Baskenland:Menschenmauer gegen Mauerpolitik

Auch nach dem vorläufigen Ende des Eta-Terrorismus ist der Friedensprozess im Baskenland ziemlich festgefahren.

Von Thomas Urban, Vitoria-Gasteiz

Mit einer Menschenmauer aus 3000 maskierten Demonstranten haben baskische Aktivisten am Sonntag zu verhindern versucht, dass drei Mitglieder der verbotenen ultralinken Jugendorganisation Segi festgenommen wurden. Doch am Montagvormittag war ein Großteil der Demonstranten zur Arbeit oder zu ihren Ausbildungsstätten gegangen, und die Polizei fischte die drei doch noch aus der verbliebenen Menge von 300 Menschen heraus. Aiala Zaldibar, Ibon Esteban und Igarki Robles wurden steckbrieflich gesucht. Sie waren im Dezember in Abwesenheit von der Sonderstaatsanwaltschaft in Madrid wegen Zugehörigkeit zu einer bewaffneten Organisation zu sechs Jahren Haft verurteilt worden.

Die Aktion der 3000 Aktivisten auf dem Platz der Weißen Jungfrau im Zentrum der baskischen Hauptstadt Vitoria-Gasteiz markierte erneut, dass der Friedensprozess im Baskenland festgefahren ist. Sie zeigte aber auch, dass die Behörden im fernen Madrid keine Antwort auf die neue Taktik der baskischen Linksparteien gefunden haben, mit Spaßaktionen Aufmerksamkeit für ihre Forderungen zu finden.

Hintergrund ist der Streit um den Umgang mit den Häftlingen der Terrororganisation Eta sowie um die Sondergesetze zur Bekämpfung des Terrorismus: Madrid will an der Praxis festhalten, sie möglichst weit entfernt von der Heimat auf Gefängnisse in Südspanien zu verteilen. Die meisten baskischen Regionalparteien, auch die konservative Nationalistische Baskische Volkspartei (PNV), die in Vitoria-Gasteiz regiert, verlangen dagegen ihre Überstellung in Gefängnisse in der Heimatregion.

Die Eta hatte Ende 2011 das Ende des "bewaffneten Kampfes" verkündet. Doch ihre im Untergrund verbliebenen Mitglieder, sie werden auf 60 geschätzt, haben ihre Arsenale nicht abgegeben. Deshalb lehnt die konservative Regierung in Madrid jegliche Gespräche über Hafterleichterungen ab.

Vertreter der auch im Regionalparlament vertretenen linksnationalistischen Partei Bildu wiesen am Montag darauf hin, dass die drei Verhafteten keineswegs Mordaktionen rechtfertigten, geschweige denn dem bewaffneten Kampf das Wort redeten. Vielmehr seien sie verurteilt worden, weil sie von ihrem Recht auf freie Meinung Gebrauch gemacht hätten. Die Sondergesetze erlauben es der Justiz, schon die Aufforderung zu Gesprächen mit der Eta als Unterstützung des Terrorismus zu sanktionieren. Darauf berufen sich auch die konservativen Medien in Madrid: Jede Demonstration für eine Resozialisierung der aus den Gefängnissen freigekommenen Eta-Mitglieder wird als terrorfreundliche Aktion in Misskredit gebracht. Allerdings behaupten Vertreter von Bildu und Segi, die Frage der Waffenarsenale sei marginal. Sie übersehen dabei freilich, dass die Forderung nach Abgabe der Waffen auch für internationale Friedensvermittler, die kritisch zur Politik Madrids stehen, nicht verhandelbar ist.

Das Gleiche gilt für die bürgerlichen Parteien im Baskenland, bei denen es durchaus Sympathien gibt für friedliche Aktionen wie die "Menschenmauer" zur Unterstützung der gesuchten Mitglieder baskischer Gruppen. Unter den rund 15 000 Demonstranten in orangenen Hemden mit dem Schriftzug "Libre" (frei) im Zentrum Vitorias am Sonntag waren ganze Familien, es herrschte gelöste Volksfeststimmung. Als die Polizei zwei Demonstranten vom Turm der Jungfrauenkirche herunterholen wollte, die dort ein Plakat mit einer Parole für Hafterleichterungen entfaltet hatten, verweigerte der Pfarrer ihnen den Zutritt zur Kirche. Auch die Feuerwehr ließ sich nicht dafür einspannen.

Die Spaßaktionen im Baskenland knüpfen an die "Orangene Alternative" in der Volksrepublik Polen an, die vor drei Jahrzehnten unter Kriegsrecht den Repressionsapparat mit großen Happenings bloßstellte. Die Idee, polizeilich Gesuchte in einem lebenden Wimmelbild unter Hunderten Sympathisanten zu verstecken, wie es vor Vitoria-Gasteiz schon in anderen baskischen Städten versucht worden war, verschaffte den Organisatoren international Aufmerksamkeit. Zumal die Demonstranten überaus friedlich waren. Die Polizei war offenkundig angewiesen worden, Brutalitäten zu vermeiden.

Das gelang dann doch nicht ganz. Als die Mitglieder der Menschenkette unter Pfiffen und Buhrufen der Zuschauer einzeln zu den Polizeiwagen getragen wurden, wurden einigen die Arme umgedreht, andere Demonstranten, die sich offenkundig ohnmächtig stellten, wurden unter den Wasserstrahl eines Springbrunnens gehalten. Anfang des Jahres stellte ein spanisches Gericht erstmals fest, dass festgenommene Mitglieder linksnationalistischer Gruppen im Baskenland bei Verhören auch gefoltert worden seien.

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