SZ: Am Sonntag stimmen die Baden-Württemberger über Stuttgart 21 ab. Freuen Sie sich darauf oder wird Ihnen bei dem Gedanken mulmig?
Volker Kefer: Ich freue mich auf den Sonntag, weil ich mir einen Endpunkt für einen sehr, sehr langen Prozess erwarte. Die Schlichtung ist jetzt ein Jahr her, irgendwann muss es auch mal gut sein. Und ich hoffe, dass möglichst viele Leute zur Wahl gehen.
SZ: Die Gegner des Tiefbahnhofs stützen ihren Wahlkampf auf zwei Hauptargumente: dass die Baukosten explodieren werden und dass Stuttgart 21 weniger leistungsfähig wäre als ein sanierter Kopfbahnhof. Die Gegner kommen in einer aktuellen Umfrage immerhin auf 45 Prozent. Völlig entkräftet haben Sie deren Argumente also nicht.
Kefer: Und die Befürworter bekommen in dieser Umfrage 55 Prozent. Wir haben seit Monaten eine stabile Mehrheit für Stuttgart 21, mal ein bisschen höher, mal ein bisschen niedriger, aber stabil. Über die angebliche Kostenexplosion philosophieren die Projektgegner ja schon lange. Ein kluger Mensch hat mal gesagt: Prognosen sind immer schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen. Wir haben das Projekt regelmäßig überprüft, und wir haben den Projektpartnern jetzt aktuell gesagt: Wir halten zusätzliche Kosten von 370 Millionen Euro für wahrscheinlich. Das haben wir alles schon lange auch im Internet veröffentlicht. Und jetzt werden wir dafür kämpfen, dass Stuttgart 21 innerhalb des Finanzierungsrahmens bleibt. Aber dafür ist es auch erforderlich, dass alle Projektpartner an einem Strang ziehen. Und zwar in dieselbe Richtung.
SZ: Sie glauben wirklich, dass es gelingen kann, den Finanzierungsrahmen von 4,5 Milliarden Euro einzuhalten?
Kefer: Ich sage, dass es gelingen kann. Wir haben seriös gerechnet, aber ich kann nicht zehn Jahre auf den Euro genau in die Zukunft schauen.
SZ: Explodieren denn nicht bei allen Großprojekten die Kosten?
Kefer: Nein. Zumal man sehen muss: Wir haben bei Stuttgart 21 erstmals überhaupt einen Risikopuffer von insgesamt 760 Millionen Euro eingerechnet, das hat es so bislang nicht gegeben. Als Lerneffekt haben wir dieses Verfahren jetzt zum Beispiel übertragen auf die zweite Stammstrecke der S-Bahn in München. Auch da gibt es jetzt einen Risikopuffer.
SZ: Mal angenommen, die 4,526 Milliarden Euro sind doch nicht zu halten. Wer soll dann die Mehrkosten tragen?
Kefer: Im Finanzierungsvertrag gibt es eine Sprechklausel, die sieht vor, dass die Partner dann darüber beraten. Wir haben damals ausgemacht, dass wir das Problem gemeinsam lösen. Zu dieser Vorgehensweise stehen wir, und wir fordern sie auch von den Projektpartnern ein.
SZ: Die Landesregierung hat aber deutlich gemacht, dass sie nicht mehr bezahlen will.
Kefer: So einfach ist das nicht. Wenn man in einem Vertrag etwas festlegt, kann man das nicht im Nachhinein einseitig verändern. Das geht nicht. Es war auch die damalige Landesregierung, die den Bahnhof und diese Finanzierungsvereinbarung wollte.
SZ: Jetzt regieren die Grünen und versuchen, Stuttgart 21 zu verhindern. Dazu kommen der Protest auf der Straße und Zweifel bei vielen Leuten. Ist es sinnvoll, unter diesen Umständen solch ein gigantisches Projekt zu beginnen?
Kefer: Ich kann mir nicht vorstellen, so ein Vorhaben über Jahre hinaus gegen den Willen der Landesregierung durchzuführen. Das würde dem Land, dem Projekt und allen Projektpartnern schaden. Deshalb hoffe ich, dass der Meinungsbildungsprozess jetzt mit der Volksabstimmung zu einem Ende geführt wird. Einem für uns positiven Ende. Ich erwarte, dass sich die Landesregierung dann klar zu S 21 bekennt und dass wir wieder gemeinsam daran arbeiten. Man kann nicht erst demokratische Rechte einfordern und sie dann nicht gewähren, wenn einem das Ergebnis nicht gefällt.
