Süddeutsche Zeitung

Bahnstreik:Jetzt hilft nur Zusammenhalt

Stress wegen des Bahnstreiks? Na klar. Wut auf die GDL? Und wie! Aber die Gewerkschaft demonstriert immerhin, wie wichtig Berufsgruppen sind, die unterdurchschnittlich verdienen. Wer sich solidarisch erklärt, erträgt diese Woche auch als Pendler leichter.

Von Markus C. Schulte von Drach

Eine Woche! Ja, sind die verrückt geworden bei der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL)? Ein Tag, zwei Tage, okay, das ließ sich bisher irgendwie organisieren und mit stoischer Gelassenheit ertragen. Aber von Dienstag bis Sonntagfrüh? Das geht an die Substanz. Auf persönlicher Ebene. Und auch auf wirtschaftlicher Ebene, wie Experten warnen.

Mich beschäftigt vor allem die Frage: Wie soll ich nun täglich die Strecke von Augsburg nach München bewältigen? Ohne eigenes Auto übrigens, das für mich dank des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs eigentlich obsolet geworden ist. Das bedeutet Unsicherheit: Welche Züge fahren noch? Komme ich überhaupt noch hinein, so voll wie die Abteile werden dürften? Es zwingt zu außerplanmäßigen Maßnahmen: Gibt es eine Busverbindung als Alternative? Lässt sich eine Fahrgemeinschaft mit dem Nachbarn einrichten, mit dem ich mich eben noch über den Gartenzaun gestritten habe? Und wer bezahlt die zusätzlichen Fahrtkosten? Schließlich habe ich ein Jahresticket.

Und überhaupt: Mit welchem Recht zwingen mich diese GDLer in diese ärgerliche Situation? Geht doch mich nichts an, wenn die mit ihren Tarifen nicht zufrieden sind. Oder um was es jetzt gerade geht ...

Unter dem wachsenden Leidensdruck drängt sich tatsächlich die Frage auf, was von den Lokführerinnen und Lokführern in der GDL zu halten ist, die unzähligen Bahnreisenden solche Probleme bescheren - wo doch der gemeine Pendler auch sonst schon häufig genug mit "Verzögerungen im Betriebsablauf" oder "Notarzteinsätzen auf der Stammstrecke" zu leiden hat.

Unter den Reisenden ist die Stimmung gespalten. "Wenn diesen Eisenbahnern die Tarife nicht passen, warum haben sie sich den Job überhaupt ausgesucht? Hat sie ja keiner gezwungen", hört man im Zug von der einen Seite schimpfen. Auf der anderen Seite wird Verständnis signalisiert. "Wo wären wir denn heute ohne die Gewerkschaften und ihre Arbeitskämpfe?" Die Rechte, die Arbeiter heute haben, sind ihnen nicht von sozial gesinnten Unternehmern geschenkt worden. Sie wurden erstritten. Die Arbeiter mussten erst demonstrieren, dass alle Räder stillstehen, wenn ihr "starker Arm" das will.

Nun stehen eben wieder Räder still.

Was können die Lokführer noch tun?

Bislang konnten sich die Lokführer meiner grundsätzlich latent vorhandenen Solidarität sicher sein. Und klar: Ein Streik muss wehtun. Dieser hier soll der Deutschen Bahn AG wehtun. Das Ziel lässt sich nur über die unzähligen Kundinnen und Kunden erreichen, die von der Bahn abhängig sind. Die Reisenden werden also von der Gewerkschaft gezwungen, mit dem Unternehmen mitzuleiden. Wir werden in Mitleidenschaft gezogen. So lange, dass es diesmal wirklich ziemlich weh tut. Da wird die Solidarität schon arg strapaziert.

Andererseits: Was sollen die Lokführer tun, um ihre Ziele zu erreichen? In ihrer Freizeit demonstrieren? Noch einen Warnstreik organisieren? Das führt zu der Frage, ob dieser lange Streik noch verhältnismäßig ist.

Die Bahn sagt natürlich nein. Was soll sie als Betroffene sonst sagen? Aber auch manche Wirtschaftsvertreter und Politiker versuchen nun, die Stimmung in Teilen der Bevölkerung für Kritik an der Gewerkschaft auszunutzen. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) drückt laut Bild-Zeitung den Bürgern Verständnis für ihren Ärger aus - als Pendler fühle ich mich da besonders angesprochen. Danke, Herr Dobrindt. Deutlicher wird der Bundestagsabgeordnete Michael Fuchs (CDU). Er sagte derselben Zeitung, dass die Wirtschaft unter den unerträglichen Machtspielen eines einzelnen Gewerkschafters - gemeint ist Weselsky - leiden müsse.

