Basistunnel:Symbol Gotthard

Basistunnel: German Chancellor Angela Merkel, left, and French President Francois Hollande, right, sit in the VIP-train Erst fuhren normale Bürger durch den neuen Tunnel, dann die Politelite (von links): Italiens Premier Matteo Renzi, der Schweizer Präsident Johann Schneider-Ammann, Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident François Hollande.

German Chancellor Angela Merkel, left, and French President Francois Hollande, right, sit in the VIP-train Erst fuhren normale Bürger durch den neuen Tunnel, dann die Politelite (von links): Italiens Premier Matteo Renzi, der Schweizer Präsident Johann Schneider-Ammann, Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident François Hollande.

(Foto: AP)

Der Gotthard-Basistunnel ist ein Jahrhundertbauwerk mitten in Europa, die Schweizer können stolz auf sich sein. Wie haben sie das geschafft? Und was bedeutet dieser Triumph?

Kommentar von Thomas Kirchner, Brüssel

Es hört sich banal an, so geringfügig: eine Stunde schneller von Zürich nach Mailand. Das ist der Fortschritt, den der neue Gotthard-Basistunnel samt Nebenstrecke für den alpenquerenden Schienenverkehr erbringt. Und doch bedeutet dieser Tempogewinn enorm viel in einer Zeit, in der immer mehr Waren schneller und weiter transportiert werden.

Kilo um Kilo müssen nun nicht mehr von stinkenden Lastwagen nach Göschenen hinauf und nach Airolo hinunter gewuchtet werden, sondern sie sausen bequem und ebenerdig mit 250 Stundenkilometern Richtung Tessin und umgekehrt. Den Bahnbetreibern entstehen weniger Betriebs- und Personalkosten.

Noch müssen jeweils zwei Lokomotiven die schwere Fracht die Rampen hinaufziehen, deren Steilheit mit allerlei Kehr- und sogar Spiraltunneln entschärft wird. Künftig reicht eine einzige Lok. Das alles macht den Umstieg des Güterverkehrs auf die Bahn attraktiv, ja zwingend, und stellt insofern besten Umweltschutz dar.

Vor allem aber ist das, was die Ingenieure zwischen Erstfeld und Bodio vollbracht haben, tatsächlich ein "Jahrhundertwerk", wie es der Schweizer Bundespräsident Johann Schneider-Ammann nannte, eine technisches Bravourstück, das trotz Computerisierung und Automatisierung keineswegs als selbstverständlich erscheinen sollte. Niemals zuvor ist ein so langer Tunnel durch ein so hohes, vielschichtiges Gebirge gegraben worden.

Zeitplan eingehalten

Anfang der 1990er-Jahre zitterten die Experten noch vor der Piora-Mulde, einer zuckerartigen Störzone. Erst Probebohrungen garantierten, dass diese Zone nicht bis zum Tunnelniveau herab reichte. Im butterweichen Tavetscher Zwischenmassiv wiederum kamen die Mineure nur einen Meter am Tag voran. Als eine deutsche Tunnelbohrmaschine am 15. Oktober 2010 unterhalb von Sedrun den Durchbruch schaffte, war das ein bewegender Moment.

Am Ende wurde der Bau mit elf Milliarden Euro etwas, aber nicht viel teurer als erwartet. Die Schweiz hielt sich auch genau an ihren Zeitplan. Auch das ist, angesichts von Projekten wie dem Berliner Flughafen oder der Hamburger Elbphilharmonie, eine große Leistung.

Meisterleistung der Schweiz, Dienst an der Natur

Die Schweizer, die sich gerne kleinmachen, an dieser Kleinheit aber auch notorisch leiden, dürfen mächtig stolz auf sich sein. Wie haben sie das geschafft? Geholfen hat sicher der Handlungszwang, unter dem das Land steht. Die Schweiz liegt nun einmal mitten in Europa, auf der wichtigen Nord-Süd-Achse in Verlängerung des Rheins.

Gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts ging die Angst um, das empfindliche Alpengebiet könnte von Lastwagen schlicht überrollt werden. Nach komplizierten Gesprächen mit der EU bestand die Lösung darin, dem durchreisenden Schwerverkehr eine umfassende Abgabe aufzuerlegen. Das Geld floss in einen Fonds, der, unberührt von den Unwägbarkeiten des Haushalts, einen großen Teil der Finanzierung des Tunnels deckte.

Die Bürger wurden, wie üblich in der Schweiz bei solchen Projekten, frühzeitig ins Boot geholt. Sie durften mitreden, mitentscheiden, und sie stimmten den Plänen umso bereitwilliger zu, als es nicht nur um den Schutz ihrer Alpen ging, sondern um die Durchbohrung, die Bezwingung eines großen Mythos.

Der Gotthard, dieses unwirtlich-graue Ensemble aus Gneis und Granit, Wasser- und Wetterscheide zwischen Nord und Süd, Trenn- und Verbindungslinie mehrerer Sprachen und Kulturen, symbolisiert letztlich auch die Schweiz als Ganzes. Hier liegt einer der Kraftorte Europas.

Bahnausbau mit Geld und Liebe

Wobei der bedingungslose Ausbau von Infrastruktur gerade nicht die Sache der Schweizer ist. Mit ihrer Verkehrspolitik versuchen sie, Mensch und Natur in Einklang zu halten. Etwa, indem sie den Individualverkehr zurückdrängen. In Städten wie Zürich ist das eigene Auto inzwischen mehr Qual als Lust, also lassen die meisten es weg.

In ihre Bahn wiederum investieren die Schweizer sehr viel Geld und Liebe; nirgends sonst wird dieses Verkehrsmittel, dessen Fahrpläne bis ins letzte Bergdorf perfekt ineinandergreifen, so intensiv genutzt. Mit riesigem Aufwand wurde die Strecke zwischen Zürich und Bern vor Jahren um 13 Minuten verkürzt, um sie endlich genau in den Stundentakt einzupassen. Heute nimmt kein Pendler mehr freiwillig das Auto für diesen Weg.

Hoffentlich gelang es den Schweizern, den zur Eröffnung geladenen europäischen Staatsleuten ein wenig von der Klugheit und der Bürgernähe zu vermitteln, mit der sie solche Projekte angehen. Oder wäre in Deutschland oder Frankreich jemand auf die Idee gekommen, in die ersten beiden Züge, die durch den neuen Tunnel fuhren, ganz einfache Menschen zu setzen, keine Politiker, keine Honoratioren?

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