Süddeutsche Zeitung

Bangladesch:Dem Untergang geweiht

  • Bangladesch will Tausende Rohingya-Flüchtlinge auf eine entlegene Insel umsiedeln.
  • Doch das aus Sediment-Ablagerungen entstandene Eiland wird bei Stürmen in kürzester Zeit überflutet.
  • Menschenrechtler sind sprachlos, für andere sind die Pläne einfach nur grausam.

Von Arne Perras, Singapur

Rechtzeitig zum Monatsende meldete die Marine von Bangladesch: Alles bereit. Die Arbeiten auf der vorgelagerten Insel Bhasan Char sind demnach so gut wie abgeschlossen, alle Unterkünfte fertig. Nun fehlen nur noch die Bewohner, die Premierministerin Sheikh Hasina dort gerne ansiedeln möchte.

100 000 Menschen hätten Platz in den neuen Behausungen von Bhasan Char, erklärt die Regierung. Doch Kritiker haben große Zweifel, dass eine kleine Schlickinsel im Indischen Ozean tatsächlich geeignet ist für einen solchen Umzug.

Bhasan Char - kaum doppelt so groß wie Amrum - provoziert Streit weit über die Grenzen des asiatischen Staates hinaus. Es geht um die Sicherheit von Flüchtlingen und um deren Würde.

Bangladesch möchte einen Teil der vertriebenen Rohingya aus Myanmar, die sich seit 2017 in riesigen Lagern entlang der Grenze drängen, auf die entlegene Insel umsiedeln. Dafür hat der Staat umgerechnet 250 Millionen Euro investiert und drei Jahre lang gebaut. Luftbilder zeigen auf der Insel eng stehende, lange Gebäude mit roten Dächern, die an eine Militärkaserne erinnern.

Rund um die Siedlung haben Bautrupps Flutbarrieren errichtet, weil man weiß, dass die Insel bei schwerem Wetter leicht überschwemmt wird. Der Staat versichert, dass der Hochwasserschutz taugt, aber Flüchtlingshelfer sind skeptisch. Die USA wollen, dass Dhaka den Umzug zumindest so lange aufschiebt, bis unabhängige Experten die Insel überprüft haben. Ob sich die Regierung darauf einlässt, ist bisher offen, immer wieder hat sie auf einen baldigen Transfer gedrängt.

Die Insel besteht aus abgelagerten Sedimenten

Um Bhasan Char zu erreichen, braucht man von der nächsten menschlichen Siedlung mit dem Boot mehr als zwei Stunden. Vor zwanzig Jahren hat es diesen Ort noch gar nicht gegeben, 2002 wurde die Insel erstmals gesichtet. Sie besteht aus abgelagerten Sedimenten, wie sie von den großen Strömen Südasiens - Meghna, Brahmaputra und Ganges - durch das Delta in den Indischen Ozean hinaustragen werden.

Bhasan Char bedeutet auf Bengali "schwimmende Insel", sie hat seit ihrer Entstehung mehrfach ihre Form und Größe verändert, wie Satellitenbilder zeigen. Sie ist mit Wasserkanälen durchzogen, rundherum wachsen Mangroven, aber es hat sich hier nie jemand dauerhaft niedergelassen, was darauf hindeutet, dass die Einheimischen großen Respekt vor den Tücken dieser noch recht jungen Insel haben.

Bhasan Char ist so flach, dass große Teile in kürzester Zeit überfluten, wenn es in den Monsunmonaten heftig regnet oder wenn Zyklone auf das Delta zurasen und Sturmfluten aufpeitschen. Ein Bericht der Forstbehörde listete die Gefahren schon im Februar 2017 auf, doch die Regierung ging dennoch voran, sie kam zu dem Schluss, dass man mit technischen Mitteln der Risiken schon Herr werden könne. Sie ließ also rundherum Flutbarrieren errichten, dazu mächtige Pylonen, die eine Erosion des Bodens verhindern sollen. Und turmähnliche Schutzräume für die künftigen Bewohner, wenn Stürme toben.

