt 700 Mitarbeiter. Drews baut Brücken, verantwortet Projekte in ganz Deutschland - investiert aber auch in seine Heimatstadt. Derzeit lässt er den alten Bahnhof sanieren und ein weiteres Objekt zum Altenheim umbauen. Für den Transport einer alten Dampflok, ein Wahrzeichen Bautzens, spendete er 10 000 Euro. Mit 25 000 Euro unterstützte er die städtische Sternwarte. Der 59-Jährige sponsert den örtlichen Fußballverein, dessen Präsident er einst war, und die Verleihung des Bautzner Friedenspreises.

Wohltäter mit Agenda

Drews hat Einfluss in der Stadt - Einfluss, den nicht nur Schmidt, sondern auch einzelne Stadträte der Linken und Grünen mit Unbehagen sehen. Denn Drews gilt nicht nur als Wohltäter, sondern auch als jemand mit politischer Agenda.

Der Alternative für Deutschland (AfD) spendete Hentschke-Bau im Bundestagswahljahr 2017 insgesamt 19 500 Euro. In Bautzen selbst unterstützt Drews das Magazin Denkste. Die Publikation verbreitet im Internet Verschwörungstheorien, wonach die Welt von Multimilliardären gesteuert wird. Parteien täuschten dabei, ähnlich wie zu DDR-Zeiten, Demokratie nur vor. Drews selbst äußert sich auch in Videos, die auf der Seite von Denkste veröffentlicht werden und unterstützt weitere alternative Medien vor Ort, so etwa den Lokalsender Ostsachsen TV.

Der Unternehmer sprach auch wiederholt auf Kundgebungen, die sich gegen den UN-Migrationspakt richteten und an denen auch Mitglieder der rechtsextremen "Identitären Bewegung" teilnahmen. Seine Kritiker werfen Drews vor, sich in der Stadt Sympathien erkaufen zu wollen, um Kritik an seinem politischen Engagement unmöglich zu machen. Drews hat in der Vergangenheit bereits gedroht, notfalls woanders hinzugehen, sollte die Region seiner überdrüssig werden.

Drews gegen Schmidt - diese Konstellation sorgte schnell für großes Interesse an "Zurück zur Sachlichkeit". Die Stadt musste wegen der hohen Nachfrage den Veranstaltungsort wechseln. Am Freitagabend bildet sich trotz Schnee und Kälte schon 45 Minuten vor Beginn eine lange Schlange vor der Tür der Maria-und-Martha-Kirche.

Mehr als 850 Menschen sind gekommen. Nicht alle finden Platz auf den langen Holzbänken. Dutzende stehen noch unter der schweren Holzempore am Eingang, als der Moderator von der Landeszentrale für politische Bildung die Regeln für den Abend erklärt. Nach den Impulsvorträgen von Drews und Schmidt können diskussionswillige Bautzner nach vorne kommen, um mit zu debattieren, erklärt er. Und mahnt: "Bitte versuchen Sie, zuzuhören und wirklich mit den Menschen zu reden."

Doch bereits nach wenigen Minuten wird klar, dass der Abend dem selbst gestellten Anspruch nicht gerecht wird. Annalena Schmidt hält mit zitternder Hand ihr Redemanuskript. Sie beschreibt Bautzen als eine zerklüftete Landschaft, mit kleineren und größeren Gräben, die es zu überwinden gilt.

Sie berichtet von ihrem Engagement in der Stadt, widerspricht der Behauptung, dass Deutschland kein Rechtsstaat sei - und zitiert das Grundgesetz: "Eine Zensur findet nicht statt". Lautes Gelächter und Buhrufe aus dem Mittel- und den Seitenschiffen. Hände hämmern auf Holzbänke. Erst nach einem Zwischenruf des Moderators kann Schmidt weiterreden.

"Geh doch weg"

Jörg Drews wird dagegen mit lautem Beifall bedacht. Er beschwört Gefahren, die von einer multikulturellen Gesellschaft ausgehen; spricht von fehlender Solidarität, von "Zersetzung". All diese Angst bettet er in Liebesbekundungen an die Stadt ein. Er sei einer von hier. Einer, der in Bautzen seine Lehre gemacht habe - und jetzt schon lange hier Steuern zahle.

Drews setzt damit auch den Ton für die Debatte. Die folgenden anderthalb Stunden sind von der Frage geprägt, wer eigentlich Bautzner ist. Wer dazugehört - und wer nicht.

Drews gehört dazu - Schmidt, die lange im hessischen Gießen lebte und erst 2015 nach Bautzen kam, nicht. Das scheint die vorherrschende Meinung unter jenen zu sein, die an diesem Abend auf einem der Stühle im Altarraum Platz nehmen und sich zu Wort melden.

Sie betonen, wie lange sie schon in Bautzen leben - Jahreszahlen werden aneinander gereiht, als würden sie den Argumenten besonderes Gewicht verleihen. Zwischendurch sinkt eine Frau mit kurzen grauen Haaren auf einen der Stühle auf dem Podium. Sie sei auch noch nicht lange in Bautzen, sagt sie. Und angesichts dieses Abends schäme sie sich, hier zu wohnen. Die Menge brüllt: "Geh doch weg!"

Dagegen, aber wofür?

Der Altarraum wird zum Schauplatz für ein regelrechtes Tribunal, bei dem die Bautzner mit Zwischenrufen über Schmidt und ihre Unterstützer richten. Als Schmidt heftige Beleidigungen zitiert, mit denen sie auf Facebook verunglimpft wird, quittiert die Menge das mit gehässigem Gelächter. Schließlich fühlt sich Oberbürgermeister Ahrens bemüßigt, sich gegen die Beleidigungen zu stellen. Über Brückenbauer Drews sagt er: "Seine Firma steht für Qualität". Man müsse Politik und Unternehmen voneinander trennen.

Der Moderator versucht immer wieder die Diskussion von den Personen Schmidt und Drews wegzuleiten. Er wirft die Frage in den Raum, wie die Bautzner künftig besser miteinander diskutieren könnten. Eine Zuhörerin fragt das Publikum, ob es denn eigentlich nicht nur gegen, sondern auch für etwas sei. Antworten werden nicht gefunden, weil wieder jemand einen Tweet oder Blogeintrag von Schmidt vorlesen möchte.

Nach zwei Stunden steht Oberbürgermeister Ahrens noch mal im Altarraum. Fast schon entschuldigend weist er darauf hin, dass die Veranstaltung nur ein Auftakt gewesen sei und man noch dazulerne. Annalena Schmidt will dringend nach draußen. "Ich muss eine rauchen und will gerade keine Menschen um mich haben", sagt sie und drückt sich an den Kamerateams vorbei.

Auch die anderen Bautzner verlassen die Kirche, gehen hinaus in die dunkle Nacht. Eine Gruppe beschwert sich, dass es gar nicht um die Flüchtlingspolitik ging. "Was die uns da angetan haben."

Man fühlt sich an die Worte des Moderators erinnert, der am Anfang der Diskussionsrunde erklärt hatte, warum ausgerechnet er als Auswärtiger durch den Abend führt, und nicht etwa jemand aus Bautzen. "Wenn es schief läuft, bin ich schuld. Aber ich fahre heute Abend zurück nach Dresden." Nicht dazuzugehören hat auch Vorteile.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels hieß es, die Firma Hentschke-Bau habe 167 000 Euro an die AfD gespendet. Das ist nicht korrekt. Wir bitten, diesen Fehler zu entschuldigen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4323482
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/joku/ick
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.