Süddeutsche Zeitung

Angela Merkel:Der Weg in die EU ist für Länder des westlichen Balkan noch lang

Die Bundeskanzlerin wirbt in Serbien und Albanien für Reformen und drängt zugleich die EU zu Beitrittsgesprächen.

Von Florian Hassel, Belgrad

Gleich zu Beginn ihrer Reise hielt Bundeskanzlerin Angela Merkel für die Länder des westlichen Balkan eine kalte Dusche bereit: Es liege noch "ein langer Weg vor Serbien und der ganzen Region" (Albanien, Montenegro, Bosnien-Herzegowina, Nordmazedonien, Kosovo), bis alle der EU beitreten könnten, sagte die Kanzlerin, die am Ende von 16 Jahren Kanzlerschaft am Montag nach Belgrad und am Dienstag in die albanische Hauptstadt Tirana flog.

Wirtschaftlich geht es etwa zwischen Serbien und Deutschland durchaus voran, es arbeiten mittlerweile mehr als 72 000 Serben für deutsche Niederlassungen. Politisch aber und beim Weg in die EU gab Serbiens Präsident Aleksandar Vučić, dessen Land schon seit 2012 EU-Kandidat ist, nach seinem Gespräch mit Merkel zu, dass man etwa beim Thema Rechtsstaatlichkeit "vom Ideal noch weit entfernt" sei. Dem letzten EU-Bericht zufolge ist Serbien teils deutlich zurückgefallen.

Entsprechend forderte Merkel Vučić auf, Fortschritte "in Richtung Rechtsstaat, Demokratie und Pluralität der Zivilgesellschaft" zu machen. Aktivisten der Bürgergruppe Kehrtwende ("Preokret") sind derlei milde Mahnungen an den weitgehend autoritär regierenden Präsidenten nicht genug. Vor dem Regierungsgebäude entrollten sie ein Plakat auf Deutsch: "Gehen Sie endlich Frau Merkel. Seit 9 Jahren unterstützen Sie die Diktatur". Vučić kündigte an, Serbien werde bis Ende des Jahres eine Justizreform ausarbeiten, damit die stockenden Beitrittsgespräche mit der EU weitergehen.

Merkel betonte, vor einer Aufnahme Serbiens in die EU müsse als letzter Schritt die Frage der Anerkennung der ehemaligen serbischen Provinz Kosovo als unabhängiger Staat durch Belgrad "gelöst werden, damit die heutigen Mitglieder der Europäischen Union sozusagen Ja zu dem Aufnahmeprozess sagen".

Manche Länder wären schon froh, wenn die EU Beitrittsgespräche beschließen würde

Andere Länder der Region wären schon froh, wenn die EU Beitrittsgespräche mit ihnen beschließen würde. Bei den zunächst dafür infrage kommenden Ländern - Albanien und Nordmazedonien - lehnte dies die EU zuletzt im Juni ab. Vor allem Bulgarien blockiert den Gesprächsbeginn wegen eines Sprachen- und Geschichtsstreits mit Nordmazedonien.

Der Enthusiasmus für neue EU-Mitglieder ist bei vielen EU-Ländern wegen ausbleibender Reformen und auf dem Westbalkan wegen der langen Wartezeit auf die EU-Mitgliedschaft abgekühlt. Vor allem Frankreich und die Niederlande sehen die Aufnahme weiterer EU-Mitglieder skeptisch. In Serbien führt Vučić eine Dreierpolitik, bei der er sich zwar die EU-Mitgliedschaft offenhält, aber gleichzeitig enge Beziehungen zu Russland oder China pflegt. Und Albanien, zweite Station Merkels, unterhält unter Ministerpräsident Edi Rama zunehmend engere Beziehungen etwa zur Türkei oder zu Saudi-Arabien.

Entsprechend mahnte die Kanzlerin in Belgrad, es gebe auf dem Westbalkan "auch Einfluss aus vielen anderen Regionen der Welt" und deshalb "ein absolutes geostrategisches Interesse für uns, diese Länder in die Europäische Union aufzunehmen". Wenn die Bedingungen erfüllt seien, "muss die EU Wort halten", bekräftigte Merkel in Tirana nach ihrem Treffen mit Rama. "Unabhängig davon, wie die deutschen Wahlen ausgehen, wird jeder neue deutsche Bundeskanzler ein Herz für die Region haben", so Merkel. Die Kanzlerin traf in Tirana auch die Regierungschefs Bosnien-Herzegowinas, Nordmazedoniens, Montenegros, Serbiens und Kosovos. Über den Inhalt dieser Gespräche wurde zunächst nichts bekannt.

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