Sparen war angesagt, auch bei den Bauern. Und die Stimmung war mies. Trotzdem traute sich der Kanzler zum Bauerntag nach Cottbus. Er werde keine einzige Einsparung zurücknehmen, verkündete er unter gellenden Pfiffen. „Wer everybody’s darling sein will, ist schnell jedermanns Armleuchter.“ Dann stürmten einige Landwirte die Bühne und zogen vor dem Kanzler ihre T-Shirts aus, Aufdruck: „Das letzte Hemd.“ So ging es zu beim Bauerntag 1999 in Cottbus, Kanzler war ein gewisser Gerhard Schröder, er gab sich unbeeindruckt.
Fast auf den Tag genau 25 Jahre später findet der Bauerntag wieder in Cottbus statt. T-Shirts trägt hier keiner, es dominieren weiße Hemden, einige sogar mit Schlips. Auch eine Traktordemo sucht man vergeblich. Die einzigen Traktoren hier sind jene des Hauptsponsors aus dem Allgäu, blitzblank stehen sie in den Cottbusser Messehallen. Einer davon fährt sogar elektrisch, ganz ohne jenen Agrardiesel, für dessen Steuerbonus die Bauern im Winter protestierten. „Wir haben gemeinsam das Land gerockt“, ruft Bauernverbandspräsident Joachim Rukwied in die Messehalle. „Das war großartig.“ Selbst aus Indien habe er Anfragen bekommen, wie man solche Proteste organisiere. „So macht Agrarpolitik Spaß“, findet Rukwied.
Die Kürzungen beim Agrardiesel blieben, andere Auflagen weichen
Die Kürzungen beim Agrardiesel – um die es übrigens auch 25 Jahre zuvor bei der ersten rot-grünen Bundesregierung schon ging – hatten die Landwirte zwar mit ihren Protesten nicht abwenden können. Doch wie ein Lauffeuer hatten sich die Traktordemos damals über Europa ausgebreitet – mit der Folge, das vor allem die EU-Kommission einknickte und Auflagen für die Landwirte strich. Auch die Ampel nahm Teile der Kürzungen zurück, nämlich bei der Kfz-Steuer; sie bleibt vergünstigt. Den Bauern reicht das allerdings noch lange nicht. Die Ampelkoalition verstehe „von Agrarpolitik nicht wirklich was“, wettert Rukwied: „Das muss ich in dieser Deutlichkeit sagen.“
Dabei hatten die Fraktionen von SPD, Grünen und FDP sich noch gerade rechtzeitig zum Bauerntag auf ein Entlastungspaket für die Landwirte verständigt, schon kommende Woche soll es den Bundestag passieren. So sollen die Betriebe, nicht zum ersten Mal, in den Genuss einer „steuerlichen Gewinnglättung“ kommen. Dadurch können sie die Gewinne aus guten Jahren mit den Verlusten aus schlechteren verrechnen, und das jeweils über drei Jahre hinweg. Selbst Einnahmen aus Landverkäufen könnten sie womöglich mit Verlusten verrechnen. Vor allem die FDP hatte auf diese Erleichterung gepocht, sie ist ganz im Sinne der Landwirte – und kostet den Fiskus rund 90 Millionen Euro. Man überwinde nun „Fesseln durch Regulierung und Bürokratie“, die vor allem unionsgeführte Regierungen den Landwirten angelegt hätten, sagt Carina Konrad, die stellvertretende Vorsitzende der FDP-Fraktion.
Monatelang hatten die drei Koalitionsfraktionen um das Paket gerungen, und wie es sich bei einem Kompromiss gehört, ist für jede der drei was dabei. Die SPD will die Stellung der Landwirte gegenüber dem Handel stärken und hat eine Verschärfung des zugehörigen Gesetzes durchgesetzt, eines Werks mit dem unaussprechlichen Namen „Agrarorganisationen-und Lieferketten-Gesetz“. Der Handel ist darüber gar nicht amüsiert.
Entlastungspaket oder Entlastungspäckchen?
Die Grünen wiederum konnten eine zusätzliche Prämie für die Weidetierhaltung durchsetzen, über die sich vor allem bäuerliche Betriebe freuen. Damit werde eine Lücke in der Förderung geschlossen, lobt die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, und obendrein leiste das Weideland auch für die Artenvielfalt große Dienste. Doch anders als von den Grünen gefordert sollen für diese neue Förderung nicht die Direktzahlungen gekürzt werden. Sie werden je Hektar Land ausgezahlt und belohnen so indirekt die Größe, nicht aber Leistungen für Umwelt und Natur. „Für die Zukunftsfähigkeit der Landwirtschaft kann das Paket nur der Anfang sein“, sagt die grüne Agrarpolitikerin Renate Künast, „aber wir mussten bis zur Sommerpause fertig sein.“
Frieden mit den Bauern wird die Koalition damit nicht schließen können, das macht deren Präsident Rukwied in Cottbus gleich mal klar. „Lichtjahre“ sei die Einigung vom Notwendigen entfernt: „Das ist kein Entlastungspaket, das ist ein Päckchen.“ Auch an anderen Initiativen der Koalition lässt er kein gutes Haar. Die Idee von Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne), gemeinsam mit Verbänden ein „Zukunftsprogramm Pflanzenschutz“ zu erarbeiten, stempelt er vorab schon zum „Rückschrittsprogramm“. Das Düngegesetz, das derzeit im Bundesrat liegt, geht Rukwied auch viel zu weit – er will weg von den „Hoftorbilanzen“, in denen Betriebe jedes Kilo Dünger und Nährstoffe dokumentieren müssen.
Das Tierschutzgesetz wiederum, das mit Ach und Krach gerade das Kabinett passiert hat, führt nach Auffassung des Bauernpräsidenten geradewegs in den Untergang der deutschen Schweinemast – weil es etwa das Kupieren von Ringelschwänzen nur noch in Ausnahmefällen erlaubt: „Nicht einmal die Holländer gehen so weit.“ Auch die Wiedervernässung von Mooren zugunsten des Klimaschutzes findet Rukwied nicht gut, mühsam gewonnenes Ackerland gehe so wieder verloren. Gleichwohl sieht er die Landwirte als „Teil der Lösung“ im Klimaschutz. Rukwied wird schließlich mit großer Mehrheit im Amt bestätigt.
Der Kanzler, inzwischen heißt er Olaf Scholz, ist am Abend übrigens auch in Cottbus, eine Medizin-Uni wird in der Stadt eingeweiht. Danach schaut er noch beim Bauerntag vorbei. Doch dort erntet er kein Pfeifkonzert, trotz Hitze zieht auch keiner sein Hemd aus. Die Bauern wollen nur Selfies mit dem Bundeskanzler.