Die Hintergrundstimme klingt freundlich, der Erzähler spricht leise, offensichtlich will er mit seinem Aufklärungsfilm mögliche Abwehrreflexe verhindern. Während auf dem Bildschirm Familien mit kleinen Kindern Koffer packen, erzählt die Stimme, dass seit Monaten sehr viele Menschen aus Bosnien und Serbien, Mazedonien und Montenegro, Albanien und Kosovo nach Deutschland aufbrechen würden. Sehr viele würden den falschen Versprechungen von Betrügern glauben; alle würden hoffen, in Deutschland oder anderen EU-Staaten als Asylbewerber arbeiten zu dürfen. Derweil auf dem Bildschirm die Familien bei nasskaltem Wetter in deutsche Polizeibusse steigen, sagt der Sprecher, dass die Wirklichkeit in Deutschland ganz und gar anders aussehe.
Exklusiv Vucic über Flüchtlingsstrom aus Serbien:"Wir sind keine Rassisten"
Serbiens Premier Aleksandar Vučić spricht im Interview über die Probleme auf dem Balkan, Versöhnung zwischen Serben und bosnischen Muslimen - und die Motive von Asylbewerbern aus seinem Land.
Es sind mahnende Worte, die hier wirken sollen. "Die Wahrheit ist", sagt die Stimme, "dass die Suche nach Arbeit in Deutschland nicht als Asylgrund anerkannt wird." Richtig sei auch, dass die Chance auf politisches Asyl für Menschen vom Westbalkan äußerst gering sei. Aus diesem Grund seien alle Versuche, in Deutschland ein neues Leben zu beginnen, zum Scheitern verurteilt. Und die Gewinner bei all dem seien nicht die Menschen, die ihre Heimat verließen, sondern kriminelle Schlepper, die ihren Opfern für viel Geld einen vermeintlich sicheren Transport anböten. "Wer diesen Kriminellen glaubt", warnt die freundliche Stimme, "tauscht sein Vermögen nur gegen Lügen und Illusionen ein, die mit der Wahrheit nichts zu tun haben."
Die Zahl der Flüchtlinge aus Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien geht zurück
Der Videofilm dauert knapp fünf Minuten, produziert hat ihn die Bundespolizei im Auftrag des Innenministeriums. Das Ziel ist klar: Der Film soll abschrecken. Hergestellt wurde er für das Auswärtige Amt und die Auslandsvertretungen auf dem Westbalkan. Im Einsatz ist der Film noch nicht, abgedreht ist er gleichwohl. Und wenn alles fertig ist, werden auch Fassungen in albanischer, serbischer, mazedonischer und bosnischer Sprache vorliegen.
Damit erweitert die Bundesregierung ihre Bemühungen, gerade in jenen Ländern für einen Verzicht auf die Flucht Richtung EU zu werben, aus denen neben den syrischen und irakischen Bürgerkriegsflüchtlingen derzeit die meisten Menschen nach Europa strömen. Schon jetzt mühen sich die Auslandsvertretungen, den Menschen über Zeitungsinterviews, Fernsehauftritte und Besuche in besonders betroffenen Regionen klarzumachen, dass ihre Chancen minimal sind und ihre Kosten womöglich exorbitant sein werden. Das Ergebnis der Bemühungen fällt indes gemischt aus. Trotz aller Kampagnen steigen die Zahlen der Asylbewerber. Erfolge lassen sich allenfalls daran messen, dass die Anstiege teilweise deutlich geringer ausfallen.
So zeigt die jüngste Statistik, dass die Flüchtlingszahlen aus Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina seit Jahresbeginn im gemeinsamen Durchschnitt nur noch um gut 12 Prozent steigen. Aus Montenegro, aus Albanien, vor allem aber aus Kosovo dagegen sind derart viele Menschen gekommen, dass der Anstieg durchschnittlich bei 450 Prozent liegt. In absoluten Zahlen sind aus Serbien, Mazedonien und Bosnien von Januar bis Juni 26 000 Asylbewerber nach Deutschland gekommen; aus Montenegro, Albanien und Kosovo stellten 55 000 Menschen einen entsprechenden Antrag.
Die Zahl der Asylbewerber aus "sicheren Herkunftsstaaten" steigt langsamer
Auffallend an den Zahlen ist, dass sie deutlich mit der Entscheidung vom vergangenen Herbst korrelieren, Serbien, Mazedonien und Bosnien zu sogenannten sicheren Herkunftsländern zu machen. Diese drei sind es, bei denen der Anstieg viel geringer ausfällt. Und das dürfte der Grund dafür sein, dass Bayern und Baden-Württemberg nun laut darüber nachdenken, diese Regelung auch auf Montenegro, Albanien und Kosovo auszudehnen.
Flüchtlinge:Kretschmann will legale Einwanderung vom Balkan erleichtern
Vor dem Flüchtlingsgipfel in Stuttgart plädiert Baden-Württembergs Landeschef für mehr gezielte Einwanderung. Das nehme den Druck von den Ländern - und lindere den Fachkräftemangel.
Interessant ist außerdem, dass die Dauer der Asylverfahren allmählich sinkt. Zuletzt hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge noch mal tausend zusätzliche Stellen bewilligt bekommen. Seither dauern die Verfahren nicht mehr, wie noch vor einem halben Jahr, mehr als sieben Monate. Durchschnittlich liegt diese Zahl nun bei 5,3 Monaten; bei Serbien, Mazedonien und Bosnien liegt sie noch etwas darunter. Mazedonier müssen derzeit 4,8 Monate auf eine Entscheidung warten, Bosnier warten 4,2 und Serben 3,6 Monate. Ob auch die schnelleren Verfahren für den deutlich geringeren Anstieg gesorgt haben, kann niemand genau sagen.
Den legalen Weg nach Deutschland nennt Berlin nicht besonders laut
Sicher dagegen ist, dass die Regierungen in den Westbalkanstaaten einen drohenden Exodus von gut ausgebildeten Menschen befürchten. Mehr als einmal sind deshalb die Innenminister Albaniens und Mazedoniens bei ihren Besuchen in Berlin nicht alleine gekommen. Stets hatten sie ein eigenes Fernsehteam dabei, um deutsche Minister zu bitten, vor laufender Kamera noch einmal zu erklären, warum Flüchtlinge keine Chance auf politisches Asyl hätten. Deutlicher konnten die Besucher aus dem Südosten Europas kaum zeigen, dass sie wenig Interesse haben, viele Menschen an die EU zu verlieren.
Möglicherweise ist das auch der Grund dafür, dass Berlin den zentralen legalen Weg nach Europa, der auch Menschen vom Westbalkan offen steht, nicht besonders laut nennt: die offizielle Liste sogenannter Mangelberufe in Deutschland. Wer in seinem Heimatland einen dieser Berufe erlernt hat, kann von Tirana, Belgrad oder Pristina aus prüfen lassen, ob seine Ausbildung in Deutschland anerkannt wird. Ist das der Fall, hat er oder sie große Chancen, eine Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten. Ganz ohne Flucht, Schlepperkosten und der Wahrscheinlichkeit, am Ende doch wieder heim geschickt zu werden.