Irgendwo muss die Wut hin, und so zogen Mittwochnacht wieder Tausende Demonstranten durch Dhaka, hin zum Haus ihres Staatsgründers, der Bangladesch einst die Unabhängigkeit von Pakistan erstritten hatte, und setzten es in Brand. Einige waren mit Stöcken, Hämmern und Äxten ausgerüstet. Andere brachten sogar Bagger und Kräne mit, um das einstige Haus von Sheikh Mujibur Rahman abzureißen, und das Unabhängigkeitsdenkmal, das davorstand, gleich dazu.
In diesem Haus verkündete Rahman im Jahr 1971 die Unabhängigkeit Bangladeschs. Hier wurde Sheikh Mujibur Rahman 1975 auch ermordet, mit seiner Familie. Seine Tochter Hasina, die das Attentat überlebte, weil sie mit ihrer Schwester in Deutschland war, ließ das Haus später, als sie selbst Premierministerin wurde, zu einem Museum umbauen. Die Legitimität ihrer zunehmend autokratischen Herrschaft zog sie aus der Tatsache, dass ihr Vater die Freiheit für das Land erkämpft hatte.
Nach der Rede riefen die Demonstranten zur „Bulldozer-Prozession“ auf
Die Zerstörung des Hauses war eine Eskalation auf Ansage. Die Ex-Premierministerin, die im vergangenen Jahr nach wochenlangen, blutigen Protesten aus dem Land fliehen musste und seitdem im Exil in Indien lebt, hatte eine große Rede an ihr ehemaliges Volk angekündigt. Die Demonstranten hatten daraufhin zu einer „Bulldozer-Prozession“ aufgerufen. Als Sheikh Hasina am Mittwochabend um 21 Uhr zu sprechen begann, online nach Bangladesch übertragen, stürmten die Demonstranten das Haus ihres Vaters und begannen, die Ziegelmauern einzureißen. „Sie haben nicht die Macht, die Unabhängigkeit des Landes mit Bulldozern zu zerstören. Sie können vielleicht ein Gebäude zerstören, aber sie werden nicht in der Lage sein, die Geschichte auszulöschen“, sagte Hasina in ihrer Rede, während der Abriss weiterging, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet.
Die Verdienste des Vaters sind unbestritten im Land. Doch die jungen Demonstranten, vorwiegend Studenten, wollten schon im vergangenen August nichts mehr hören vom blutigen Trennungskrieg, den Bangladesch 1971 kämpfen musste, und der bis zuletzt als Grundlage für eine Quotenregelung diente, mit der den Nachfahren der Widerstandskämpfer weiterhin Studienplätze und Jobs zugeschanzt wurden. An dieser Regelung hatten sich die Proteste im vergangenen Jahr entzündet, und auch am Mittwoch wurde die Demonstration von der Gruppe „Studenten gegen Diskriminierung“ zusammengerufen.
Seit ihrer Vertreibung ätzt die Ex-Premierministerin gegen die Übergangsregierung unter dem Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus, die versucht, das von Korruption und Vettern-Wirtschaft nahezu ruinierte Land wieder aufzubauen. Mindestens zwei Jahre wird das noch dauern, nach Einschätzungen der Studenten, die an dieser Regierung beteiligt sind. Das ist eine lange Zeit, wenn man bedenkt, dass es mit jedem Tag schwieriger wird, das Land zu regieren. Der Druck auf die Übergangsregierung wächst aus allen Richtungen.
Viele ehemalige Spitzenpolitiker sind untergetaucht oder außer Landes geflohen
So hat auch die ehemalige Premierministerin Khaleda Zia, Erzfeindin von Sheikh Hasina, sich vor zwei Wochen dafür ausgesprochen, dass bereits im August 2025 Wahlen abgehalten werden sollten. Sie verwies auf die politische und wirtschaftliche Instabilität Bangladeschs, aber es geht ihr vermutlich darum, dass ihre Partei in der derzeitigen Situation an die Regierung gewählt werden würde. Die Demonstrationen haben sich nach dem Sturz der Hasina-Regierung zwar beruhigt, aber die einzelnen Interessengruppen gehen trotzdem weiter auf die Straße. Manchmal schlagen solche Proteste auch in Gewalt um, nicht zuletzt gegen Journalisten oder Hindus, die im mehrheitlich muslimischen Bangladesch eine Minderheit sind.
Seit der Revolution im vergangenen Sommer wurden Untersuchungen gegen Sheikh Hasina und viele Mitglieder ihrer Partei eingeleitet, wegen Massenmord, Geldwäsche, Bestechung und massiver Korruption. Viele ehemalige Spitzenpolitiker sind untergetaucht oder außer Landes geflohen. Wie weit der Nepotismus ging, zeigt am besten der Rücktritt der britischen Ministerin Tulip Siddiq, 42, einer Nichte von Sheikh Hasina, am 15. Januar. Die Übergangsregierung versucht Vermögen, welches vom Sheikh-Hasina-Regime ins Ausland geschafft wurden, wieder nach Bangladesch zu holen. In diesem Zusammenhang waren die Vorwürfe gegen die Hasina-Nichte in England ans Licht gekommen.
Die Anti-Korruptions-Kommission hatte finanzielle Unregelmäßigkeiten in Milliardenhöhe bei der Vergabe eines 12,65 Milliarden US-Dollar schweren Atomkraftvertrags festgestellt und Hasina und Siddiq vorgeworfen, davon profitiert zu haben. Zudem lebt Siddiq in einer Immobilie im Norden Londons, die ihrer Familie im Jahr 2009 von Moin Ghani, einem bangladeschischen Anwalt, geschenkt wurde, der Hasinas Regierung vertrat. Siddiq erwarb 2004 außerdem eine weitere Immobilie in London, ohne dafür zu bezahlen – von einem Bauträger, der mit der Awami-Liga, der Partei von Sheikh Hasina, verbunden ist, wie die Financial Times im Januar berichtete.
Ein Vertreter der Yunus-Regierung erklärte nach Siddiqs Rücktritt, die Ministerin habe die Herkunft bestimmter Vermögenswerte wohl nicht ganz verstanden, „aber sie weiß es jetzt und sollte das Volk von Bangladesch um Vergebung bitten.“ Ironischerweise war Siddiq in der britischen Regierung ausgerechnet für Finanzdienstleistungen und Korruptionsbekämpfung zuständig. Sie hat jedes Fehlverhalten abgestritten. Genau wie ihre Tante.