Südasien :Friedensnobelpreisträger Yunus soll Bangladesch regieren

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Muhammad Yunus in Dhaka im Januar. (Foto: Mahmud Hossain Opu/DPA)

Nach dem Sturz von Premierministerin Sheikh Hasina haben sich Militär und Studenten auf Muhammad Yunus als Chef einer Übergangsregierung geeinigt. Dabei stand er eben noch vor Gericht.

Von David Pfeifer, Bangkok

Bis zum Wochenende musste Muhammad Yunus, 84, noch fürchten, den Rest seiner Tage in einem Gefängnis in Dhaka zu sitzen. Dann die plötzliche Wende: Dienstagnacht wurde der Friedensnobelpreisträger zum neuen Regierungschef von Bangladesch ernannt. Zunächst übergangsweise.

Am Montag war Premierministerin Sheikh Hasina, die wochenlang versucht hatte, die Demonstrationen der Studenten im Land blutig niederschlagen zu lassen, zurückgetreten und nach Indien geflohen. In der Nacht auf Mittwoch verkündete Mohammed Shahabuddin, Präsident von Bangladesch, dass er sich mit den Spitzen des Militärs und den Sprechern der Studentenbewegung getroffen, und man sich auf Muhammad Yunus als Chefberater einer Übergangsregierung geeinigt habe. De facto soll er so das Land regieren.

Auf ihn können sich im aufgewühlten Bangladesch alle einigen

Noch im Juni hatte Sheikh Hasina über Yunus gespottet: Der Brief, den andere Nobelpreisträger geschrieben hatten, um sich für den Friedensnobelpreisträger einzusetzen, sei „Werbung, die von ihm selbst bezahlt wurde“. Nun ist Yunus der Mann, auf den sich im aufgewühlten Bangladesch alle einigen können, die wütenden Studenten, das Militär, das Hasina am Montag das Vertrauen entzogen hatte. Und sicher auch die vielen Millionen armen Bangladescher, denen er mit seiner Grameen Bank in der Vergangenheit geholfen hatte.

Yunus hatte sich das Konzept einer Bank ausgedacht, die Kleinkredite von weniger als 100 Dollar an die Landbevölkerung ausgibt, damit diese sich eine Selbständigkeit aufbauen kann. Seine These war, dass der Kapitalismus an sich nicht schlecht sei, wenn die Armen denn daran teilhaben könnten. Revolutionär war dabei vor allem sein Ansatz, Mikrokredite nur an Frauen zu geben, die er als Multiplikatoren für sozialen Aufstieg identifiziert hatte, die obendrein auch für das Wohl und die weitere Bildung der Kinder und damit für die Zukunft verantwortlich sind. Das war Ende der 1990er-Jahre in einer mehrheitlich konservativen muslimischen Gesellschaft unerhört. Aber erfolgreich.

Seine Idee half so vielen Menschen aus der Armut, dass Yunus 2006 dafür den Friedensnobelpreis bekam. Trotzdem blieb er bescheiden und zugänglich, wie ehemalige Mitarbeiter berichten. Er wohnte weiterhin mit seiner Frau in einem schlichten, zweistöckigen Haus hinter dem Gebäude der Grameen Bank nahe der Altstadt. Doch unter Sheikh Hasinas Regime geriet er unter Druck. Als Hasina die Macht 2007 vom Militär übernehmen wollte, schlug Yunus stattdessen vor, eine neue, von der Geschichte unbelastete Partei zu gründen: „Citizens Power“. Die Kraft der Bürger sollte die Korruption im Land bekämpfen und die politischen Lager miteinander versöhnen.

Das machte ihn zum Widersacher von Sheikh Hasina, die 2008 als Regierungschefin eingesetzt wurde und seitdem nicht mehr von der Macht ließ. „Sie konnte nicht tolerieren, dass Dr. Yunus als politische Alternative angesehen wurde. Ihre Eifersucht wurde durch seinen Nobelpreis und die weltweite Unterstützung, die er erhielt, angeheizt“, sagte der in Dhaka ansässige politische Analyst Zahed Ur Rahman im Juni dieses Jahres vor dem Prozess gegen Yunus zum US-Sender Voice of America.

