Referendum in Mazedonien:Kampf um nationale Identität

Election posters in Skopje

"Es geht um eine bessere Zukunft": ein Plakat mit Stevo Pendarovski in der Hauptstadt Skopje. Der Sozialdemokrat wirbt mit Verve für den neuen Namen "Nordmazedonien", über den die Bürger am Sonntag entscheiden.

(Foto: Georgi Licovski/dpa)
  • Gut zwei Millionen Mazedonier sollen an diesem Sonntag entscheiden, ob ihr Staat in Zukunft Nordmazedonien heißen soll.
  • Im Gegenzug will Griechenland auf das bisher eingelegte Veto gegen die EU- und Nato-Mitgliedschaft des Nachbarn verzichten.
  • Das Land ist Schauplatz der alten Auseinandersetzung zwischen dem Westen und Russland, die auf dem Balkan derzeit das gesamte Geschehen prägt

Von Peter Münch, Skopje

Keiner kann ihm entkommen, Stevo Pendarovski ist hier, um Hände zu schütteln. Auf dem zubetonierten Platz vor einem Einkaufszentrum in Skopje geht er lächelnd von einem zum anderen, fragt, wie es steht, fragt nach den Sorgen und sagt, was wirklich wichtig ist in diesen Tagen: "Am 30. September geht es um eine bessere Zukunft. Geht wählen und stimmt für ein europäisches Mazedonien."

Stevo Pendarovski ist auf Wahlkampftour, unermüdlich schon seit Anfang des Monats, so wie alle anderen auch aus der von den Sozialdemokraten geführten Regierung. Normalerweise ist er dafür zuständig, den Beitritt Mazedoniens zur Nato zu koordinieren. Doch bevor es dazu kommen kann, muss erst einmal die Volksabstimmung gewonnen werden, zu der die gut zwei Millionen Bürger des Balkanstaats an diesem Sonntag aufgerufen sind. Die Fragestellung lautet: "Unterstützen Sie Mazedoniens Weg in die EU und die Nato, indem Sie das Abkommen zwischen Mazedonien und Griechenland annehmen?"

Um dieses Abkommen war jahrelang gerungen worden - und nun soll der ewige Streit durch vier Buchstaben beigelegt werden. Aus Mazedonien soll Nordmazedonien werden. Im Juni haben die Regierungschefs aus Skopje und Athen, Zoran Zaev und Alexis Tsipras, diese Einigung am Prespasee besiegelt. Im Gegenzug für die Änderung des mazedonischen Staatsnamens verzichtet Griechenland auf das bisher eingelegte Veto gegen die EU- und Nato-Mitgliedschaft des Nachbarn. Das klingt ganz einfach. Und ist trotzdem enorm schwer umzusetzen.

Zur griechischen Grenze führt nun die "Autobahn der Freundschaft"

Wer wissen will, was das Abkommen bedeutet für diesen Staat, der 1991 aus der Konkursmasse Jugoslawiens entstand, der muss herausfahren aus der Hauptstadt Skopje, auf der Autobahn in Richtung Süden zur griechischen Grenze. "Autobahn der Freundschaft" heißt diese Straße, so steht es alle paar Kilometer auf den Schildern. Bis vor gut einem Jahr allerdings war sie noch nach Alexander dem Großen benannt - und führte damit mitten hinein in den Konflikt der beiden Staaten. Denn die Griechen nehmen Alexander und damit auch den Namen Makedonien exklusiv für sich und ihre Nordprovinzen in Anspruch. Deshalb haben sie durchgesetzt, dass der Nachbarstaat international bislang nur unter dem Namen "Fyrom" geführt wird, der englischen Abkürzung für "Frühere jugoslawische Republik Mazedonien".

Ums historische Erbe also dreht sich dieser Namensstreit und um nationale Identitäten - und weil das ein hoch emotionales Thema ist, haben die Nationalisten auf beiden Seiten immer wieder Öl ins Feuer gießen können. Die Umbenennung der Autobahn, die Mazedoniens Premier Zaev 2017 als eine der ersten Amtshandlungen anordnete, war tatsächlich ein Freundschaftsangebot an Griechenland. Alexis Tsipras hat das angenommen, trotz heftigen Gegenwinds im eigenen Land, wo das Parlament noch über das Abkommen abstimmen muss. Die erste Hürde aber ist nun erst einmal das Referendum in Mazedonien - und das ist längst noch nicht gewonnen.

In den Straßen von Bitola, der drittgrößten Stadt des Landes, direkt an der Grenze zu Griechenland, ist die Stimmung kurz vor der Abstimmung gespalten. Da trifft man den Rentner Metodija Stojanovki, der mit ein paar anderen Männer in der Sonne sitzt und fragt: "Würdet ihr in Deutschland euren Namen ändern? Natürlich nicht!" Das Referendum ist für ihn eine Gelegenheit, mit denen da oben an der Regierung abzurechnen, "die immer nur stehlen und Geld in die eigene Tasche stecken".

