Urteil im Ballstädt-Prozess:Ein Deal mit Neonazis

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Ein Angeklagter nimmt mit Fußfesseln am Ballstädt-Prozess in Erfurt teil. (Foto: Martin Schutt/dpa)

Der neue Prozess um den Überfall auf eine Kirmesgesellschaft in Thüringen endet mit Haftstrafen auf Bewährung. Zugrunde liegen Absprachen mit den rechtsradikalen Angeklagten. Das Gericht reklamiert das Urteil als Erfolg für den Rechtsstaat.

Von Antonie Rietzschel, Erfurt

Als Sabine Rathemacher das Urteil im Ballstädt-Prozess verkündet, spricht sie ruhig und langsam. Die Große Strafkammer des Landgerichts Erfurt hat gegen neun Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung Haftstrafen von bis zu einem Jahr und zehn Monaten verhängt - ausgesetzt zur Bewährung. Rathemacher informiert die Männer nüchtern über Auflagen. Es ist der klassische Verlauf am Tag einer Urteilsverkündung. Erst die Formalien, dann die ausführliche Würdigung des Falls. Doch in diesem Moment scheint es so, als wolle die Vorsitzende Richterin einem Verfahren, um das zuletzt emotional gestritten wurde, die juristische Sachlichkeit zurückgeben. So viel vorab: Es wird ihr nicht gelingen.

Vor sieben Jahren überfielen vermummte Rechtsextreme in dem thüringischen Dorf Ballstädt (Landkreis Gotha) eine Kirmesgesellschaft. 2017 verurteilte das Landgericht Erfurt zehn Männer wegen schwerer Körperverletzung zu Haftstrafen von bis zu drei Jahren und sechs Monaten - ohne Bewährung. Der Bundesgerichtshof hob das Urteil Anfang 2020 auf, weil die Beweise für eine Verurteilung nicht ausgereicht hätten. Um das Verfahren nicht länger hinauszuzögern, handelte die Staatsanwaltschaft mit den Angeklagten einen Deal aus: Geständnisse gegen geringe Haft- und Bewährungsstrafen.

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Ein Deal, dem das Landgericht Erfurt folgen würde. Das war schon klar, als es Mitte Mai in einem dafür angemieteten Kongresszentrum das Verfahren neu zu verhandeln begann. Es gab Proteste, die Initiative "Omas gegen rechts" sammelte Hunderttausende Unterschriften, an jedem Verhandlungstag hängten Aktivisten vor der Erfurter Messe Transparente auf. "Kein Deal mit Nazis", stand auf einem.

Die Anwälte kritisieren ein "abgekartetes Spiel"

Absprachen zwischen Angeklagten und Staatsanwaltschaft sind nicht ungewöhnlich. Was den Ballstädt-Deal aus Sicht von Opferverbänden und Nebenklageanwälten skandalös macht, ist die Tatsache, dass gegen den Hauptangeklagten Thomas Wagner bereits ein weiteres Verfahren läuft. Wagner war bis zu seiner Festnahme in diesem Frühjahr Chef der rechtsextremen Rockergruppe "Turonen", als deren Treff das sogenannte Gelbe Haus in Ballstädt galt. Auch der Angeklagte Marcus R. gehört der Neonazi-Szene an, er ist mehrfach vorbestraft, unter anderem wegen Körperverletzung. Sein Bewährungshelfer attestierte ihm während des Verfahrens eine "nicht ungünstige" Sozialprognose. Das war, bevor er wegen eines weiteren Verfahrens in Untersuchungshaft kam.

Aus Protest gegen den Deal weigerten sich die Nebenklageanwälte zu plädieren. Stattdessen verlasen sie in dem provisorischen Gerichtssaal eine Mitteilung, in der sie Gericht und Staatsanwaltschaft ein "abgekartetes Spiel" vorwarfen. Es sei ihnen darum gegangen, die Angelegenheit "schnell vom Tisch zu bekommen".

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Das Vorgehen der Anwälte, die Proteste, die breite Berichterstattung - das alles veranlasst die Vorsitzende Richterin, am Tag der Urteilsversverkündung die Zurückhaltung abzulegen, die sie zuvor stets gewahrt hatte. Einigen sei hier der "innere Kompass verloren gegangen", sagt Rathemacher mit lauter Stimme. Sie spricht von einer "Stimmungsmache" gegen die Justiz, auch seitens der Medien: "Wer den Rechtsstaat angreift, muss seinen Standpunkt zur Haltung des freiheitlich-demokratischen Systems hinterfragen." Den Nebenklageanwälten wirft sie vor, die Opfer des Kirmesüberfalls politisch zu instrumentalisieren.

Kein Opfer kann die Täter identifizieren

Es sind heftige Worte, mit denen Rathemacher die Urteilsbegründung eröffnet. Den Überfall der Angeklagten nennt sie zwar ein "überfallartiges Rollkommando", eine politisch motivierte Tat erkennt sie jedoch nicht darin. Dabei hatte es vor dem Angriff auf die Kirmesgesellschaft Demonstrationen in Ballstädt gegeben, an denen Politiker und viele Dorfbewohner teilnahmen. Die Stimmung im Ort war aufgeheizt. Kurz vor dem Überfall war im "Gelben Haus" ein Fenster eingeschmissen worden. Thomas Wagner und die anderen Schläger vermuteten die Täter unter der Kirmesgesellschaft. Als Wagner per Rundruf die Schläger zusammentrommelte, sprach er von Stress mit "Zecken".

Auch einige Opfer glauben nicht an ein unpolitisches Körperverletzungsdelikt. "Wir haben uns engagiert, dafür aufs Maul gekriegt", sagte kürzlich einer von ihnen. Von dem neuen Verfahren und ihren erneuten Aussagen hatten sie erhofft, dass die Täter endlich in Haft kämen und sie selbst nach sieben Jahren endlich mit dem Überfall abschließen könnten. Stattdessen wurden sie Zeugen in einem Verfahren, dessen Ausgang von vornherein feststand.

Die Auftritte im Gerichtssaal offenbarten das Dilemma. Kein Opfer konnte die Täter identifizieren. Einige Angeklagte wären ohne ihr Geständnis mit einem Freispruch davongekommen. Viele Befragte konnten sich nach der langen Zeit nicht mehr genau an die Abläufe erinnern. Die Vorsitzende Richterin fragte immer wieder nach psychischen Belastungen, erhielt aber oft keine Antwort, weil Opfer vor den Angeklagten keine Schwäche zeigen wollten. Dabei war den Gesichtern anzusehen, dass die Erinnerung an die Nacht vor sieben Jahren noch rumort. "Ich habe das mit mir selbst ausgemacht. Es ist besser, wenn ich die Nacht vergesse", sagte einer im Zeugenstand. Viel anderes bleibt ihm auch nicht, denn die Nebenkläger können keine Revision einlegen. Das ist den Angeklagten vorbehalten.

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