Bahman Nirumand:"Ahmadinedschad führt in die Katastrophe"

Iran-Experte Bahman Nirumand über den Wahlkampf, Ahmadinedschads Rivalen und die Machtspiele im Hintergrund.

Johannes Aumüller

sueddeutsche.de: Am 12. Juni sind in Iran die nächsten Präsidentschaftswahlen, und im Westen wie in Iran haben viele die Hoffnung, dass Amtsinhaber Mahmud Ahmadinedschad dann abgelöst wird. Derzeit ist die iranische Opposition auf der Suche nach geeigneten Kandidaten ...

Bahman Nirumand: Am 12. Juni geht es um die Nachfolge von Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad, der seit 2005 im Amt ist. Bisher hat der Atmsinhaber noch nicht offiziell erklärt, dass er antritt, seine Kandidatur gilt als sehr wahrscheinlich. Viele Iraner sind unzufrieden mit seiner Regierungsarbeit, weshalb es aus dem Lager der Reformer wohl mindestens zwei Gegenkandidaten gibt.

Am 12. Juni geht es um die Nachfolge von Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad, der seit 2005 im Amt ist. Bisher hat der Atmsinhaber noch nicht offiziell erklärt, dass er antritt, seine Kandidatur gilt als sehr wahrscheinlich. Viele Iraner sind unzufrieden mit seiner Regierungsarbeit, weshalb es aus dem Lager der Reformer wohl mindestens zwei Gegenkandidaten gibt.

(Foto: Foto: dpa)

Bahman Nirumand: Bei dem Wort Opposition muss man erst einmal stottern. Sie meinen vermutlich jene, die sich als Reformwillige bezeichnen. Bei diesen handelt es sich um eine Fraktion im islamischen Lager, also um einen Teil des Systems im islamischen Gottesstaat. Die eigentliche Opposition befindet sich außerhalb des islamischen Lagers, ist jedoch im Inland nicht organisiert, weil das Regime keine Opposition duldet.

sueddeutsche.de: Es geht um die Reformwilligen, aus deren Reihen bei den Wahlen unter Umständen ein neuer Präsident kommen könnte.

Nirumand: Die bilden keine homogene Gruppe. Deshalb konnten sie sich bisher auf keinen gemeinsamen Kandidaten einigen. Zuerst hatten sie sich nach langem Ringen auf Mohammad Chatami geeinigt (iranischer Präsident von 1997 bis 2005; Anm. d. Red.), aber nach wenigen Tagen hat Mir Hossein Mussawi (iranischer Ministerpräsident von 1981 bis 1989; Anm. d. Red.) überraschend seine Kandidatur erklärt, und Chatami nahm seine Bewerbung zurück. In Iran wird gerätselt, ob das nicht ein abgekartetes Spiel ist.

sueddeutsche.de: Inwiefern ein abgesprochenes Spiel?

Nirumand: Der Revolutionsführer Ali Chamenei, der mächtigste Mann im Gottesstaat, könnte von Ahmadinedschad Abstand genommen haben, weil auch er gemerkt hat, dass dessen Kurs immer weiter in die Katastrophe führt, vor allem innen- und wirtschaftspolitisch. Viele Konservative betrachten inzwischen Ahmadinedschads Politik, auch seine Außenpolitik, als für das ganze System bedrohlich. So kann es durchaus sein, dass Chamenei die Lösung in einem Kandidaten wie Mussawi sieht, der auch von Teilen der Konservativen unterstützt wird. Sollte dieser Plan gelingen, musste Chatami unter Druck gesetzt werden, seine Kandidatur zurückzunehmen. Denn er ist weitaus populärer als Mussawi. Man spricht in Iran schon von einer Koalition zwischen moderaten Konservativen und gemäßigten Reformern geführt von Mussawi.

sueddeutsche.de: Das klingt so, als sei es schwierig, ihn politisch einzuordnen. Was ist Mussawi denn nun, ein Reformer oder ein Konservativer?