"Die Rentner müssen sich ja auch nicht mehr um die Zukunft sorgen", sagt Jasmina Stojčevska dazu. Angesichts eines Durchschnittslohns von 370 Euro im Monat und einer Arbeitslosenquote von 25 Prozent hofft sie darauf, dass das Abkommen mit Griechenland Mazedonien den Weg in den Westen und zu wirtschaftlichem Aufschwung ebnet. Die Namensänderung stört sie dabei wenig. "Wenn ein Jovan aus Mazedonien nach Australien auswandert, wird er auch John genannt und ist immer noch derselbe", meint sie.

Das Ergebnis ist offen

So prallen überall die Meinungen aufeinander, und auch wenn die Umfragen einen klaren Vorsprung des Ja-Lagers zeigen, ist das Ergebnis offen. Denn die große Klippe beim Referendum ist das vorgeschriebene Quorum. Mehr als 50 Prozent der Wahlberechtigten müssen teilnehmen, und das macht der Regierung Sorgen. "In den alten Wählerlisten stehen 1,8 Millionen Namen", sagt Bujar Osmani, "aber es leben nur noch 1,6 Millionen Menschen in Mazedonien." Die anderen, so erklärt er, seien zum Arbeiten ins Ausland gegangen. "Deshalb müssen für einen positiven Ausgang 70 bis 75 Prozent von denen, die tatsächlich im Land sind, zur Wahl gehen." Osmani ist Vize-Premier und als Minister für die europäische Integration zuständig. Mit seiner Partei Dui vertritt er die albanische Minderheit, die 25 Prozent der Bevölkerung ausmacht. "Die Albaner", das verspricht er, "gehen zu 90 Prozent zur Wahl und stimmen zu 100 Prozent mit Ja."

Während die Regierung auf riesigen Plakaten und in Fernsehspots für ein Ja wirbt, speist sich die Ablehnung aus vielen Quellen. Angeführt wird die Gegenkampagne von der bis 2017 regierenden nationalkonservativen Partei mit dem sperrigen Kürzel VMRO-DPMNE. "Das Abkommen mit Griechenland ist eine Kapitulation", sagt Parteisprecher Ivo Kotevski. "Es vernichtet unsere Geschichte, unsere Traditionen und unsere Kultur." Zu einem offiziellen Boykottaufruf hat sich die Partei, die assoziiertes Mitglied der Europäischen Volkspartei ist, wohl wegen des Drucks der westlichen Partner nicht durchringen können. Aber die Ansagen sind klar genug, um die Anhänger vom Votum abzuhalten, zumal auch noch der aus der VMRO stammende Staatspräsident Gjorge Ivanov zum Boykott aufgerufen hat.

"Wir wollen nicht unsere Identität ändern"

Zur lautesten Stimme der Boykottkampagne aber ist Janko Bačev geworden, Anführer der kleinen Partei Vereinigtes Mazedonien. Der Weg zu seiner Parteizentrale führt durch ein schäbiges Treppenhaus, doch drinnen ist alles fein renoviert. Irgendwer muss auch den "Boykott-Bus" finanziert haben, mit dem Bačev dieser Tage durchs Land tourt. Doch über Geld redet er nicht so gern. "Wir wollen nicht in die Nato, wir wollen nicht unseren Namen ändern und auch nicht unsere Identität", sagt er. Von der Regierung spricht er nur als "Marionetten-Regierung", Strippenzieher seien "die CIA, der BND und George Soros". Als Alternative zur Westanbindung fordert er eine "strategische Allianz mit Russland".

Die russische Fahne weht auch vor seinem Parteibüro, und sie verweist darauf, dass es bei diesem Referendum tatsächlich nicht nur um eine Weichenstellung für das kleine Mazedonien geht. Das Land ist vielmehr Schauplatz der alten Auseinandersetzung zwischen dem Westen und Russland, die auf dem Balkan derzeit das gesamte Geschehen prägt. Dies ist auch der Grund, warum Skopje in den Tagen vor dem Referendum einen wahren Ansturm prominenter Besucher erlebte: Bundeskanzlerin Angela Merkel war hier und unterstützte demonstrativ den Regierungskurs, ebenso wie Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg und gleich mehrere EU-Kommissare. Aus Washington reiste Verteidigungsminister James Mattis an, wetterte gegen russische Einflussnahme und warb für ein Ja.

Nach langen Jahren im Windschatten der Weltpolitik befinden sich die Mazedonier bei diesem Referendum also plötzlich im Blickpunkt des internationalen Interesses. Wenn die Abstimmung verloren geht, so warnt die Regierung, sei eine "historische Chance" vertan. "Es geht um alles", sagt Vize-Premier Osmani, "das ist eine Entscheidung zwischen Schwarz oder Weiß, Vergangenheit oder Zukunft, Unsicherheit oder Stabilität."

Er sieht das Land an einer entscheidenden Kreuzung - und merkt noch an, dass "an Kreuzungen Unfälle passieren können". Doch das will er natürlich nicht als Prognose für die Volksabstimmung gewertet wissen. "Die Bürger unseres Landes", so glaubt er, "werden sich schon für den richtigen Weg entscheiden."

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