Bahnchef Grube:Der Messias und seine Jünger feiern Stuttgart 21

Die IHK Stuttgart lädt zur Diskussion über Stuttgart 21: Ein Treffen von Gläubigen für Gläubige, mit Bahn-Chef Grube als Messias. Seine Botschaft stellt die gesamte Schlichtung in Frage.

Thorsten Denkler, Stuttgart

Das Ding, das Bahn-Chef Rüdiger Grube in Händen hält, sieht aus wie ein kleiner schwarzer Teufel. Eine wenig menschlich anmutende Fratze mit zwei Hörnchen an beiden Seiten des Kopfes. Es ist der höchste Preis, den die Industrie- und Handelskammer (IHK) Stuttgart zu vergeben hat - der Merkur, der Gott des Handels, der Schutzpatron der Gewerbetreibenden.

Ruediger Grube zu Stuttgart 21

Bahnchef Rüdiger Grube fühlt sich wohl auf dem IHK-Podium.

(Foto: dapd)

IHK-Präsident Herbert Müller überreicht dieses schwarze Etwas mit einem breiten Lächeln an Rüdiger Grube, den derzeit obersten Schutzpatron von Stuttgart 21. Deswegen sind sie hier an diesem Montagabend. 750 Unternehmer aus der Region, Mitglieder der IHK. Sie wollen den Mann von der Bahn hören. Er soll ihnen Stuttgart 21 erklären.

Eine Podiumsdiskussion ist angekündigt in dem sakral anmutenden Mozartsaal in der Stuttgarter Liederhalle. Bei Podiumsdiskussionen ist es allgemein üblich, dass Vertreter unterschiedlicher Positionen das Wort erhalten. Bei der IHK Stuttgart läuft das etwas anders.

Da sitzen neben dem IHK-Präsidenten und dem Bahn-Chef noch der IHK-Vizepräsident und der Hauptgeschäftsführer der IHK auf der Bühne. Alle vier sind ausgewiesene Befürworter des umstrittenen Bahnhofsprojektes Stuttgart 21. Und die meisten Zuhörer im Saal sind es auch, was am Applaus gemessen werden kann - der zuverlässig aufbrandet, wenn es gegen die S21-Gegner geht.

Hier haben sich die getroffen, die einig sind im Glauben an das Mammutprojekt. An der Seitenwand hängt ein deckenhohes Plakat mit vier Geboten: "S21. Mehr Jobs, mehr Tempo, mehr Stadt, mehr Zukunft."

Rüdiger Grube ist nicht da, um Gegner zu überzeugen. Er ist gekommen, um die zu bestärken, die ohnehin auf seiner Seite sind. Eine Mobilisierungsmission, könnte man sagen. Nur jetzt nicht schlappmachen!

"Kein Mensch kann so naiv sein"

Wenn er spricht, rutscht Grube auf dem Sessel ganz nach vorne, stützt die linke Hand auf das Knie, gestikuliert mit der Rechten. Er ist dabei so weit nach vorn gebeugt, als wolle er jeden Moment ins Publikum eintauchen. Nach jedem Satz, dem der oberste Bahn-Angestellte innerlich Bedeutung zuzumessen scheint, schiebt er das Kinn kurz nach vorne. Es gibt offenbar nur wenige Sätze, denen der frühere Chef des Luftfahrt- und Rüstungkonzerns EADS keine größere Bedeutung zumisst.

Was geht und was nicht geht

Es geht viel um Zahlen. Und dass er es war, der die veralteten Kostenrechnungen für Stuttgart 21 nach seinem Amtsantritt im Mai 2009 auf den neuesten Stand hat bringen lassen. Und dass "kein Mensch so naiv sein kann zu glauben, dass die Kosten von 2004 die gleichen sind wie 2010".

Grube spricht über Zugabfertigungen pro Stunde, kürzere Fahrzeiten, bessere Anbindungen, über ökologische Vorteile. Er rattert Zahlen, Daten und Fakten zu Stuttgart 21 herunter, als hätte er sich seit seiner Geburt um nichts anderes gekümmert.

Aber was die Unternehmer hier vor allem sehen wollen, ist Standhaftigkeit. Sie wollen einen Rüdiger Grube, der sich nicht einschüchtern lässt von ein paar spinnerten Projektgegnern.

Der Gast aus Berlin gibt ihnen, was sie wollen. Er werde den Bürgern und auch den Gegnern des Projektes Stuttgart 21 jetzt "ganz klar sagen, was geht und was nicht geht", sagt Grube. Nach dem folgenden Satz donnert Beifall los: "Es kann und darf keinen Baustopp und keinen Vergabestopp geben." Das gelte für alle Baumaßnahmen.

Der Schlichter und Ex-CDU-Generalsekretär Heiner Geißler muss da am Abend vorher etwas gehörig missverstanden haben. Geißler hatte nach seinem mehrstündigen Gespräch mit dem Bahn-Manager in der Öffentlichkeit den Eindruck erweckt, als habe Grube vor, sich auf einen Baustopp während der Schlichtung einzulassen. Der Vorstandschef des Staatskonzerns aber macht klar: Das wird es auf gar keinen Fall geben. Und plötzlich steht der gesamte Schlichtungsgedanke wieder auf der Kippe.

