Bahn: Stuttgart 21:Merkels Wagnis

Eine Frage der politischen Lebensfähigkeit: Verliert die CDU in Baden-Württemberg die Macht, wackelt auch die Kanzlerin. Warum sich Angela Merkel trotz aller Widerstände zum Bahnprojekt Stuttgart 21 bekennt.

Stefan Braun

Niemand soll mehr zweifeln. Nicht an ihr und ihrem Kurs, nicht an ihrer Kampfbereitschaft - und erst recht nicht daran, dass auch die Parteifreunde Angela Merkels neuen Weg für den richtigen halten.

UN-Gipfel in New York - Angela Merkel

Angela Merkel stell sich voll hinter das Bahnprojekt Stuttgart 21 - ein guter Plan?

(Foto: dpa)

Stellt trotzdem einer entsprechende Fragen, dann erzählt die Kanzlerin von Botschaften, die das Gegenteil beweisen sollen. Als Merkel jüngst gefragt wurde, ob die CDU in Baden-Württemberg ihren Beschluss gutheiße, die Landtagswahlen im März zum Votum über das umstrittene Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 zu erklären, verwies die Kanzlerin auf eine Reaktion des Ministerpräsidenten Stefan Mappus: Dieser habe sich außerordentlich zufrieden über ihre klare Position geäußert.

Der Wahltag als Tag der großen Abrechnung

Zufriedenheit - das klingt natürlich gut in Merkels Ohren. Stefan Mappus gehörte bis vor kurzem nicht gerade zu den Fans der CDU-Chefin. Als Konservativer zählte er lange Zeit eher zu denen, die Merkels Verständnis von Politik nicht gerade mit Freude begleitet haben. Mittlerweile aber haben sich die Zeiten geändert. Deshalb halten sich nun zwei politisch fest aneinander, die sich das vor einigen Monaten nicht hätten träumen lassen.

Die Gründe sind offenkundig: Die Proteste gegen Stuttgart 21 haben ein Ausmaß erreicht, das den Erfolg der CDU bei den Landtagswahlen gefährdet. Und die schwarz- gelbe Koalition in Berlin muss noch immer so sehr um Anerkennung kämpfen, dass niemand sagen kann, ob das verlorene Vertrauen wieder zurückkehrt.

Für Merkel und Mappus wird der Wahltag im Frühjahr zum Tag einer großen Abrechnung. Für beide wird sich dann zeigen, ob sie politisch lebensfähig bleiben. Auch wenn die Abstimmung formal nur über die Landesregierung entscheidet - sollte die CDU dort die Macht verlieren, wo sie seit Gründung des Landes Baden-Württemberg ununterbrochen regiert hat, wackelt auch die CDU-Chefin Angela Merkel.

Will man also verstehen, warum die Bundeskanzlerin sich so unmissverständlich hinter das Projekt gestellt hat, muss man die Lage in Stuttgart mit der in Berlin verbinden. Nachdem Mappus den Umbau des Bahnhofs zu seinem großen Kampf erklärt hatte, sah die Kanzlerin keine andere Möglichkeit mehr, als sich voll dahinterzustellen.

"Wir tun jetzt, was wir für richtig halten"

Alles andere hätte die CDU als Illoyalität gelesen. Das wäre eine Variante gewesen, die sich vielleicht eine sehr fest im Sattel sitzende Kanzlerin mit hohen Zustimmungsraten hätte leisten können. Der Regierungschefin einer noch immer ziemlich angeschlagenen Koalition dagegen hätte das schnell Schwierigkeiten bereitet.

"Sie hat gar keine andere Chance mehr, als zu sagen: Wir tun jetzt, was wir für richtig halten", sagt einer aus der Berliner Fraktionsspitze. "Sie tut jetzt, was in bürgerlichen Kreisen gut ankommt: Sie zeigt Entscheidungsfreude, hoffentlich verbunden mit der Fähigkeit, sich auch durchzusetzen."

Es wird leise lamentiert

Allerdings räumt mancher Christdemokrat hinter vorgehaltener Hand noch einen zweiten Aspekt ein: den für Merkel angenehmen Nebeneffekt, dass ihr nun im Falle einer Niederlage bei der Wahl im März niemand vorwerfen kann, es habe vor allem an der schlechten Arbeit der Regierung in Berlin gelegen. Wer so laut seine Solidarität für ein Projekt in Stuttgart signalisiert, lenkt auch alle Blicke in die baden-württembergische Landeshauptstadt.

Vielleicht liegt es genau daran, dass einige Christdemokraten in Berlin und noch mehr in Stuttgart intern schon leise lamentieren, so viel Solidarität hätte nun auch wieder nicht sein müssen. In der Partei spüren zwar viele aus dem Südwesten, dass der Streit über den Bahnhof ihnen seit langer Zeit mal wieder ein echtes Kampfthema beschert hat. Aber diejenigen, die nicht in Stuttgart wohnen, wissen auch, dass es in anderen Landesteilen Skepsis gibt, wenn in der Landeshauptstadt mal wieder so viel Geld verbaut werden soll.

Scharfer Fokus auf den Bahnhof

Das heißt nicht, sie würden die Grundlinie für falsch halten. Sie unterstützen die Argumentation von Mappus und Merkel, es seien die Christdemokraten, die am Beispiel eines Großprojekts wie Stuttgart 21 die Zukunftsfähigkeit eines Industrielandes beweisen müssen. Aber ein bisschen zu scharf ist ihnen der Fokus auf den Bahnhof inzwischen doch geworden.

"Wir als CDU im Südwesten müssen den Leuten glaubhaft den Eindruck vermitteln, dass wir das Land in eine gute Zukunft führen", sagt einer aus dem Kabinett in Stuttgart. "Diese Frage auf das Bahnprojekt zu begrenzen, könnte sich noch zu einem großen Fehler auswachsen."

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