Würde man das Verhältnis zwischen der Deutschen Bahn und der Partei Die Grünen aufs Tierreich übertragen, dann landet man womöglich bei der Seeanemone und dem Einsiedlerkrebs. Die Seeanemone hat zwar giftige Tentakel, ist aber nicht besonders mobil. Deshalb heftet sie sich vorzugsweise an den Rücken des Einsiedlerkrebses. Gemeinsam durchstreifen sie die gefährlichen Weiten des Meeres. Symbiose sagen Biologen dazu. Beide Partner brauchen einander.
Für die Grünen ist die Bahn wichtig, weil sie schließlich wollen, dass die Menschen weniger Auto fahren, weniger Benzin und Diesel verbrennen. Die Verkehrswende kann ohne das umweltfreundliche Verkehrsmittel Eisenbahn kaum gelingen. Die Bahn wiederum braucht die Grünen, weil sie in den gefährlichen Weiten der Bundespolitik wenige natürliche Verbündete hat. Die Verkehrsminister der jüngeren Vergangenheit etwa, vorwiegend die von der CSU, haben sich so wenig um sie gekümmert, dass ihre Züge immer öfter auf Seeanemonen-Tempo zurückgeworfen werden.
„Wer so plant, sorgt dafür, dass am Ende niemand mehr den Zug nimmt“, sagte der grüne Verkehrsminister
Und so sind, allen Zugausfällen, außerplanmäßigen Stopps und Stellwerksstörungen zum Trotz, die Grünen eine Bahn-Partei geblieben, leidenschaftlich und treu. Die Frage ist, ob dieses Naturgesetz nach wie vor uneingeschränkt gilt.Denn wenn der Eindruck nicht täuscht, tun sich in dieser über lange Zeit so einträchtigen Beziehung gerade einige kaum übersehbare Risse auf. Besonders laut knirscht es ausgerechnet in Baden-Württemberg, dem einzigen Land, in dem mit Winfried Kretschmann ein grüner Ministerpräsident regiert.
Über „chaotische Zustände“ schimpfte bereits im Februar dessen Verkehrsminister Winfried Hermann, als die Bahn kurzfristige Streckensperrungen angekündigt hatte. Zwischendurch kam es zu der kuriosen Situation, dass manche Züge früher ankamen als in der App angezeigt. „Wer so plant, sorgt dafür, dass am Ende niemand mehr den Zug nimmt“, sagte Hermann. Und damit nicht genug.
Erst vor ein paar Wochen fand Kretschmann selbst ein paar deftige Worte für die Verantwortlichen von Stuttgart 21. Stuttgart 21, das ist jener Bahnhof, der schon lange fertig sein sollte, aber immer noch nicht fertig ist, dafür aber immer teurer wird. Darauf angesprochen sagte Kretschmann, wie die meisten Grünen von Anfang an ein S21-Skeptiker: „Ich habe nicht vergessen, mit welcher Arroganz wir da als Gegner abgebürstet worden sind.“ Arroganz, Chaos, Planungsfehler – es gibt offensichtlich Redebedarf.
Nun bemühen sich beide Seiten um versöhnliche Töne
Geredet wurde am Dienstag dann auch. Da traf sich die Landesregierung mit der Bahn zum ersten „Bahngipfel“ in Stuttgart seit vielen Jahren. Als Kretschmann und Hermann anschließend im Stuttgarter Staatsministerium gemeinsam mit Bahn-Chef Richard Lutz vor die Presse traten, stand für einen Moment die Frage im Raum: Knallt es jetzt auf offener Bühne? Zumal pünktlich zum Gipfel der SWR die pikante Meldung verbreitete, dass der neue Tiefbahnhof Ende 2026 nicht wie geplant in Betrieb gehen könne – sondern vermutlich nur teilweise.

Doch Kretschmann und Lutz verzichteten auf gegenseitige Vorwürfe, sie gaben sich vielmehr bemüht versöhnlich. Das Land und die Bahn hätten ein gemeinsames Ziel, sagte Kretschmann: „Dass wir die Eisenbahninfrastruktur wieder zukunftsfähig machen.“ Gnädig gestimmt haben ihn womöglich auch die Zusagen, die Bahn-Chef Lutz mit nach Stuttgart gebracht hatte: Zum Beispiel sollen Baustellen früher angekündigt werden und kleinere Bahnhöfe im Südwesten einen besseren Witterungsschutz bekommen. Man sei hier bei „friends and family“, versicherte Lutz.
Ein wenig klingt es, als hätten der Grüne und der Bahnchef soeben erfolgreich eine Paartherapie absolviert. Dafür war allerdings auf dem nicht-öffentlichen Bahn-Gipfel auch eine sehr direkte Ansprache der Probleme notwendig, wie Verkehrsminister Hermann durchblicken lässt: vom „klemmenden Aufzug bis zur nicht funktionierenden Entsorgung der Toiletten“ sei alles angesprochen worden.
Der nächste Ärger steht möglicherweise kurz bevor
Wie belastbar dieser Schulterschluss ist, wird sich wohl schon am 18. Juli zeigen. Da kommt der Lenkungskreis zu Stuttgart 21 in einer Sondersitzung zusammen. Dann soll entschieden werden, ob der neue Tiefbahnhof wie zuletzt geplant Ende 2026 in Betrieb gehen wird. Aus den Reihen der eigens dafür eingesetzten Taskforce ist zu vernehmen, dass die Inbetriebnahme entgegen dem bisherigen Konzept möglicherweise nur schrittweise erfolgen könnte.

Die Fernzüge wären dann an den neuen Knoten angeschlossen, der Nahverkehr würde dagegen für eine noch nicht definierte Übergangszeit weiter in den alten Kopfbahnhof einfahren. Für die Bahn wäre das der nächste Rückschlag bei ihrem einstigen Prestigeprojekt. Am Dienstag sagte Lutz nur, dass man dem Lenkungskreis nicht vorgreifen wolle. Nicht ausgeschlossen also, dass es bald wieder Grund für Ärger gibt.