Seine Haltung begründete Grube mit den Kosten eines Bau- und Vergabestopps - sowie den vertraglichen Verpflichtungen: "Über den Daumen gepeilt kostet jede Woche Baustopp 2,5 Millionen Euro." Außerdem hätte die Deutsche Bahn "einen Vertrag der uns sagt, diesen Vertrag müssen wir abarbeiten".

Über solche Fragen dürfe er als Vorstandsvorsitzender der Bahn ohnehin "gar nicht alleine entscheiden". Dafür benötige er ein Votum des Aufsichtsrates und das Einverständnis aller Projektträger. "Ein Vertrag ist ein Vertrag und ein Vertrag ist dafür da, dass er erfüllt wird". Die IHKler freut das.

IHK-Präsident Müller hatte in seiner Begrüßung darauf hingewiesen, dass es auch in der IHK abweichende Positionen zu Stuttgart 21 gebe. Die sollten hier auch zu Wort kommen. Und auch Grube versichert mehrfach, dass er gerne mit den Gegnern von S21 in Dialog treten werden.

Wenn die Kammer zur Sekte wird

Als dann aber Müller die Fragerunde für das Publikum öffnet, wird schnell klar, dass die Gegner hier eher nicht gefragt sind. Müller liest direkt mal sechs Namen vor, die wie durch ein Wunder auf seiner Liste mit den Fragestellern gelandet sind. Allesamt "glühende Befürworter" von Stuttgart 21, wie einige bekennen. Sie reden wie Jünger nach der Predigt ihres Messias. Noch ganz beseelt von den Durchhalte-Parolen des Rüdiger Grube.

Da ist etwa Berthold Leibinger, der vor 25 Jahren mal Kammerpräsident war. Er sagt: "Ich kann es nicht mehr hören, wenn mir gesagt wird, mir langt der jetzige Bahnhof." Das sei eine "unethische Haltung". Oder Rainer Dulger, Chef des Arbeitgeberverbandes Südwestmetall. Ein hochgewachsener Mann, der gewohnt zu sein scheint, dass ihm niemand widerspricht. Wie Leibinger geht auch er nach vorne und spricht zum Publikum: "Bitte, werden sie nicht müde weiter für das Projekt zu kämpfen!" Und richtet dann noch ein Wort an die Politik: "Wenn Stuttgart 21 gekippt wird, dann gefährden sie die Grundlagen der parlamentarischen Demokratie in unserem Lande."

Wieder donnernder Applaus.

Oder Joachim Möhrle, Präsident des baden-württembergischen Handwerks. Der fasst zusammen, was von diesem Abend zu halten ist: "Von dieser Veranstaltung geht auch ein deutliches Signal aus, dass wir dieses Projekt wollen." Großer Beifall. Den Gegnern, sagt er, gehe es nicht mehr um das Bahnhofsprojekt so kurz vor der Landtagswahl im kommenden März. "Hier geht es um die Macht in diesem Land."

Für einen, der Grubes Argumente höre, gebe nur zwei Möglichkeiten: "Entweder er ist von ihrer Sachlichkeit überzeugt. Oder er ist böswillig und will die Argumente nicht zur Kenntnis nehmen."So denkt der Handwerks-Chef. So langsam bekommt diese Podiumsdiskussion sektenähnliche Züge.

Wie der Puls schlägt

Ein Gegner kommt dann doch zu Wort. Klaus Steinke, Geschäftsführer einer Kommunikationsagentur in Stuttgart. Er trägt einen grünen K21-Button am Jackett und keine Krawatte, was ihn für einige im Saal bereits verdächtig machen dürfte. Er wolle mit seinem Auftritt nur das Bild widerlegen, dass alle Unternehmer in der IHK für Stuttgart 21 seien, sagt Steinke. Und dass er sich im demokratischen Interesse gefreut hätte, wenn draußen an der Garderobe nicht nur Pro-S21-Sticker verteilt würden, sondern auch die Sticker der Initiative für den Erhalt des Kopfbahnhofes, K21 eben.

Sechs Leute klatschen. Sechs.

Für IHK-Präsident Müller macht das nur umso deutlicher, wie der "Puls schlägt" in Industrie und Handel rund um Stuttgart.

Rüdiger Grube kann zufrieden abreisen. Am Dienstagmorgen trifft er sich mit seinen Vorständen in Frankfurt. Es gibt im Bahn-Imperium noch anderes als nur Stuttgart 21. Ist eh ein eigentlich kleines Projekt - am Anfang hat Grube das gesagt: Bundesweit "managen wir Werte von 89 Milliarden Euro". Nur, um mal die Dimensionen klar zu machen. Stuttgart 21 ist mit seinen etwas über vier Milliarden Euro Baukosten offenbar eher im Segment der "Peanuts" anzusiedeln.

Draußen vor der Liederhalle aber sehen das einige ganz anders. Tausende Demonstranten haben den Mozartsaal für einige Zeit eingekesselt. Bis in den Saal hinein sind Trillerpfeifen und Vuvuzelas zu hören. Erst kurz vor Ende der Podiumsdiskussion ziehen die S21-Gegner ab.

Auch wenn Grube und die 750 IHKler im Saal das anders sehen: An Gesprächsbedarf mangelt es in diesen Zeiten nicht.

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