Bau-Boom in China:Blutige Baustellen

Tausendfach werden in China Bürger aus ihren Häusern vertrieben, um lukrative Wohnblocks zu errichten - wer sich wehrt, riskiert sein Leben.

Henrik Bork, Peking

Ein grausames Foto ist Chinas jüngste Sensation im Internet. Es zeigt einen Mann, der halbzerquetscht unter dem Reifen eines Lastwagens liegt, sein Kopf ist beinahe komplett abgetrennt. Das Opfer heißt Qian Yunhui. Gemeinsam mit dem Foto kursiert ein Augenzeugenbericht, demzufolge Qian am vergangenen Samstag von drei Männern mit Masken auf den Boden gedrückt wurde, während ihn der Lastwagen absichtlich überrollte. Qian Yunhui, der 53 Jahre alt wurde, hatte zuvor gegen Zwangsräumungen in seinem Dorf protestiert und war mehrmals von Schlägern bedroht worden.

Bau-Boom in China: Chinesische Polizisten sind aufmarschiert, um den Abriss von illegal errichteten Häusern zu bewachen. An solchen Bauprojekten bereichern sich oft örtliche Kader der Kommunistischen Partei.

Chinesische Polizisten sind aufmarschiert, um den Abriss von illegal errichteten Häusern zu bewachen. An solchen Bauprojekten bereichern sich oft örtliche Kader der Kommunistischen Partei.

(Foto: AFP)

Mindestens 400.000 Menschen hätten diese Geschichte in den vergangenen Tagen gelesen, berichtete die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua. Der Vorfall hatte sich am Samstag in Yueqing ereignet, einer Kleinstadt in der Nähe von Wenzhou, Provinz Zhejiang. Die Polizei von Wenzhou sagte bei einer Pressekonferenz, es gebe keinerlei Hinweise auf einen Mord. Es handele sich um einen Unfall.

Doch sehr viele Menschen, das ist den Kommentaren in Internetforen zu entnehmen, glauben an einen Mord. Auch die Familie sagt das. Wie oft in solchen Fällen wird nicht leicht zu ermitteln sein, was wirklich passiert ist. Dass aber so viele Menschen schnell bereit sind, von einem Mord auszugehen und den Behörden misstrauen, auch das ist in China inzwischen durchaus typisch. Es geschieht einfach zu oft, dass Menschen, die gegen die Zwangsräumung ihrer Häuser protestieren, mit brutaler Gewalt entfernt werden.

Der unter dem Rad des Lastwagens gestorbene Qian hatte seit sechs Jahren als Anführer von rund 4000 Landbewohnern gegen ein Entwicklungsprojekt der Lokalregierung gekämpft. Im Jahr 2004 war der Bau eines neuen Kraftwerkes im Dorf Zhaiqiao genehmigt worden. Fast das gesamte bebaubare Ackerland des Dorfes wurde konfisziert. Die Dörfler erhielten kaum Entschädigung für ihre Häuser und Landnutzungsrechte.

Als Zhou Widerstand leistete, wurde er totgeschlagen

Schon bei einer Demonstration vor dem Sitz der Lokalregierung hatte vor Jahren eine Hundertschaft der Polizei anrücken müssen. Mehr als 130 Menschen sollen damals geschlagen, 72 festgenommen worden sein. Auch als die Polizei am vergangenen Samstag die Leiche Qians unter dem Lastwagen entfernen wollte, wurde sie von wütenden Bauern umringt. 1000 Spezialeinsatzkräfte waren nötig, um die aufgebrachte Menge aufzulösen.

Zwanzig Schläger zeigten den Zwangsräumungsbefehl

Zehntausende solcher Proteste erlebt China inzwischen jedes Jahr, und das hat eine Reihe von Gründen. Zum einen sorgt die rasche Urbanisierung dafür, dass sich die Städte und ihre Umgehungsstraßen mit großem Tempo in die Äcker der umliegenden Dörfer fressen. Zum anderen sorgt ein Triumvirat aus korrupten Kadern der Kommunistischen Partei, von ihr bezahlten Schlägern und geldgierigen Immobilienhaien dafür, dass die ursprünglichen Anwohner selten angemessen entschädigt werden.