Flüchtlingsexperten reagierten anfangs sprachlos, manche hielten das Vorhaben für einen Witz, was sie so allerdings nur in privaten Gesprächen äußerten. Bangladesch ließ sich unterdessen nicht vom Plan abbringen. Solartechnik wird dort draußen Strom liefern, Sammelanlagen Regenwasser auffangen. Und die ersten Flüchtlinge könnten schon im November übergesetzt werden, berichteten Medien in Bangladesch.

In lokalen Zeitungen ist von 4000 bis 7000 Flüchtlingen die Rede, die auf Listen der Regierung stehen und den Anfang machen sollen. Niemand solle zu einem Umzug gezwungen werden, versichern Vertreter der Regierung. Aber das Wort "freiwillig" hat einen hohlen Klang für Menschen, die zur Flucht aus ihrer Heimat gezwungen wurden und nun in eine ungewisse Zukunft blicken.

Der Flüchtling Abul Kalam sagte der Zeitung New Age, dass die Regierung ihnen Versprechungen gemacht habe. Der neue Ort auf der Insel sei sicher und es werde für sie gesorgt. "Wir haben ja kaum eine andere Wahl, als dorthin zu gehen, denn wir können nicht zurück nach Hause nach Rakhine."

Er spricht von seiner Heimat im Westen Myanmars, wo das Militär 700 000 Muslime vertrieb. Es war der größte asiatische Exodus seit dem Vietnamkrieg. Myanmar verweigert den Rohingyas Staatsbürgerrechte. Die UN beklagen, dass die religiöse Minderheit 2017 mit "genozidaler Absicht" aus dem überwiegend von Buddhisten bevölkerten Myanmar vertrieben worden sei. Die Täter blieben bisher straffrei.

Wie ein Gefängnis für die Rohingya

Für die Rohingya bedeutet dies, dass ihnen der Weg in die Heimat versperrt ist, eine Rückkehr nach Myanmar wäre lebensgefährlich. Viele lehnen einen Umzug auf die Insel ab. Als die Regierung die Pläne für Bhasan Char, erstmals bekannt machte, sagten manche Rohingya, dass sie lieber sterben wollten als hinaus aufs Meer zu ziehen. Der 23-jährige Maung Maung Soe sagte dem australischen Newsnetwork ABC: "Bhasan Char wird wie ein Gefängnis für die Rohingya sein."

Brad Adams von Human Rights Watch Asia drückte in einem Kommentar aus, was viele Flüchtlingshelfer denken: "Verfolgte und traumatisierte Menschen einfach auf Bhasan Char abzuladen, wo ihr Leben erneut in Gefahr ist, das bringt keine Lösung". Er nannte den Plan schon 2017 "grausam" und "nicht umsetzbar". Hinzu kommen Befürchtungen, dass eine massenhafte Umsiedlung an ungeeignete Orte neue Krisen provoziert.

Erfahrungen mit Flüchtlingszentren auf pazifischen Inseln, die Australien nutzt, um Migranten fernzuhalten, sind warnende Beispiele. Sie gleichen Internierungslagern, Menschen leiden dort unter gewaltigem psychischen Stress, weil die Orte keine Beschäftigung bieten, weil sie ausweglos erscheinen.

Dhaka drängt darauf, dass die Internationale Gemeinschaft die Pläne absegnet, die Vereinten Nationen sind noch damit beschäftigt, das Vorhaben zu prüfen. Der Druck aber wächst, denn kaum ein Land ist bereit, Rohingya aufzunehmen, um Bangladesch zu entlasten. Insofern sieht sich Dhaka gezwungen, selbst neue Plätze zu finden in einem Staat, der schon ohne Flüchtlinge extrem dicht besiedelt ist und durch einen steigenden Meeresspiegel auch noch viel Land verlieren wird.

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SZ vom 02.11.2019/lala
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