Nirumand: Das ist in der Tat so, weil Mussawi, der nach zwanzig Jahren Abstinenz auf die politische Bühne zurückgekehrt ist, für viele ein unbeschriebenes Blatt ist. Die unter 30-Jährigen kennen ihn überhaupt nicht. Viele Reformer sind sich unsicher, ob er dieselben Ziele verfolgt, wie sie. Nun hat er bei seiner ersten Konferenz eigentlich vernünftige Ideen geäußert. Er wolle die Sittenpolizei auflösen, die Presse- und Meinungsfreiheit sichern, eine moderateren Kurs in der Außenpolitik einschlagen. Aber vor der Wahl ist nicht nach der Wahl. Und selbst wenn er tatsächlich diese Pläne hätte, ist es sehr fraglich, ob er sie angesichts der bestehenden Machtkonstellation realisieren könnte. Er selbst bezeichnet sich sowohl als Reformer als auch als Konservativen. Die Konservativen nennen sich ja Prinzipientreue, und Mussawi sagte, er sei ein prinzipientreuer Reformer. Das bedeutet, dass er sich zwischen den Fronten aufhält.

sueddeutsche.de: Sozusagen ein sozialdemokratischer Christdemokrat.

Nirumand: Der Abstand zwischen Konservativen und Reformern ist weitaus größer. Von seiner Herkunft her ist Mussawi eigentlich ein Ruhollah Chomeini in Kleintaschenformat. Ideologisch ist er völlig auf Chomeini und die Zeit der Revolution fixiert. Er hat zwar in den achtziger Jahren während des achtjährigen Iran-Irak-Kriegs die Wirtschaft gut gemanagt, und insofern traut man ihm zu, dass er auch jetzt die Krise gut bewältigen könnte. Aber auch in dieser Zeit herrschte in Iran eine ungeheure Repression gegen Oppositionelle, Tausende wurden verhaftet, gefoltert und hingerichtet.

sueddeutsche.de: Mussawi war damals Ministerpräsident, über ihm aber standen unter anderem der Revolutionsführer und der Staatspräsident. Kann man ihn für diese schrecklichen Taten verantwortlich machen?

Nirumand: Nicht allein, aber er hat die Verbrechen mitgemacht. Natürlich gab es das Revolutionsgericht, es gab die überragende Instanz des Revolutionsführers Chomeini, auch andere Mächte in der Islamischen Republik, die mehr Macht hatten als der Ministerpräsident, dessen Amt nach Mussawis Abgang abgeschafft und die Befugnisse auf das Amt des Staatspräsidenten übertragen wurden. Aber er war immerhin Ministerpräsident. Hinzu kommt seine starke Neigung zur Staatswirtschaft, dessen Erhalt, gar weiterer Ausbau, dem Wohl und der Entwicklung des Landes sicherlich nicht dienlich wäre. All dies macht es schwer, einzuschätzen, welche Vorstellungen und Pläne Mussawi im Sinn hat und wie er sich als Staatspräsident verhalten wird.

Der Revolutionsführer als Schlüssel

sueddeutsche.de: Neben Mussawi kandidiert noch ein weiterer Oppositionspolitiker, der frühere Parlamentspräsident Mehdi Karrubi.

Bahman Nirumand: Mir Hossein Mussawi geht als wichtigster Kandidat der Reformer in den Wahlkampf. Er war in den achtziger Jahren schon einmal Ministerpräsident des Landes, seitdem aber von der politischen Bildfläche verschwunden. Weil Mussawi antritt, zog der frühere Präsident Mohammed Chatami seine Kandidatur zurück.

Mir Hossein Mussawi geht als wichtigster Kandidat der Reformer in den Wahlkampf. Er war in den achtziger Jahren schon einmal Ministerpräsident des Landes, seitdem aber von der politischen Bildfläche verschwunden. Weil Mussawi antritt, zog der frühere Präsident Mohammed Chatami seine Kandidatur zurück.