Am 3. Dezember waren in Shanghai mehrere tausend Menschen zusammengekommen, um bei der Beerdigung des Bürgers Zhou Daming gegen die Umstände seines Todes zu demonstrieren. Zwanzig Schläger waren wenige Tage zuvor angerückt, um Zhou und seiner Familie einen Zwangsräumungsbefehl zu zeigen. Die "Shanghai Dongya Property Holding" wollte auf dem Land, auf dem das alte Haus der Familie stand, ein neues Appartement-Hochhaus bauen, berichtete eine chinesische Wirtschaftszeitschrift. Als Zhou Widerstand leistete, wurde er totgeschlagen.

Nur vier Wochen zuvor, Anfang November, war ein 53-jähriger Bauer in Taiyuan, Provinz Shanxi, von Dutzenden Männern mit Schlagstöcken getötet worden, weil er sein Haus nicht den Bulldozern überlassen wollte, berichtete die South China Morning Post in Hongkong. Ein anderer Mann in Ningbo, Provinz Zhejiang, hatte eine Woche lang seinen Widerstand gegen eine Zwangsräumung im Internet dokumentiert. "Countdown bis zum Tod", so nannte er die Aktion. Überall sonst wäre das eine Übertreibung gewesen. Nicht so in China.

Auf Kosten sozialer Gerechtigkeit

"Unter dem Banner der Entwicklung erlebt China ein beispielloses Wachstum seiner Wirtschaft, dies aber zunehmend auf Kosten der sozialen Gerechtigkeit", sagt Yu Jianrong, ein bekannter Soziologe von der Pekinger Akademie der Sozialwissenschaften. Yu ist seit Donnerstag dieser Woche in Yueqing unterwegs, um den grausigen Tod des Qian Yunhui unter dem Lastwagen und die vorausgegangenen Zwangsräumungen auf eigene Faust zu untersuchen.

Entwicklung und Korruption

Die Pekinger Zentralregierung ist sich bewusst, wie viel sozialen Sprengstoff dieses Thema enthält. Daher durften die staatlichen Medien in dieser Woche unter Überschriften wie "Verdächtiger Tod" über den Vorfall berichten. Und aus dem gleichen Grund dürfen sozial engagierte Wissenschaftler wie Yu Jianrong unabhängige Untersuchungen einleiten. Auch zwei weitere prominente Chinesen kündigten am Donnerstag an, den Lastwagen-Tod an Ort und Stelle unter die Lupe nehmen zu wollen. Und zumindest im Internet diskutiert halb China darüber, auch wenn regierungskritische Kommentare immer wieder schnell von der Zensur gelöscht werden.

Doch mächtige Parteikader, deren Aufstiegschancen stets genauso schnell wachsen wie die Neubauten an den Rändern ihrer Städte, kümmern sich seit Jahren wenig um Untersuchungen und Proteste. "Wenn wir Beamte nicht Häuser abreißen ließen, wovon würden Akademiker wie Sie dann leben?" fragte ein Parteibonze namens Chen Xiaoping kürzlich den Soziologen Yu Jianrong. Das Entwicklungsargument, das durchaus Schlagkraft hat, ist jedoch nur eine Seite der Medaille. Die andere heißt Korruption. Anstatt Beschwerden über exzessive Gewalt bei den Räumungen nachzugehen, stehen Chinas Kader stets fest auf der Seite der Immobilienfirmen, die sie großzügig schmieren.

Wie lukrativ Parteiämter in China sind, kommt ab und zu ans Licht, wenn ein allzu unverschämter Mandarin über seine Habgier gestrauchelt ist. Zeng Jinchu, zuletzt Vizeparteichef der Kleinstadt Chenzhou in der Provinz Hunan, hatte mehr als 31 Millionen Yuan (das sind umgerechnet etwa dreieinhalb Millionen Euro) an Schmiergeldern kassiert, unter anderem für Baugenehmigungen und die Erteilung von Schürfrechten. Zeng ist am Donnerstag dieser Woche hingerichtet worden.

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