Bangladesch:Wo die Zyklone wüten

Lesezeit: 3 min

Die Insel Bhasan Char im Golf von Bengalen ist bislang unbewohnt - aus guten Gründen: Regelmäßig wüten dort Wirbelstürme und Fluten. Jetzt will Bangladesch bis zu 100 000 geflüchtete Rohingya aus Myanmar dorthin umsiedeln.

Von Arne Perras, Singapur

Jahrelang kümmerte sich nie-mand um die kleine Insel Bhasan Char, abgesehen von ein paar Piraten, die nach Beutezügen abgelegene Verstecke suchten. Nun aber wird viel geredet und viel gestritten über diesen großen Haufen aus Sand und Schlick, bewachsen von Gräsern, Büschen und Mangroven. Denn der Staat Bangladesch hat große Pläne für die Insel im Golf von Bengalen: Dhaka ist entschlossen, bis zu 100 000 geflohene Rohingya aus Myanmar dorthin umzusiedeln. Angeblich ist das nur als "vorübergehende Maßnahme" gedacht, aber das macht den kühnen Plan in den Augen von Kritikern nicht weniger fragwürdig. Flüchtlinge und deren Helfer sind alarmiert, weil sie die Insel für völlig ungeeignet halten, um Menschen für längere Zeit Zuflucht zu bieten.

Bhasan Char, etwa 30 Kilometer vor der Küste gelegen, ist erst vor 20 Jahren aus Sedimenten entstanden, welche die großen Flüsse aus den Bergen des Himalajas bis in den Ozean tragen. Viele Rohingya haben das Gefühl, sie sollen nun auf das kleine Schwemmland abgeschoben werden, dessen Größe im Zyklus von Ebbe und Flut ständig hin- und herschwankt. Doch das ist noch nicht alles. Denn über den Golf von Bengalen rasen jedes Jahr verheerende Zyklone. Sie verwüsten häufig das Küstenland und verursachen vielerorts schlimme Überschwemmungen. Wie eine große Zahl von Flüchtlingen auf einer so flachen Insel eine Sturmkatastrophe überstehen soll, fragen sich viele. Kritiker halten das Vorhaben deshalb für riskant bis verantwortungslos. Doch aus dem Büro der Premierministerin ist zu hören, dass sich niemand zu sorgen brauche und dass die Gegner des Plans "keine Ahnung" hätten von den Verhältnissen. Die Regierung verspricht, sturmsichere Schutzräume auf Bhasan Char zu bauen und dazu einen großen Deich, der neue Bewohner vor Flutwellen und Stürmen abschirmen soll.

Aussicht: ungewiss. Eine Frau im Camp Kutupalong, nahe der Grenze zu Myanmar. Es gilt als größtes Flüchtlingslager der Welt. (Foto: Munir Uz Zaman/AFP)

Dhaka will das 280-Millionen-Dollar-Vorhaben also durchzuziehen, aller Kritik zum Trotz. Doch die Risiken lassen sich nur schwer ausblenden. Selbst aus den Reihen der Regierungsbeamten meldeten sich Zweifler zu Wort, wenn auch anonym, weil sie den Druck der Regierung fürchten. Ein Insider, der die Küste gut kennt, sagte, dass die Umsiedlung keine gute Idee sei, weil die Insel regelmäßig überflutet werde. Doch das scheint Premierministerin Sheikh Hasina kaum zu beeindrucken, sie vertraut ganz auf die Kunst der Ingenieure und den neuen Deich. Längst haben Bautrupps mit Baggern die Insel erobert, sie sollen den Boden bereiten für die geplante Massenumsiedlung.

Die große Mehrheit der Rohingya lehnt es vorerst ab, in ihre Heimat zurückzukehren

Satellitenbilder zeigen neue Straßen, die Zeitung Dhaka Tribune veröffentlichte Zeichnungen der Behausungen, außerdem wird berichtet, dass britische und chinesische Ingenieure an dem großen Wall bauen, der die künftigen Bewohner vor den drohenden Fluten abschirmen soll.

Dreihundert Kilometer weiter südöstlich, in den Lagern nahe der Grenze zu Myanmar, herrscht unterdessen qualvolle Enge. Einheimische, die nun in der Gegend schon zu einer Minderheit geworden sind, klagen, dass die Kriminalität steige, dass die Vertriebenen aus dem Nachbarland Bäume abholzten und Früchte aus Gärten holten, die lokalen Bauern gehörten. Es gibt wachsende Spannungen und die Regierung in Dhaka weiß es. Seit August 2017 sind nahezu 700 000 Menschen von Myanmar nach Bangladesch geflohen, wo zuvor bereits 300 000 Rohingya in Lagern lebten. Die Regierung steht unter wachsendem Druck, Lösungen für eine Millionen Vertriebene zu finden, die staatenlos sind, weil Myanmar sie nicht als Bürger anerkennt.

Das alles hat die Idee, Bhasan Char als Ausweichort für die Rohingya zu entwickeln, mit befördert. Die Bauarbeiten auf der Insel schreiten voran, während Hunderttausende Flüchtlinge dreihundert Kilometer weiter südöstlich bangend in die nahe Zukunft blicken: "Wir haben Angst vor dem großen Regen, der nun bald hereinbrechen wird", textete diese Woche der junge Flüchtling Habiz Ullah aus dem Lager Kutupalong. Der 21-Jährige sagt, die Unruhe wachse, weil die Leute nicht wüssten, wie sie sich in den überfüllten Lagern südlich von Cox's Bazar vor dem Monsun schützen sollen, der in den kommenden Wochen erwartet wird. Eine Untersuchung der Vereinten Nationen hat ergeben, dass 100 000 Rohingya von Erdrutschen bedroht sind, wenn starker Regen die steilen Hänge in den überfüllten Camps aufweicht.

Mit einer raschen Rückführung von Flüchtlingen nach Myanmar ist nicht zu rechnen. Zwar haben beide Staaten noch vergangenes Jahr ein entsprechendes Abkommen geschlossen. Doch eine hochrangige UN-Delegation, die vor wenigen Tagen Myanmar besuchte, kam zu dem Schluss, dass die Bedingungen für eine Rückkehr der muslimischen Minderheit nicht günstig seien. Nach wie vor ungeklärt ist die Frage, wie die Sicherheit von Rückkehrern garantiert werden kann. Die große Mehrheit der Rohingya in den Lagern in Bangladesch lehnt es vorerst ab, in ihre Heimat zurückzukehren. Sie haben Angst vor dem Militär, das sie vertrieben hat, sie fordern internationale Garantien zu ihrem Schutz, mehr Bewegungsfreiheit und die Anerkennung als Staatsbürger Myanmars, was ihnen bislang verwehrt geblieben ist.

© SZ vom 11.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: