Süddeutsche Zeitung

Balkan:Referendum mit Sprengkraft auf dem Balkan

Der Präsident der Republika Srpska legt den bosnischen Serben ein Referendum vor, das nicht abgehalten werden dürfte. Es geht um einen Nationalfeiertag und könnte die Friedensordnung in der Region ins Wanken bringen.

Von Nadia Pantel

In Bosnien und Herzegowina leben 3,5 Millionen Menschen. Keine allzu große Zahl - und dennoch hat es mehr als drei Jahre gedauert, sie zu ermitteln. Nicht, weil die Bürger sich geweigert hätten, sich erfassen zu lassen, sondern weil die Politiker lieber nicht so genau wissen wollten, wer von ihnen über wie viele Menschen regiert.

2013 wurde gezählt, erst im Sommer dieses Jahres wurde die Veröffentlichung der Ergebnisse genehmigt. Sie waren deprimierend: In dem Land leben 20 Prozent weniger Menschen als 1992, Nachwirkungen des Bosnienkriegs. Allerdings war es nicht die Erinnerung an den Tod und Unrecht, die die Politiker Bosnien und Herzegowinas vor der Volkszählung zurückschrecken ließen. Es war viel eher der Unwille, sich produktiv mit der Nachkriegsordnung auseinanderzusetzen.

Seit dem Friedensschluss von Dayton ist das Land in zwei Entitäten geteilt: die vornehmlich serbische Republika Srpska und die Föderation Bosnien und Herzegowina, in der Kroaten und Bosniaken leben. Vertreten werden die Bürger von gleich drei Präsidenten, einem serbischen, einem kroatischen, einem bosniakischen.

Folgerichtig reichte es bei der Volkszählung nicht aus, "hier" zu rufen, die Bürger mussten sich Identitäten zuteilen. Katholischer Kroate, christlich-orthodoxer Serbe oder muslimischer Bosnier, also Bosniake. Die Zählung wurde zur Machtfrage: Welche Volksgruppe ist am größten, welcher Präsident sammelt die meisten Menschen hinter sich? Am Ende gewannen die Bosniaken mit 50,1 Prozent Bevölkerungsanteil, die Serben kamen auf 30,8 Prozent, die Kroaten auf 15,4.

Im mutwilligen Verschleppen der Volkszählung zeigt sich das gesamte Dilemma dieses geteilten Landes. Es gibt erstens keinen Begriff des Citoyen, des Bürgers, der ohne ethnisch-nationale Zuschreibung auskommt. Zweitens treten die Bürger der verschiedenen Gruppen in Konkurrenz zueinander, weil drittens die Politiker, die sich ihnen zur Wahl stellen, dadurch punkten, dass sie die anderen Bevölkerungsgruppen zu Unterdrückern stilisieren.

Votum mit Sprengkraft

Erst vor diesem Hintergrund lässt sich verstehen, welche Sprengkraft es hat, dass Milorad Dodik, der Präsident der Republika Srpska, am Sonntag über die Einführung eines Nationalfeiertags für die bosnischen Serben abstimmen lassen wird. Seit 1992 feiern sie den 9. Januar als Tag ihrer Unabhängigkeit - für Kroaten und Bosniaken ist dies der Tag, an dem der Bosnienkrieg begann, der für sie Vertreibung und Verfolgung bedeutete.

Daher entschied das Verfassungsgericht Bosnien und Herzegowinas im vergangenen Herbst, dass ein offizieller Feiertag am 9. Januar für Teile der Bevölkerung untragbar sei. Serben-Präsident Dodik wird nun die Bewohner der Republika Srpska darüber abstimmen lassen, ob sie das auch so sehen. Oder ob sie den 9. Januar als identitätsstiftenden Feiertag haben wollen. Höchstwahrscheinlich wird die Mehrheit dafür stimmen.

Das Problem ist, dass Dodik sie eigentlich nicht vor diese Wahl hätte stellen dürfen. Das Verfassungsgericht hat das Referendum für verfassungswidrig erklärt. Dodiks Einsatz für den Feiertag ist somit in erster Linie innenpolitisch motiviert. Sein Manöver lässt die gemeinsame Regierung von Serben, Kroaten und Bosniaken serbenfeindlich erscheinen: Die da oben wollen euch euren Feiertag wegnehmen.

Am 2. Oktober sind in Bosnien und Herzegowina Kommunalwahlen. Gerade die Republika Srpska ist in einer desaströsen Lage: Viele Menschen sind verarmt, die Arbeitslosigkeit liegt bei mehr als 40 Prozent. Wer kann, wandert aus. Die einzige Positivbilanz, die der als hochkorrupt geltende Dodik vorweisen kann, ist sein selbstinszenierter Kampf gegen Kroaten, muslimische Bosnier, gegen EU und Nato.

Viele Beobachter werten Dodiks Feiertags-Referendum als Vorstufe seines immer wieder angedrohten Plans, die bosnischen Serben über ihre Unabhängigkeit abstimmen zu lassen. Eine Unabhängigkeit, gegen die sich Bosniaken und Kroaten vehement stellen, und die das Ende Bosniens und Herzegowinas bedeuten würde.

Friedensvertrag infrage gestellt

Der bosnische Präsident Bakir Izetbegović sieht schon eine Zerstörung des Friedens in Bosnien und Herzegowina und wahrscheinlich in diesem Teil Europas. Auch diese Warnung ist Politik, indem sich Izetbegović zum Friedensbewahrer erklärt. Sie zeigt, wie unruhig das Land ist.

So albern das Gerangel um einen Feiertag, der nur eine Million Menschen betrifft, wirken mag: Es stellt einen Friedensvertrag infrage, der von der EU, den USA und Russland vermittelt wurde. Indem Dodik gegen die Verfassung verstößt, führt er vor, wie wenig Interesse er noch an einem guten Verhältnis zu den internationalen Kräften hat. Und wie wenig Einfluss sie auf sein Verhalten haben.

Serbiens Premier Aleksandar Vučić der eigentlich als Beschützer der bosnischen Serben auftritt, lässt sich zwar nicht von seinem EU-Kurs abbringen und spricht sich gegen das Referendum aus. Russlands Präsident Wladimir Putin jedoch empfing Dodik am Donnerstag in Moskau und sagte, die bosnischen Serben hätten "jedes Recht, über sich selbst zu entscheiden".

Auch auf den österreichischen Rechtsaußen Norbert Hofer von der FPÖ kann Dodik zählen. Der Präsidentschaftskandidat sagte vor einem Jahr, dass er die "Bestrebungen der Republika Srpska hinsichtlich einer eigenen selbstbestimmten Zukunft zu 100 Prozent unterstützt".

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3176162
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 24.09.2016/gal
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.