Baltikum:Den Keim erkennen

Baltikum: Papst Franziskus hat in Vilnius am Denkmal für die Opfer deutscher und sowjetischer Gewaltherrschaft Blumen niedergelegt.

Papst Franziskus hat in Vilnius am Denkmal für die Opfer deutscher und sowjetischer Gewaltherrschaft Blumen niedergelegt.

(Foto: Andrew Medichini/AP)

Papst Franziskus hat vor einem Wiedererstarken des Antisemitismus gewarnt. Die katholischen Gläubigen müssten das Gedenken an die Judenvernichtung wachhalten.

Papst Franziskus hat auf seiner Baltikumreise vor einem Wiedererstarken des Antisemitismus gewarnt. Die nach dem Holocaust geborenen Generationen stünden in der Gefahr, solchen Ideologien wieder nachzulaufen, sagte er bei einer Messe am Sonntag im litauischen Kaunas. Die katholischen Gläubigen müssten das Gedenken an die Judenvernichtung im Zweiten Weltkrieg wachhalten und "jeden neuen Keim dieser verderblichen Gesinnung rechtzeitig erkennen".

Franziskus erinnerte an die Räumung des Ghettos von Vilnius vor 75 Jahren und die Ermordung Tausender Juden.

In seiner Predigt in Kaunas ging das Kirchenoberhaupt auf die deutsche und sowjetische Besatzung ein. Litauen höre noch immer "mit Schaudern" den Namen Sibirien oder die Erwähnung der Ghettos von Vilnius und Kaunas. Viele erinnerten sich persönlich an Deportation, die Sorge um die Verschleppten und an "die Schande der Denunziation und des Verrats". Der Papst mahnte die Kirche Litauens zu Solidarität und Aufbruch. In der Mitte der Kirche hätten die Schwächsten zu stehen, seien es ethnische Minderheiten, von Auswanderung bedrohte Arbeitslose, vereinsamte alte Menschen oder entwurzelte Jugendliche. Die Kirche dürfe keine Angst haben, die eigenen Grenzen zu verlassen und sich "an die Geringsten zu verlieren", sagte er.

Zu der Messe in Kaunas hatten sich nach Veranstalterangaben rund 100 000 Menschen versammelt. Am Sonntag besuchte er in Vilnius das Museum der Besatzungen und der Freiheitskämpfe. In dem Gebäude befand sich seit 1941 ein Foltergefängnis der Gestapo und später des russischen KGB. Franziskus ließ sich die Haftzellen zeigen und entzündete eine Öllampe zum Gedenken an die Ermordeten. Franziskus legte anschließend beim nahegelegenen Denkmal für die Opfer ein Blumengebinde nieder. In einem Gebet beklagte der Papst den "Allmachtswahn derer, die sich anmaßten, alles zu kontrollieren". Der Schrei der Unschuldigen müsse Anstoß sein, sich "vereinfachenden Parolen" und jeder Verletzung der Menschenwürde zu widersetzen. Niemand dürfe "taub sein für den Schrei all jener, die auch heute ihre Stimme zum Himmel erheben", so der Papst. Seine 25. Auslandsreise führt Papst Franziskus für insgesamt vier Tage in die baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland, die in diesem Jahr 100 Jahre Unabhängigkeit feiern.

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