Ban Ki Moons Fünf-Punkte Plan:"Das Erbe von Tschernobyl"

Nukleare Unfälle machen nicht an Ländergrenzen halt: 25 Jahre nach Tschernobyl mahnt UN-Generalsekretär Ban Ki Moon eine weltweite Debatte über Kernkraft an - und fordert schärfere Regeln für die Atomsicherheit auf internationaler Ebene.

Ban Ki Moon

Der Südkoreaner Ban Ki Moon ist seit 2007 Generalsekretär der Vereinten Nationen. Vor wenigen Tagen hat er die Atomruine Tschernobyl besucht. In einem Gastbeitrag für sueddeutsche.de mahnt er eine weltweite Debatte über Kernkraft an.

Vor 25 Jahren sorgte die Explosion in Tschernobyl für eine atomare Wolke über Europa. Heute sorgt die Katastrophe im japanischen Atomkraftwerk Fukushima für allgemeine Ängste und wirft viele Fragen auf.

Als ich vor einigen Tagen Tschernobyl besuchte, sah ich den Reaktor, der mit Beton ummantelt ist, aber weiter eine tödliche Gefahr bedeutet. Der Ort selbst war tot und still. Die Häuser stehen leer und verfallen. Es sind stumme Zeichen einer Welt, die aufgegeben werden musste und die verloren ist, für die, die sie geliebt hatten. Mehr als 300.000 Menschen sind durch die Katastrophe von Tschernobyl vertrieben worden. Knapp sechs Millionen waren betroffen. Eine Fläche - halb so groß wie Italien oder wie meine Heimat Südkorea - wurde verstrahlt.

Es ist eine Sache, sich aus der Ferne über Tschernobyl zu informieren. Eine andere Sache ist es, diesen Ort zu sehen. Für mich war diese Erfahrung sehr bewegend und ich werde die Bilder noch lange Jahre in mir tragen. Ich erinnerte mich an ein ukrainisches Sprichwort: "Es gibt nicht die Sorgen eines anderen." Das gilt auch für nukleare Katastrophen. Es gibt nicht die Katastrophe eines anderen Landes.

Nukleare Unfälle machen nicht vor Grenzen Halt, das lernen wir wieder sehr schmerzlich. Sie bedeuten eine direkte Gefahr für die menschliche Gesundheit und Umwelt. Sie sorgen für wirtschaftliche Störungen - in der Landwirtschaft, im Handel und bei weltweiten Dienstleistungen.

Jetzt ist die Zeit, um gründlich nachzudenken, es ist eine Zeit für eine echte weltweite Debatte. Für viele ist Atomenergie eine saubere und logische Wahl in einer Zeit, die knapp an Ressourcen ist. Haben wir aber wirklich die Risiken und Kosten richtig kalkuliert? Unternehmen wir alles, damit die Menschen weltweit sicher leben? Weil die Folgen katastrophal sind, muss Sicherheit Vorrang haben. Weil die Folgen global sind, muss über dieses Thema weltweit diskutiert werden.

Deshalb habe ich, 25 Jahre nach der Katastrophe von Tschernobyl, einen Fünf-Punkte-Plan aufgestellt, um die Atomsicherheit künftig zu verbessern:

Erstens müssen wir die jetzigen Sicherheitsstandards prüfen, auf nationaler und internationaler Ebene.

Zweitens müssen wir die Arbeit der Internationalen Atomenergiebehörde im Bereich der nuklearen Sicherheit stärken.

Drittens müssen wir die neue Verbindung zwischen Naturkatastrophen und nuklearer Sicherheit mehr beachten. Der Klimawandel sorgt für häufigere Katastrophen. Da die Zahl der Atomanlagen in den nächsten Jahrzehnten beträchtlich zunehmen wird, wächst unsere Verwundbarkeit.

Viertens müssen wir die Kosten und Nutzen der Atomenergie neu berechnen. Katastrophenvorsorge und mögliche Kosten nach Atomunfällen müssen einbezogen werden.

Fünftens müssen wir die Atomsicherheit stärken. In einer Zeit, in der Terroristen nukleares Material nutzen wollen, müssen wir mit Vertrauen sagen können, dass eine Atomanlage, die sicherer für die Menschen in der Umgebung ist, auch gleichzeitig mehr Sicherheit für die Welt bedeutet.

Mein Besuch in Tschernobyl war nicht der erste Besuch einer atomaren Anlage. Vor einem Jahr war ich im kasachischen Semipalatinsk, in der Atomwaffentestanlage der früheren Sowjetunion. Letzten Sommer traf ich in Japan Überlebende der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki.

Ich besuchte diese Orte, um darauf hinzuweisen, wie wichtig Abrüstung ist. Seit Jahrzehnten versuchen die Verhandlungspartner, ein Abkommen über die Begrenzung (und ein später mögliches vollständiges Verbot) von Atomwaffen zu erzielen. Dieses Jahr haben wir sehr große Fortschritte gesehen.

Angesichts der Ereignisse von Tschernobyl und Fukushima müssen wir unseren Blick erweitern. Wir müssen das Thema der nuklearen Sicherheit genauso ernst nehmen, wie das der nuklearen Waffen.

Die Welt war Zeuge aufreibender Beinahe-Unfälle. Wir müssen die Fakten zur Kenntnis nehmen. Es geht um das Wohl aller Menschen. Wir brauchen internationale Regeln für den Bau, für die öffentliche Sicherheit, volle Transparenz und einen länderübergreifenden Informationsaustausch.

Das muss das Erbe von Tschernobyl sein. In der Stille sah ich Zeichen, dass das Leben dorthin zurückkehrt. Ein neuer Schutzmantel wird über dem zerstörten Reaktor entstehen. Die Menschen beginnen zurückzukehren.

Lassen Sie uns alles tun, um die Schatten von Tschernobyl zu vertreiben und den Menschen eine bessere Zukunft zu geben.

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