Verstöße gegen Asylrecht:Staatsanwaltschaft wirft Ex-Bamf-Chefin zahlreiche Straftaten vor

BAMF

Die Bamf-Außenstelle in Bremen, in der übermäßig viele Flüchtlinge positive Asylbescheide bekommen haben

(Foto: Carmen Jaspersen/dpa)
  • 121 Straftaten werden der früheren Leiterin der Bremer Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) sowie zwei auf Asylrecht spezialisierten Anwälten vorgeworfen.
  • Unter anderem hätten sie rechtswidrig dafür gesorgt, dass bereits abgelehnte Asylbewerber in Deutschland bleiben konnten.
  • Die Angeschuldigten bestreiten die Vorwürfe.

Von Ralf Wiegand, Bremen

Nie zuvor in der Kriminalgeschichte des Bundeslandes Bremen haben so viele Ermittler gleichzeitig an der Aufklärung eines Falls gearbeitet. Die polizeiliche Ermittlungsgruppe 501, Rufname "Antrag", zählte in der Spitze 45 Köpfe. Seit Mai 2018 recherchierten sie die Details zu einem Fall, der seinen eigenen Wikipedia-Eintrag hat, er heißt dort "die Bremer Bamf-Affäre".

Nun haben die Ermittler ihre Arbeit weitgehend abgeschlossen, die Staatsanwaltschaft Bremen hat ihre Schlüsse gezogen und das Landgericht eine Anklage auf dem Tisch: 121 Straftaten werden der früheren Leiterin der Bremer Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) sowie zwei auf Asylrecht spezialisierten Anwälten aus Hildesheim und Oldenburg vorgeworfen.

Die drei Angeschuldigten sollen nach Darstellung der Staatsanwaltschaft über einen Zeitraum von fast vier Jahren hinweg unter anderem Verstöße gegen das Asyl- und Aufenthaltsrecht begangen, sich der Vorteilsannahme und -gewährung schuldig gemacht, Urkunden gefälscht und Dienstgeheimnisse gebrochen haben. So sei ein System der Willkür entstanden, heißt es in der Anklageschrift, die Süddeutsche Zeitung und NDR einsehen konnten.

Vor allem die einstige Bremer Bamf-Leiterin Ulrike B. und der Hildesheimer Rechtsanwalt Irfan Çakar hätten, wie es heißt, nach Gutdünken und rechtswidrig dafür gesorgt, dass abgelehnte Asylbewerber in Deutschland bleiben konnten oder dass Rückführungen in andere europäische Länder wie Rumänien, Bulgarien, Spanien oder Frankreich verhindert wurden.

Ulrike B. halten die Ermittler dabei persönliche Motive vor, so habe sie etwa den Rechtsanwalt Çakar zutiefst verehrt. Dieser wiederum habe B.s Zuneigung ausgenutzt, um seinen Mandanten den Verbleib in Deutschland zu ermöglichen - und daran gut zu verdienen. Die Staatsanwaltschaft rechnet vor, dass Çakar mit diesem nach ihrer Ansicht geschäftsmäßigen Asylmissbrauch mehr als 50 000 Euro an Anwaltshonoraren verdient habe. Der zweite angeschuldigte Anwalt Cahit T.

soll gut 10 000 Euro verdient haben. "Die Staatsanwaltschaft kriminalisiert die anwaltliche Tätigkeit", sagte Çakar am Donnerstag auf Anfrage von NDR und SZ, "wie jeder andere Anwalt auch habe ich von meinen Mandanten Geld erhalten. Daran ist nichts kriminell. Versteuert habe ich die Einnahmen im Übrigen auch". Der angebliche finanzielle Vorteil für Ulrike B., die Çakar so ergeben gewesen sei, dass sie ihm sogar behördenintern als "nur für den Dienstgebrauch" gekennzeichnete Verschlusssachen weitergeleitet haben soll, nimmt sich dagegen bescheiden aus: Die Ermittler glauben nachweisen zu können, dass sie zweimal in einem Hildesheimer Hotel auf Çakars Kosten übernachtet habe, für insgesamt 130 Euro. Das fällt bei Beamten unter Korruption.

Für die Staatsanwaltschaft spielt zunächst keine Rolle, wie vielen Asylbewerbern tatsächlich zu Unrecht der Aufenthalt in Deutschland gewährt wurde. Nach einer internen Überprüfung des Bamf von mehr als 13 000 in Bremen positiv beschiedenen Anträgen sind lediglich 28 wieder zurückgenommen worden, gegen einige dieser Korrekturen haben die Betroffen erfolgreich geklagt. Anfangs stand der Verdacht im Raum, mehr als 1200 Verfahren könnten manipuliert worden sein. Solche Zahlen kursierten in internen Berichten des Bamf, das letztlich selbst Anzeige gegen die Bremer Außenstelle erstattete.

Politisch schlug der Skandal Wellen. Noch bevor die Bremer Ermittler überhaupt tief ins Aktenstudium eingestiegen waren, hatte Innenstaatssekretär Stephan Mayer (CSU) sein Urteil offenbar schon gefällt. In der Talkshow "Anne Will" sagte er, in Bremen hätten "hochkriminell kollusiv und bandenmäßig mehrere Mitarbeiter mit einigen Rechtsanwälten zusammengearbeitet" - eine Äußerung, die ihm später gerichtlich untersagt wurde. Die Leiterin des Bundesamts, Jutta Cordt, wurde im Zuge der Affäre abgesetzt, Innenminister Horst Seehofer machte die Aufklärung zur Chefsache, der Innenausschuss des Bundestages ließ sich laufend informieren.

Die Angeschuldigten haben die Vorwürfe stets bestritten, wobei nur der Anwalt Çakar sich bisher öffentlich geäußert hat. Bereits im März sagte er Reportern von SZ und NDR, es sei rechtens gewesen, dass er mit seinen Mandanten aus Hildesheim nach Bremen gegangen sei. Die dortige Bamf-Chefin habe sich für das Schicksal seiner Mandanten - hauptsächlich in ihren Heimatländern verfolgte Jesiden - wirklich interessiert. Unter Asylanwälten habe das Bremer Bamf "den Ruf gehabt, wenigstens halbwegs zu funktionieren", sagte der Anwalt, die dortige Leiterin habe das Asylrecht "human ausgelegt". Es sei aber "niemals Geld" zwischen ihm und der Bamf-Beamtin geflossen, "und es sind keine Asylbescheide rechtswidrig ergangen". Die Hotelrechnungen habe er von Ulrike B. erstattet bekommen.

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