SZ: Es gibt sehr unterschiedliche Auffassungen, was ein Ausstieg des Landes aus dem Projekt kosten würde. Die Bahn sagt, ihr stünden 1,5 Milliarden Euro Schadenersatz zu. Die Grünen sagen, es seien maximal 350 Millionen Euro. Ein strittiger Punkt sind die Grundstücke vom Gleisfeld, welche die Bahn schon 2001 an die Stadt Stuttgart verkauft hat. Den Kaufpreis von 700 Millionen Euro rechnen Sie beim Schadenersatz ein. Aber Sie würden ja auch die Grundstücke zurückbekommen, wenn Sie der Stadt das Geld zurückzahlen müssten. Wo ist denn da bitte der Schaden?
Kefer: Ich bin Ingenieur, aber ich habe mir das von Juristen erklären lassen. Es gibt einen Vertrag, und wenn die Landesregierung beschließt, aus dem Vertrag auszusteigen, wird sie vertragsbrüchig. Die anderen Vertragspartner würden dagegen klagen und hätten den Anspruch, dass sie so gestellt werden, als wenn das Projekt realisiert würde. Dann wäre es dabei geblieben, dass wir die Grundstücke für 700 Millionen Euro verkauft hätten. Das ist unsere Anspruchsgrundlage.
SZ: Wie kommen Sie eigentlich mit Ihren Gegenspielern, dem Grünen-Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann und dessen Verkehrsminister Winfried Hermann, zurecht?
Kefer: Wir kommen miteinander aus. Sie beurteilen das Projekt anders als ich, aber das respektiere ich. Auch die Ausstiegskosten kalkulieren sie anders. Allerdings möchte ich auf eines hinweisen: Nach dem derzeitigen Finanzierungsvertrag soll das Land 930 Millionen Euro beisteuern. Selbst wenn man tatsächlich von den 1,5 Milliarden Euro, die wir im Fall eines Ausstiegs als Schadenersatz verlangen würden, noch etwas abzieht, stünde man doch sehr schnell vor der Frage: Was ist besser für Baden-Württemberg - 930 Millionen Euro für einen neuen Bahnhof zu bezahlen oder lieber noch mehr Geld für gar nichts?
SZ: Wie sehr hat das Image der Bahn allein dadurch gelitten, dass die S-21-Gegner in den vergangenen Monaten fast wöchentlich mit neuen Enthüllungen und Vorwürfen kamen?
Kefer: Das müssen Sie die Öffentlichkeit fragen. Wir haben uns allerdings sehr bemüht, umsichtig aufzutreten und die Emotionen nicht noch anzuheizen. Vor allem haben wir gleich zweimal einen Baustopp verhängt - einmal während der Schlichtung, die ja noch unter Schwarz-Gelb stattfand, und ein zweites Mal nach der Wahl im Frühjahr, bis die grün-rote Landesregierung sich konstituiert hatte. Wir haben bislang darauf verzichtet, den Südflügel abzureißen, und sind überhaupt bei allen Baumaßnahmen mit Augenmaß vorgegangen.
SZ: Kennen Sie die Gerüch te, welche die Bahnhofsgegner über Sie verbreiten?
Kefer: Über mich?
SZ: Dass Sie in Wahrheit einer von ihnen seien und den neuen Bahnhof persönlich auch ablehnen würden. Dass Sie das aber nicht laut sagen könnten, weil Bahn-Chef Grube und Bundeskanzlerin Merkel etwas anderes von Ihnen erwarten.
Kefer: Es soll doch niemand glauben, ich hätte die wochenlange Schlichtung, die beiden Stresstests und jetzt die Zeit vor dem Volksentscheid so bestreiten können, wenn ich nicht davon überzeugt wäre, dass dieses Projekt verkehrlich, städtebaulich und wirtschaftlich für alle Projektpartner eine Riesenchance ist.
SZ: Es gibt noch ein weiteres Gerücht. Demnach wissen Sie angeblich selbst, dass die Kosten bald explodieren werden. Und deshalb halten Sie bereits nach beruflichen Alternativen Ausschau, damit Ihnen - wenn es so weit ist - nicht die Torte ins Gesicht fliegt.
Kefer (lacht): Ich liebe Torten. Aber im Ernst, ich bin keiner, der Problemen den Rücken kehrt, schon gar nicht, wenn mir meine Arbeit so viel Spaß macht, wie bei der Bahn.
SZ: Aber es stimmt doch, dass Ihr Vorstandsvertrag Ende November ausläuft und noch nicht verlängert ist?
Kefer: Warten Sie doch einfach in aller Ruhe ab.
SZ: Wo und wie werden Sie eigentlich den Sonntag verbringen?
Kefer: Bei meiner Familie in Erlangen. Es wird ein ganz normaler Sonntag - mit Joggen, ausgedehntem Frühstück und vielleicht auch ein, zwei Saunagängen.
SZ: Und wo werden Sie das Ergebnis der Volksabstimmung verfolgen?
Kefer: Vorm Fernseher wahrscheinlich. Aber selbst wenn nicht: Ich bin sicher, dass es bis zu mir vordringt.