Es stimmt: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) gehört dringend reformiert. Doch dazu ist mehr nötig als die derzeit diskutierten, reichlich fantasielosen Maßnahmen, wie ein Austausch von Führungspersonal oder die Einführung von "Ankerzentren". Es braucht eine regelrechte Revolution. Das Rezept dafür ist einfach: Die operative Abwicklung der Asylverfahren wird an die Bundesländer übergeben. Das Bamf konzentriert sich auf die Entwicklung und Überprüfung bundesweiter Standards.
Seit Jahrzehnten beklagen Wissenschaftler und Praktiker die kaum durchschaubare Komplexität der Zuständigkeiten in der deutschen Flüchtlingspolitik. Warum entscheidet eine Bundesbehörde über den Asylantrag, aber eine kommunale Ausländerbehörde über die faktische Aufenthaltsdauer? Warum ist es möglich, dass sich Bund und Land bei Abschiebungen gegeneinander ausspielen lassen? Warum muss das Bamf in lokalen Integrationsnetzwerken präsent sein, warum bieten Bund, Land und Kommune in derselben Volkshochschule jeweils eigene Deutschkurse an? Die Liste solch unangenehmer Fragen ließe sich fortsetzen. Eine Reform der deutschen Flüchtlings- und Integrationspolitik muss sich daher besonders auf den Abbau verwirrender Parallelstrukturen und konkurrierender Zuständigkeiten konzentrieren. Das geht am besten, wenn sich jede politische Ebene auf ihre eigene Kompetenz konzentriert. Eine Bundesbehörde wie das Bamf darf eben nicht wie ein kommunaler Akteur agieren.
Überhaupt die Kommunen: Man kann nüchtern feststellen, dass die Herausforderungen der Jahre 2015/16 vor allem durch die dezentrale Organisation der Flüchtlingsaufnahme gemeistert wurden. Nicht der Bund, sondern die Länder und Gemeinden sind verantwortlich für die Unterbringung und Versorgung der Asylsuchenden. Beides funktionierte recht gut, häufig im Schulterschluss von lokaler Verwaltung und Zivilgesellschaft. Innovative Lösungen entstanden, die örtliche Integrationspolitik erhielt einen regelrechten Schub. Viele Kommunen haben ein neues migrationspolitisches Selbstbewusstsein entwickelt; sie begnügen sich nicht mehr mit ihrer traditionellen Rolle als stille "Integrationsmotoren", sondern versuchen aktiv Zuwanderung zu steuern. Einige, wie der Burgenlandkreis in Sachsen-Anhalt, bemühen sich, Flüchtlinge zu halten und so dem demografischen Wandel zu begegnen. Andere, wie Salzgitter oder Cottbus, nutzen ihre neuen Spielräume, um den Zuzug anerkannter Flüchtlinge zu verhindern.
Statt zentrale Ankerzentren zu planen, sollte Horst Seehofer lieber auf die Kommunen setzen
Während Kommunen also durchaus erfinderisch durchs Fahrwasser der Migrationspolitik navigieren, erweist sich der Bund als schwerfälliger, kaum manövrierfähiger Tanker. Krisenhaft war die Lage im Jahr 2015 vor allem deshalb, weil das Bamf nicht so flexibel und schnell auf die Anforderungen reagieren konnte, wie dies notwendig gewesen wäre. Hinsichtlich seiner Krisenfestigkeit ist das zentralisierte Asylverfahren also gegenüber der dezentral organisierten Unterbringung deutlich unterlegen. Wenn Bundesinnenminister Horst Seehofer jetzt für die Zentralisierung von Asylentscheidung, Unterbringung und Versorgung in lagerartigen Ankerzentren kämpft, wirkt er wie der Kapitän eines Schiffs, das mit Ruderschaden dahintreibt. Das haben wohl auch die meisten Bundesländer erkannt und sind von Bord gegangen.
