Der neunte Bahnstreik hat begonnen, und weil der Konflikt längst die Phase hinter sich gelassen hat, in der man übertriebene Hoffnungen in Argumente setzen sollte, drängen sich andere Fragen auf: Wer und was könnte bewirken, dass die Auseinandersetzung zu einem Ende kommt? Und wären solche Hoffnungen realistisch?
Der Beamtenbund
Die GDL gehört dem Beamtenbund an, der nach dem DGB der zweite große Gewerkschaftsdachverband in Deutschland ist. Der Beamtenbund hat aus mehreren Gründen Einfluss auf die GDL: Sein Vorsitzender Klaus Dauderstädt, ein umsichtiger und abgeklärter Rheinländer, vermittelt seit Monaten im Hintergrund. Immer dann, wenn GDL-Chef Claus Weselsky und Bahn-Vorstand Ulrich Weber nicht mehr weiterwissen, aktiviert Dauderstädt den Draht, den er zu Bahn-Chef Rüdiger Grube hat (und umgekehrt).
Darüber hinaus unterhält der Beamtenbund einen Aktionsfonds, aus dem er Streiks seiner Gewerkschaften mit bis zu 50 Euro pro Streikteilnehmer und Streiktag unterstützt. Der Fonds speist sich vor allem aus Vermögenserträgen des Beamtenbunds. Den Antrag auf Unterstützung muss eine Gewerkschaft stellen, bevor sie ihren Streik beginnt. Für mehrere Streiks hat die GDL einen solchen Antrag gestellt - aber ausgerechnet für diesen de facto unbefristeten nicht, wie der Süddeutschen Zeitung am Dienstag aus mehreren Quellen bestätigt wurde.
Warum? Zu den anderen Organisationen im Beamtenbund gehören unter anderem die Deutsche Polizeigewerkschaft, die Deutsche Steuergewerkschaft, der Philologenverband, Komba (für Beschäftige im Kommunal- und Landesdienst) und der Verband Bildung und Erziehung. Wer sich umhört, der hört viel Gegrummel: Hat dieser Weselsky eigentlich eine Strategie, wie er aus seinem Konflikt wieder herausfindet? Und wenn nein, warum sollen wir alle für sein Unvermögen mitbezahlen? Gewerkschaftsvorsitzende berichten von "Hunderten Austritten", und es beruhigt die Gemüter auch nicht immer, wenn sie darauf hinweisen, dass der Aktionsfonds sich eben nicht aus Mitgliedsbeiträgen speist. Denn es sei "absehbar", sagt ein Vorsitzender, dass die laufenden Zuschüsse aus Vermögenserträgen nicht mehr ausreichen, um die Streikunterstützung zu bezahlen. In dem Fall droht den Beamtenbund-Gewerkschaften eine Umlage.
Von der GDL gab es zu dem Thema am Dienstag keine Auskunft. Daher kursierte die Vermutung, dass sie auf Streikunterstützung diesmal verzichtet, um die internen Konflikte nicht noch weiter zu befeuern - und um auch ihren Schwestergewerkschaften zu demonstrieren, wie wichtig ihr dieser Streik ist. Falls sie täglich 3000 Beschäftigte zum Streik aufruft und nun jedem Teilnehmer 100 Euro Streikgeld zahlt, kostet sie jeder Streiktag 300 000 Euro.
Der Bundesverkehrsminister
Vor sieben Jahren, beim letzten großen Lokführerkonflikt, nahm sich schließlich der damalige Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) der Sache an. Er bearbeitete den damaligen GDL-Chef Manfred Schell und den damaligen Bahn-Boss Hartmut Mehdorn so lange, bis sie ihre Unterschrift unter eine Einigung setzten.
Tiefensees Nachnachfolger Alexander Dobrindt (CSU) hat eine solche Intervention dem Vernehmen nach erwogen, aber verworfen. Zu unterschiedlich erschienen ihm die Voraussetzungen: Mehdorn und Schell waren damals beide nicht mehr Herr über ihre Emotionen; diesmal gelten die Kontrahenten beide als rational, die sich in einem kühl kalkulierten Gefecht befinden. Außerdem hat Dobrindt mehrmals öffentlich Stellung bezogen gegen den GDL-Streik, auch am Dienstag wieder - von ihm würde sich Weselsky zu nichts überreden lassen. Ganz abgesehen davon, dass der heutige GDL-Chef als weitaus härteres Kaliber gilt als sein Vorgänger Schell.
Aussperrung durch die Bahn
Zu den denkbaren Möglichkeiten im Arbeitskampf gehört, dass der Arbeitgeber mit einer Aussperrung auf den Streik reagiert. Dabei verweigert der Arbeitgeber Arbeitnehmern den Zutritt zu ihrer Arbeitsstätte - mitunter auch solchen, die gar nicht am Streik teilnehmen. Aussperrungen kommen in Deutschland allerdings nur äußerst selten vor. Erstens gelten sie als brutal und extrem eskalierend, vor allem, wenn sie sogar am Streik unbeteiligte Arbeiter treffen. Zweitens würde der Arbeitgeber damit die Wirkung des Streiks auf seine Kunden ja noch verstärken. Also antwortete Bahn-Vorstand Ulrich Weber am Montag auf eine Journalistenfrage, ob Aussperrungen für den Konzern weiterhin tabu seien: "Ja."