Bahn-Chef Grube im Interview (Teil I):"Stuttgart 21 - Ich falle nicht um"

In zehn Jahren will er Einweihung feiern: Bahn-Chef Grube will im Konflikt um den heftig umstrittenen Neubau des Stuttgarter Hauptbahnhofs hart bleiben. Ein Gespräch über die Zuspitzung des Protests gegen das Milliardenprojekt, fehlende Alternative und die Chancen, die sich durch den Bau für die Landeshauptstadt ergeben würden.

Franziska Augstein, Marc Beise, Daniela Kuhr

Seit Mai 2009 führt Ex-Daimler-Manager Rüdiger Grube, 59, die Deutsche Bahn. "Stuttgart 21" hat er vorgefunden, will das Projekt aber unbedingt durchziehen.

Bahn-Chef Grube im Interview (Teil I): "Ich stehe für dieses Projekt und dafür, dass es gewaltlos umgesetzt wird. Dieses Projekt hat ja eine ganz lange Vergangenheit, 17 Jahre!": Deutsche Bahn-Chef Rüdiger Grube.

"Ich stehe für dieses Projekt und dafür, dass es gewaltlos umgesetzt wird. Dieses Projekt hat ja eine ganz lange Vergangenheit, 17 Jahre!": Deutsche Bahn-Chef Rüdiger Grube.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Süddeutsche Zeitung: Herr Grube, Ihre Kundschaft wird mit Wasserwerfern von den Bäumen gespritzt. Was tun Sie zur Deeskalation?

Rüdiger Grube: Sie haben recht, dass gerade bei den Gegnern viele den Grünen nahestehen, also: Befürworter der Bahn sind. Ich bedauere die Eskalation. Ich bin ein absoluter Gegner von Gewalt...

SZ: In Stuttgart sieht es derzeit aber anders aus.

Grube: Ja, aber wir sind doch eine Demokratie! Das heißt nicht nur, Entscheidungen zu treffen, sondern auch, getroffene Entscheidungen umzusetzen. Ich stehe in Kontakt mit beiden Seiten, mit den Gegnern und den Befürwortern. Jetzt heißt es, die Polizei sei unangemessen gewalttätig. Aber man kann das auch anders sehen: Eine Schülerdemonstration morgens um zehn Uhr hatte den genehmigten Weg verlassen, und einige sind auf die Lastwagen und Polizeiautos gestiegen. Dass die Polizei dagegen etwas unternimmt, kann doch niemand ernsthaft kritisieren.

SZ: Es sind viele friedliche Demonstranten unterwegs ...

Grube: Ich weiß, und davor habe ich höchsten Respekt. Aber ich finde es schon merkwürdig, dass in einem Land, in dem Schulpflicht herrscht, 2000 Schüler während der Schulzeit einfach streiken. Und dass einige wenige Gegner bewusst Kleinkinder nach vorne geschoben haben, das finde ich bedenklich.

SZ: Kinderwagen zieht man halt nicht, man schiebt sie vor sich her.

Grube: Aber doch nicht an solchen Tagen! Eine andere Beobachtung im Hauptbahnhof: Da stehen Kinder als Litfaßsäule verkleidet und protestieren. Stellen Sie sich mal eine Sekunde lang vor, die Befürworter des Projekts würden so vorgehen. Die Gegner würden uns das zu Recht um die Ohren hauen.

SZ: Sie meinen, es ist Aufgabe der Polizei, für Ruhe um jeden Preis zu sorgen?

Grube: Die Polizei ist nur das ausführende Organ. Natürlich bin ich nicht bei den Einsätzen dabei. Aber ich fände es schäbig, wenn ich jetzt bloß sagte: Das ist Sache der Polizei, so ein Mensch bin ich nicht. Ich stehe für dieses Projekt und dafür, dass es gewaltlos umgesetzt wird. Ich bin ein engagierter Vertreter der repräsentativen Demokratie. Dieses Projekt hat ja eine ganz lange Vergangenheit, 17 Jahre! Alle Gremien haben es mit großen Mehrheiten in Bund, Land, Stadt und Region gutgeheißen. Wenn etwas anderes gewollt gewesen wäre, hätte man damals jederzeit darüber reden können. Jetzt sage ich: Demonstrationen ersetzen keine demokratischen Spielregeln.