Yunus ist auf Kaution auf freiem Fuß, er befindet sich in Paris

Seit Juli dieses Jahres musste sich Muhammad Yunus vor Gericht verantworten, ihm wurde vorgeworfen, mehr als zwei Millionen US-Dollar aus einem Wohlfahrtsfonds der gemeinnützigen Grameen Telecom veruntreut zu haben. Die Grameen Telecom ist eine Untergruppe der Grameen Bank und finanziert sogenannte Village Phones, Mobiltelefone für arme Dorfbewohner, die sich mithilfe der Geräte eine Kleinselbständigkeit aufbauen können. Mit insgesamt fast 200 Anklagen wurde Yunus überzogen. Amnesty International bezeichnete den Prozess als „sinnbildlich für die angeschlagene Menschenrechtslage in Bangladesch, wo die Behörden die Freiheiten ausgehöhlt und Kritiker mit Bulldozern zur Unterwerfung gezwungen haben“.

Die Anklagen gegen ihn erregten weltweit aufsehen, sein Anwalt erklärte zum Prozessauftakt, dass Yunus im Falle einer Verurteilung eine „beträchtliche Haftstrafe, möglicherweise bis zu lebenslänglich“ drohen könnte. Yunus selbst schilderte seine Behandlung durch die Behörden als demütigend, da er während des Gerichtsverfahrens in einem Eisenkäfig festgehalten werde. „Soweit ich weiß, ist der Angeklagte so lange unschuldig, bis seine Schuld bewiesen ist“, sagte er zu Nachrichtenagenturen, nachdem er am 12. Juni in Dhaka zur Anhörung erschienen war und auf nicht schuldig plädiert hatte.

„Angesichts des Zustands des Rechts- und Justizsystems im Lande wird Dr. Yunus keine faire Behandlung erfahren“, sagte der politische Analyst Zahed Ur Rahman zum Prozessauftakt. Er vermutete Rache von Sheikh Hasina als Hauptmotiv für den Prozess. Yunus kam einstweilen gegen Kaution frei und befindet sich derzeit in Paris, um sich wegen gesundheitlicher Probleme behandeln zu lassen. Nahid Islam, Soziologie-Student an der Universität in Dhaka und einer der Hauptorganisatoren der Proteste gegen Hasina, sagte am Montag in einer Videobotschaft: „Jede andere Regierung als die von uns empfohlene würde nicht akzeptiert werden.“ Gemeint war Muhammad Yunus.

Bei gewalttätigen Ausschreitungen wurden etwa 300 Menschen getötet

Die Studenten hatten gegen die Quoten für die Vergabe von Arbeitsplätzen im öffentlichen Sektor an Familien von Veteranen des Unabhängigkeitskrieges von 1971 demonstriert, die als Mittel angesehen werden, um Arbeitsplätze für Verbündete von Hasinas Regierungspartei zu reservieren. Bei den gewalttätigen Ausschreitungen, die das Land seit Juli erschütterten, wurden etwa 300 Menschen getötet und Tausende verletzt. Mehr als 10 000 Oppositionelle sollen in Haft sitzen.

Sheikh Hasina war bereits von 1996 bis 2001 Premierministerin, ihre Flucht beendete nun ihre zweite, diesmal insgesamt 15-jährige Amtszeit. Zurückgelassen hat sie ein erschüttertes Land mit 170 Millionen Einwohnern, die auf einer Fläche leben, die etwa so groß ist wie Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz zusammen.

Die indische Regierung, die Hasina immer gestützt hat – auch als sie begann, mit zunehmender Härte gegen ihr Volk zu regieren –, gewährte ihr Asyl. Sie war am Montag auf einem Militärflughafen nahe Delhi gelandet und wollte mit ihrer Schwester weiter nach Großbritannien reisen. Das scheiterte allerdings an „technischen Hindernissen“, bedingt durch das britische Einwanderungsrecht. Das indische Außen-, Innen- und Verteidigungsministerium sowie die Geheimdienste beraten derzeit über einen geeigneten Aufenthaltsort für Hasina.

Yunus nannte ihren Rücktritt den „zweiten Tag der Befreiung“ des Landes. Er hat von Paris aus bereits sein Einverständnis erklärt, die Position zu übernehmen und wird in den kommenden Tagen nach Dhaka zurückkehren.

Es gab bislang keine direkte Stellungnahme von ihm und noch ist nicht bekannt, wann die Übergangsregierung die Geschäfte unter seiner Leitung aufnehmen wird. Yunus‘ Büro gab auch bekannt, dass Khaleda Zia, 78, ehemalige Premierministerin der oppositionellen Bangladesh Nationalist Party und langjährige Widersacherin von Sheikh Hasina, aus dem Hausarrest entlassen wurde. Es wird vermutet, dass Muhammad Yunus sie in eine neue, verbindende und versöhnende Regierung einbinden wird, so wie er es 2007 schon mit Sheikh Hasina tun wollte.

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