(Foto: Foto: Reuters)

Nirumand: Karrubi war der Erste, der seine Kandidatur erklärte. Auch er ist kein echter Reformer und schwankt wie Mussawi zwischen den Fronten. Er wird jetzt stark bedrängt, zugunsten Mussawis seine Bewerbung zurückzuziehen, hat aber bisher nicht nachgegeben und erklärt, er werde seinen Wahlkampf weiterführen. Wahlumfragen zufolge sind seine Chancen sehr gering.

sueddeutsche.de: Ist das sinnvoll, oder splittet das nicht das Lager der Reformer unnötigerweise auf?

Nirumand: Das verringert jedenfalls die Chance der Reformer. Ohnehin werden die Wahlen im Iran stark manipuliert. Es ist davon auszugehen, dass Ahmadinedschad, sollte er kandidieren, was noch nicht offiziell geschehen ist, alles daran setzen wird, um so viele Stimmen wie möglich zu bekommen, auch, wie bei der letzten Wahl, manipulierte und gekaufte Stimmen. Man nennt seine Auftritte jetzt schon "Kartoffelwahlkampf", weil er, aus der Staatskasse finanziert, Kartoffeln und Geld an ärmere Familien verteilt. Außerdem sind die Medien fast ausschließlich in der Hand der Radikalen. Deswegen sind die Chancen der Reformer ohnehin sehr gering, es sei denn die zahlreichen Gegner Ahmadinedschads im konservativen Lager würden sich für Mussawi entscheiden. Vielleicht wird es auch im Lager der Konservativen mehrere Kandidaten geben.

sueddeutsche.de: Wenn denn am Ende ein Reformer - Mussawi, Karubi oder wer auch immer - Präsident werden würde, was würde sich ändern?

Nirumand: Eine grundsätzliche Änderung wird es nicht geben. Sicherlich würde man in der Außenpolitik moderater auftreten und sich mehr öffnen. Gleichzeitig steht es fest, dass keiner sich wagen würde, auf die Forderung des Westens einzugehen und auf die Urananreicherung zu verzichten. Darin sind sich alle Kandidaten einig.

sueddeutsche.de: Das klingt so, als würde es aber nur zu einer Änderung im Ton, und weniger zu einer Änderung in der Sache kommen?

Nirumand: Nicht nur. Es gibt Zwischenlösungen, die Reduzierung der Anreicherung auf Laborebene zu Forschungszwecken unter verschärfter Kontrolle der Internationalen Atombehörde war ein Vorschlag, den Russland bereits 2006 vorgelegt hatte. Ein ähnlicher Vorschlag wird jetzt in Washington geprüft. Solche Kompromisse sind mit Mussawi oder Karrubi eher möglich als mit Ahmadinedschad. Aber auch innenpolitisch wäre, sollten die Reformer siegen, eine Milderung der Repressionen und eine größere Öffnung zu erwarten.

sueddeutsche.de: Wie groß ist die Chance, dass nach dem 12. Juni der Präsident nicht mehr Ahmadinedschad heißt?

Nirumand: Sollten sich die Konservativen doch auf Ahmadinedschad einigen und die Reformer keine weiteren Kandidaten aufstellen, hätte Karrubi keine Chance und es würde vermutlich zu einer Stichwahl zwischen Mussawi und Ahmadinedschad kommen. Mussawi würde zu seinem Vorteil verbuchen, selbst in Kriegszeiten die Wirtschaft organisiert zu haben. Und Ahmadinedschad wird darauf pochen, dass er mit seiner kompromisslosen Außenpolitik die Supermacht USA sozusagen in die Knie und zum Einlenken gezwungen hat. Seine Anhänger sagen, so jemand wie Chatami hätte längst nachgegeben und wäre auf die Forderung der Amerikaner eingegangen. Das ist der Trumpf, den Ahmadinedschad in der Hand hat. Gerade die jüngsten Botschaften aus Washington kommen für ihn wie gerufen.

sueddeutsche.de: Zudem dürfte Ahmadinedschad wohl noch auf die Unterstützung von Revolutionsführer und Revolutionswächtern zählen.

