Bamf-Skandal:Seehofer gibt sich als großer Aufklärer

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  • Die Sondersitzung zum Bamf-Skandal zeigt, wie derzeit in Berlin die politischen Fronten verlaufen.
  • Der Bundesinnenminister gibt sich als großer Aufklärer, die SPD klingt wie die Opposition, die FDP schreit nach einem U-Ausschuss. Die AfD gießt weiter Öl ins Feuer.
  • Die Sitzung geht mit der Ankündigung zu Ende, dass es alsbald eine nächste Sondersitzung geben wird.

Von Stefan Braun, Berlin

Heute soll Horst Seehofer also der Zeigefinger helfen. Als Wegweiser und als Zeichen der Entschlossenheit des Bundesinnenministers. Mit einem solchen Zeigefinger tritt der CSU-Chef am Dienstag aus dem Aufzug und schiebt sich schnurstracks Richtung Sitzungssaal des Bundestags-Innenausschusses. Resolut wirkt das, fast ein bisschen gefährlich. Dazu wirft er den Journalisten ein stolzes "Ein Mann, ein Wort" entgegen, lächelt dabei und verschwindet.

Seit gut zwei Monaten ist Seehofer im Amt. Und seither hat es noch fast keinen Tag gegeben, an dem der CSU-Chef nicht mittendrin gesteckt hätte im politischen Getümmel der Hauptstadt. Heute ist das auch nicht anders. Und wenn man bedenkt, dass manche Beobachter schon über die schlimmste Krise seiner Karriere schwadronieren, dann verkennen die, wie sehr Seehofer genau das braucht und genießt: Im Zentrum der Auseinandersetzung zu stehen.

Zumal er zwar seit den ersten Berichten über Unregelmäßigkeiten in der Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge in Bremen noch mehr zu tun hat, aber keineswegs fürchten muss, dass ihm selbst der Skandal gefährlich werden könnte. Im Gegenteil. Wer ihn an diesem Nachmittag sieht, wer ihn wie die Abgeordneten gleich darauf im Ausschuss selbst erlebt, ahnt schnell, dass Seehofer die Rolle des besonders entschlossenen Aufklärers nicht als Last, sondern als große Lust empfindet.

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Seehofer - das "politische Tier"

Dazu passt, dass Seehofer schon früh an diesem Nachmittag auch gestandene Abgeordnete mit der Botschaft überrascht, er habe einen "wirklich, wirklich unabhängigen Ermittler" berufen, der die Vorgänge rund um den Skandal von Bremen nochmal überprüfen soll - und dabei ganz ausdrücklich auch die Abläufe im Innenministerium unter die Lupe nehmen wird. "Der ist ein politisches Tier", sagt der Grüne Konstantin von Notz später über Seehofer. Und räumt dabei ein, dass ihm das schon Respekt abringe. Ruhig, entschlossen, angstfrei trete Seehofer auf. Und ziemlich gelassen.

Um das zu verstehen, muss man sich daran erinnern, dass Seehofer das Bundesinnenministerium in den letzten vier Jahren eher gehasst als geliebt hat. Wenn jetzt also Vorkommnisse auftreten, die so gut wie alle in die Amtszeit seines Vorgängers Thomas de Maizière fallen, dann klingt das zwar wie eine Krise unter seiner Führung. Verantwortung aber wird er dafür kaum übernehmen müssen.

Und das gilt umso mehr, wenn er wie am Dienstag aus der Union massiv unterstützt wird. Insbesondere der CDU-Innenexperte Armin Schuster stärkt Seehofer den Rücken. Er ist es, der daran erinnert, dass Seehofer das BMI und das Bamf in der Vergangenheit eher kritisiert als geliebt habe. "Wer also könnte besser geeignet sein, um den Skandal aufzuklären", sagt Schuster und lächelt. Wie Seehofer hat Schuster die Flüchtlingspolitik Angela Merkels früh kritisch gesehen; wie Seehofer kritisierte er die heftigen Organisationsprobleme; wie Seehofer fühlt er sich jetzt also im stillen bestätigt.

Schuster gibt Entwarnung

Mit Blick auf die Ereignisse in Bremen spricht Schuster von einem "kriminellen Asylbetrug", betont aber auch, dass es bislang keine Hinweise für Vergleichbares in anderen Außenstellen des Bamf gegeben habe. Schuster freilich ist es auch, der an einer Stelle Entwarnung gibt: Nach Prüfung durch die Sicherheitsbehörden sei nämlich klar, dass keine Gefährder von den unsauberen Verfahren in Bremen profitiert hätten.

So gesehen passt es ins Bild, dass Schuster einerseits hart auftritt, vor allem gegen die alten Führungen von Bamf und BMI, andererseits aber einen U-Ausschuss ablehnt. Wer den fordere, verfolge ganz andere politische Ziele als hier und jetzt diese Affäre aufzuklären.