Vorsicht, hier versuchen Interessenvertreter, meinen Unmut zu instrumentalisieren. Das gibt mir zu denken. Zurückhaltender äußerte sich Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD). Er forderte in der Bild "alle Beteiligten" - also auch die Bahn - auf, ernsthaft zu verhandeln, statt Deutschland lahmzulegen. Wurde also bislang nicht ernsthaft verhandelt? Das werfen die Beteiligten sich gegenseitig vor, und die Schuld an der Eskalation schieben sie ebenfalls jeweils der Gegenseite in die Schuhe.

Wer hat recht? Wer blockiert? Ist die GDL anmaßend in ihren Forderungen, oder ist sie gezwungen, einen unangemessenen Widerstand der Bahn zu brechen?

Nun unterstelle ich der GDL, dass sie nicht aus Lust und Laune streikt und leichtfertig und fahrlässig die Menschen in ihrer Mobilität einschränkt. Und damit den geballten Unmut von großen Teilen der Bevölkerung auf sich zieht. Ich halte die Gewerkschaftsmitglieder nicht für verantwortungslose, egoistische Asoziale.

Selbst ohne die Punkte der GDL im Einzelnen bewerten zu wollen: Was sie an mehr Lohn und weniger Überstunden fordern, an Verbesserungen bei den Ruhetagen und in der Schichtfolge klingt nun nicht wirklich größenwahnsinnig. Das Gehalt von Lokomotivführern liegt unter dem Durchschnitt in Deutschland. Sie schieben bereits drei Millionen Stunden an Überstunden und Urlaubsrückständen vor sich her, klagt die Gewerkschaft. Bei Lokrangierführern oder Zugbegleitern dürfte es ähnlich aussehen. Manche von ihnen lassen sich von der kleinen, streitbaren GDL vertreten, weil sie sich dort offenbar besser aufgehoben fühlen als bei anderen Gewerkschaften.

Hier liegt der Kern des aktuellen Streiks. Viele Beobachter sehen ihn deshalb als Ausdruck eines Machtkampfes, in dem Organisationen um Zuständigkeiten streiten. Für die betroffenen Zugbegleiter und Rangierlokführer geht es dagegen tatsächlich um Geld, Arbeitszeiten, Überstunden. Die klassischen Arbeitnehmerfragen.

Über die Arbeitsverweigerung demonstriert uns die GDL eindringlich, welch große Bedeutung sie und ihre Mitglieder für die Mobilität in Deutschland haben. Das gilt unabhängig davon, dass mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) eine Konkurrenz existiert, in der ebenfalls einige Tausend Lokführer und Zugbegleiter organisiert sind. Und die an Mitgliedern insgesamt stärker ist als die GDL.

Wichtiger Job - schlecht bezahlt

Das führt zu einem interessanten Gedanken: Viele Berufe werden besonders gut honoriert, weil das, was sie leisten, für viele andere Menschen von Bedeutung ist. Je mehr Menschen davon profitieren oder davon abhängen, umso besser ist in der Regel die Bezahlung.

Das erklärt das höhere Gehalt des Abteilungsleiters im Vergleich zum Untergebenen. Auch die manchmal exorbitant hohen Managergehälter werden damit gerechtfertigt, dass sich ihre Leistungen auf die Lebensumstände vieler anderer Menschen auswirken: Auf Angestellte, die aufgrund guter Geschäfte besser bezahlt werden oder wenigstens ihre Jobs behalten können. Und auf Gesellschafter und Aktionäre und deren Vermögen.

Wenn also die Lokführer in der Lage sind, große Teile der Bevölkerung durch eine Woche Arbeitsniederlegung in tiefe Verzweiflung zu stürzen und der Wirtschaft Hunderte Millionen Euro Kosten zu verursachen, sollten wir ihre verhältnismäßig niedrigen Gehälter und Ansprüche neu wahrnehmen. Ihr Streik ist keine Erpressung, sondern vielleicht doch eine berechtigte Forderung nach gerechterer Bezahlung.

Das gilt natürlich auch für viele andere Berufsgruppen. Diese Erkenntnis muss aber nicht unbedingt zu mehr Bescheidenheit auf Seiten der GDL führen. Es könnte zu mehr Selbstbewusstsein etwa in Pflegeberufen oder bei Lehrkräften führen. Oder bei den Erziehern in den Kindergärten - die entscheiden derzeit ja auch über einen Streik.

Es lassen sich übrigens auch die Widrigkeiten, die der Streik in den kommenden Tagen für die Bahnreisenden mit sich bringt, leichter ertragen, wenn man sich einfach solidarisch erklärt. Ist halt Arbeitskampf. Vielleicht sollten wir alle etwas mehr GDL sein.

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