Nirumand: Die Revolutionswächter sind ein mächtiger, wenn nicht der mächtigste Faktor im Land, nicht nur militärisch, sondern auch wirtschaftlich. Unter Ahmadinedschad haben sie die größten Staatsaufträge bekommen, sie sind mit Abermilliarden am Ölgeschäft beteiligt und beherrschen einen wichtigen Teil des Schwarzmarktes. Zudem sitzen viele von ihnen an den Schaltstellen der Staatsmacht, so dass man von der Militarisierung der Regierung spricht. Aber der eigentliche Schlüssel liegt beim Revolutionsführer Chamenei. Er hat sich bisher hinter Ahmadinedschad gestellt. Dass er aber zuletzt betont hat, er ergreife im Wahlkampf keine Partei, ist ganz neu und erhärtet die Vermutung, dass hinter den Kulissen doch andere Alternativen geschmiedet werden. Das Dilemma, in dem Chamenei steckt, ist: Entscheidet er sich für Ahmadinedschad, riskiert er größere Katastrophen oder gar den Zerfall des Gottesstaats, setzt er auf Mussawi, verliert er nicht nur seine Basis unter den Radikalen, er muss auch auf einen Teil seiner Macht verzichten. Denn es ist davon auszugehen, dass Mussawi oder auch andere Reformer, nicht bereit wären, als Wasserträger des Revolutionsführers zu dienen. Sie würden mehr Kompetenzen verlangen.

sueddeutsche.de: Das hieße, dass Chamenei quasi einsehen müsste, einen gewissen Politikwechsel vorzunehmen. Ist das nicht zu viel erwartet?

Nirumand: Doch, das ist zu viel erwartet. Aber auf der anderen Seite: Was ist die Alternative? Die Alternative ist Ahmadinedschad, und Ahmadinedschad führt immer weiter in die Katastrophe.

sueddeutsche.de: Und das merkt selbst Chamenei ...

Nirumand: Das ist anzunehmen, denn auch ihm wird nicht verborgen geblieben sein, dass die Unzufriedenheit im Land steigt und steigt, nicht allein wegen zunehmend eingeschränkter Freiheiten, sondern vor allem aufgrund der wirtschaftlichen Lage. 50 Prozent der Iraner leben an oder unter dem Existenzminimum. Das ist eine Katastrophe für so ein reiches Land.

sueddeutsche.de: Kommen wir zur ersten Frage zurück, der "echten" iranischen Opposition. Unterstützt die das Reformlager im Land?

Nirumand: Teilweise. Viele meinen, das sei im Vergleich zu Ahmadinedschad das kleinere Übel. Andere Teile der Opposition sagen: Die Rivalität zwischen Reformern und Konservativen sei nur ein Spiel und die Wahlen eine Farce. Sie rufen zum Wahlboykott auf.

Bahman Nirumand ist Publizist und Autor. Bekannt wurde er gegen Ende der sechziger Jahre mit dem Buch "Persien, Modell eines Entwicklungslandes oder Die Diktatur der Freien Welt", das großen Einfluss auf die Studentenbewegung hatte. Mit 14 Jahren kam der 1936 in Teheran geborene Nirumand nach Deutschland, um hier sein Abitur zu machen und zu studieren. Ende der siebziger Jahre kehrte er kurz nach Iran zurück, geriet dort aber in Konflikt mit den Machthabern und ging wieder nach Europa. Er schreibt für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften, ist Verfasser zahlreicher Bücher und Autor des von der Heinrich-Böll-Stiftung herausgegebenen "Iran-Reports".

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