Ob er damit seinen Koalitionspartner von der SPD gemeint hat, lässt der CDU-Politiker offen. Ausgeschlossen aber ist das nicht. Denn Burkhard Lischka, Innenexperte der Sozialdemokraten, redet und klingt an diesem Nachmittag wie einer, der nur darauf wartet, dass die Union ein Problem hat. Gleich mehrfach verlässt er den Ausschuss, um den Journallisten zu erklären, dass es hier "einen handfesten Skandal" gebe, entstanden in einer "Mischung aus Schlamperei und Gleichgültigkeit", ausgelöst durch mangelnde Kontrolle im Bamf und im Innenministerium.

Lischka schimpft, Lischka fordert zusätzliche Informationen, Lischka spricht von der Möglichkeit eines U-Ausschusses, als sehne er sich danach, endlich aus dem mühsamen Leben eines Koalitionspartners auszubüchsen.

Noch entschiedener sind da - neben dem immer alles verdammenden Gottfried Curio von der AfD - nur die Freien Demokraten. Deren Innenexperte Stephan Thomae erklärt zunächst, man werde sich alle Zeit lassen, um den Minister und die Präsidentin des Bamf zu befragen. Doch noch bevor dies ausführlich stattfindet, fügt Thomae hinzu, dass er die Forderung nach einem U-Ausschuss "selbstverständlich aufrecht" erhalte. Diese Affäre nämlich, die "eine Dimension und Tiefe angenommen hat, die vor einigen Wochen noch nicht vorstellbar gewesen wäre", könne am Ende nur von einem Ausschuss untersucht werden, der Zeit habe, Akteneinsicht nehmen und Zeugen vorladen könne. Und das sei nur ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss.

So locker und leicht und ein bisschen voreilig die Liberalen also auftreten, so schwer tun sich die Grünen mit der Frage, ob sie am Ende ja zu einem U-Ausschuss sagen würden. Von Notz und seine Kollegin Luise Amtsberg geben sich alle Mühe, fürs Erste zu erklären, warum sie das zum jetzigen Zeitpunkt für falsch halten. "Das würde die Ermittlungen sofort beenden und auf die Zeit nach der bayrischen Landtagswahl verschieben", erklärt von Notz. Und er begründet das mit den in solchen Fällen tatsächlich üblichen Verfahren.

"In diesem Moment würden drei Monate ins Land gehen, bis wir uns auf einen gemeinsamen Auftrag verständigen", warnt der Innenexperte von den Grünen. "Und dann vergehen noch mal drei Monate, bis die ersten Akten da sind." Genau diese Verzögerung aber dürfe es jetzt nicht geben. Zu dringlich seien Reformen, die sofort "für nachhaltige rechtsstaatliche Asylverfahren sorgen", fordert Amtsberg.

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Das BMI bestätigt vieles, was schon vorher bekannt war

Ob sie diese Linie noch lange durchhalten können, ist nicht sicher. Immerhin aber können sie am Dienstag einen kleinen Zwischenerfolg verbuchen. Sie waren im Vorfeld die einzigen, die einen umfassenden Fragenkatalog zu den Vorkommnissen in Bremen eingereicht hatten - und sie sind deshalb auch die einzigen, die behaupten können, sich tatsächlich und schnell um eine Aufklärung zu bemühen.

Da kommt es ihnen durchaus zupass, dass das Innenministerium unmittelbar vor der Sitzung Antworten abliefert. Dabei wird zwar vieles bestätigt, was vorher schon bekannt war. Trotzdem nimmt von Notz es zum Anlass, Seehofer und dem BMI einen Willen zur Transparenz zu bescheinigen. Notz macht daraus einen Etappensieg der Grünen; Tatsache ist, dass Seehofer bei seinem Versprechen, alles offen zulegen, daran ohnehin kaum vorbeigekommen wäre.

Eines wollen die Grünen überdies nicht zulassen: Dass Seehofer wie der große Aufräumer auftritt, der mit der Politik der Regierung bis vor zwei Monaten überhaupt nichts zu tun hatte. "Er war in jeder wichtigen Sitzung dabei", sagt von Notz mehrfach, "er gehörte immer zum engsten Kreis des Koalitionsausschusses, er kann nicht so tun, als sei er nirgendwo dabei gewesen."

Bei aller Zurückhaltung, die sie aktuell pflegen, um der AfD keine Bühne zu bieten - dem Eindruck, sie würden deshalb schon fast mitregieren, wollen die Grünen dann doch entgegentreten.

Und wie endet das Ganze, jedenfalls an diesem Dienstag? Die Sitzung geht mit der Ankündigung zu Ende, dass es alsbald eine nächste Sondersitzung geben wird, auch mit dem ehemaligen Bundesinnenminister de Maiziere. Und sie endet nach gut fünf Stunden mit einem Horst Seehofer, der den Abgeordneten "totale Transparenz" verspricht; einem Innenminister, der der Bevölkerung eine umfassende Aufklärung nebst nötiger Konsequenzen zusagt. Einem Kabinettsmitglied, das der Bamf-Präsidentin den Rücken stärkt. Und einem CSU-Chef, der sich "Namens der gesamten Bundesregierung" für das zerstörte Vertrauen entschuldigt.

Keiner soll kommen und behaupten können, Horst Seehofer habe die Sache nicht ernst genommen.

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