Die dezentrale Organisation birgt aber derzeit noch einige Probleme. Die Flüchtlingspolitik in Deutschland unterscheidet sich von Bundesland zu Bundesland, von Gemeinde zu Gemeinde. Unterbringungsstandards unterscheiden sich ebenso wie die Art und Weise der Gesundheitsversorgung oder Ansätze zur Bildungsintegration. Die Lebensrealitäten der Asylsuchenden sind in Deutschland sehr unterschiedlich - ein wirkungsvolles System des Ausgleichs und der Kontrolle sucht man vergeblich. Seit Jahren fordern Fachleute daher einen verbesserten Austausch kommunaler Ausländer- und Sozialbehörden und eine stärkere Harmonisierung zentraler Handlungsfelder. Doch es fehlt an einer übergeordneten Instanz, die auf diesen unbestrittenen Befund reagiert.
Bamf-Skandal:Wenn Kontrollen versagen
18 000 Bescheide werden erneut geprüft, die Überweisung von 8,5 Millionen Euro wird nachvollzogen und ein 55-Millionen-Budget für Berater hinterfragt: Die Ermittlungen im Bamf-Skandal sind ziemlich mühsam.
Eine Bundesbehörde wie das Bamf wäre dafür grundsätzlich geeignet. Doch das Bundesamt pflegt lieber seine eigenen Varianten und verstrickt sich im operativen Klein-Klein. Zur Wahrheit gehört nämlich auch, dass die Unterschiede flüchtlingspolitischer Praxis nicht nur im Handeln von Kommunalverwaltungen existieren, sondern auch in Entscheidungen des Bamf. Seit Längerem schon ist bekannt, dass die Anerkennungsquoten zwischen den Außenstellen des Bundesamts variieren - auch ohne Berücksichtigung des Bremer Falls. Eine zentrale Organisation schützt offenbar nicht vor regionaler Einflussnahme. Im Ergebnis fehlt es in der deutschen Flüchtlingspolitik an strategischen Impulsen, an interregionalem Austausch sowie an verbindlichen Standards und deren Kontrolle.
Doch wenn die Bundesregierung den Mut aufbrächte, die Zuständigkeiten im Asylverfahren grundsätzlich neu zu regeln, könnten die skizzierten Misslichkeiten bald der Vergangenheit angehören. Das gesamte operative Geschäft des Bamf, vor allem das Asylverfahren und die Integrationskurse, müssten dazu an die Länder übergeben werden. Sie und ihre Kommunen sind schon heute die entscheidenden Akteure, wenn es um die Ausstellung von Aufenthaltstiteln, die Durchsetzung von Abschiebungen oder die gesellschaftliche Integration geht. Es wäre nur konsequent, sie auch im Asylverfahren stärker einzubinden. Dass sie die Integrationskurse nicht schon längst selbst verantworten, ist rational nicht zu verstehen. Doch durch die Neuordnung würden nicht nur örtliche Zuständigkeiten entwirrt. Auch ein Schwanken der Asylantragszahlen könnte durch die Verteilung der Last auf viele Behörden wesentlich besser ausgeglichen werden.
Das Bamf wäre nach einer solchen Reform keineswegs arbeitslos. Es könnte endlich werden, was es schon immer sein wollte: ein Kompetenzzentrum für Migration. Um gleichwertige Lebensbedingungen von Geflüchteten im Bundesgebiet zu garantieren, könnte es gemeinsam mit den Ländern Standards erarbeiten. Es könnte die Einhaltung dieser Standards effektiv überwachen, den Austausch guter Praxis vorantreiben und Ideen für das Zusammenleben in einer vielfältigen Gesellschaft entwickeln. Kurz gesagt: Das Bamf könnte sich zu einer echten Bundesbehörde wandeln und müsste nicht mehr als unglücklicher Hybrid mit Tentakeln in den Ländern und Kommunen herumirren. Dort hat der Bund nichts verloren.