Die Idee von K21, dem Kopfbahnhof, ist ein Phantom

SZ: Finden Sie die Sturheit von Ministerpräsident Mappus angemessen?

Grube: Ich rede viel mit ihm. Er ist genauso besorgt wie ich. Nur sagt er natürlich auch: Wir haben hier einen Beschluss, der uns bindet.

SZ: Sie würden Herrn Mappus also nicht zu einem zeitweisen Baustopp raten?

Grube: Nein. Wir sind mittlerweile zwischen die Fronten der Wahlkampfstrategen geraten. Die Grünen beispielsweise wollen das Thema möglichst in die Landtagswahl hineinziehen, damit sie ihre Version der Dinge, dass nämlich das Projekt noch umkehrbar ist, aufrechterhalten können.

SZ: Und, ist es nicht mehr umkehrbar?

Grube: Nein. Die Idee von K21, dem Kopfbahnhof, ist ein Phantom, eine Illusion. Das Konzept funktioniert nicht, weil es schlichtweg nicht existiert. Der neue Durchgangsbahnhof unter der Erde ist ein wichtiger Baustein im europäischen Fernverkehrsnetz. Deutschland hat sich dazu schon vor 15 Jahren international verpflichtet. Der heutige Bahnhof und das Gleisvorfeld sind in keinem guten Zustand, die ICEs schleichen rein und raus. Wir wollen doch mehr Schienenverkehr. Stuttgart21 ist eigentlich ein durch und durch grünes Projekt.

SZ: Ihre Gegner sind nicht überzeugt. Wie soll es jetzt weitergehen?

Grube: Wir müssen deeskalieren. Ich appelliere an alle: Lasst uns reden, die Fakten müssen auf den Tisch!

SZ: Was würde das aus Sicht der Gegner bringen? Sie wollen ja in jedem Fall weiterbauen. Wo ist da Raum für Kompromisse?

Grube: Es gibt immer einen Kompromiss. Beim Umbau des Bahnhofs selbst ist zwar nichts mehr zu machen, weil eine Änderung des bereits genehmigten Planfeststellungsverfahrens uns mindestens zehn Jahre zurückwerfen würde. Aber es gibt zum Beispiel noch viele städtebauliche Gestaltungsmöglichkeiten.

SZ: Was genau meinen Sie?

Grube: Na, wir gewinnen durch die Tieferlegung des Bahnhofs 100 Hektar neue Stadt. Das entspricht einem Drittel der Fläche von Stuttgart. Das kann man doch wunderbar gestalten. Es entstehen langfristig 10000 neue Arbeitsplätze. Wir wollen Arbeiten, Wohnen und Einkaufen so kombinieren, dass Stuttgart zu einem Leuchtturmprojekt wird.

SZ: Leuchtturm wofür?

Grube: Wir könnten Gebäude bauen, die alle eine Grünfläche auf dem Dach haben. Wir könnten nur noch Elektroautos erlauben, in die Stadt zu fahren. Wenn der Wille da ist, könnte Stuttgart zu einer CO2-Vorbildstadt werden.

SZ: Und wenn Ihre Vision kein Gehör findet? Wenn die Situation weiter eskaliert? Wann fallen Sie um?

Grube: Ich falle nicht um. Ich bin sicher, dass Stuttgart 21 verwirklicht wird. Vermutlich können wir in zehn Jahren Einweihung feiern. Es gibt ja Vorbilder.

SZ: Was meinen Sie?

Grube: 1996, als ich nach Stuttgart kam, waren 30 000 Demonstranten gegen die neue Messe. Heute gibt es niemanden mehr, der sich gegen die Messe stellt. Das ist ein Beispiel, wo anfängliche Skepsis sich als falsch erwiesen hat.

SZ: Sie setzen aufs Aussitzen?

Grube: Nein, nicht aufs Aussitzen: aufs Umsetzen! Ich sage Ihnen: Wenn Stuttgart 21 nicht kommt, wird in Deutschland wahrscheinlich kein Großprojekt mehr durchzusetzen sein.

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