Bagdad fünf Jahre nach Kriegsbeginn:Falsche Freunde und echte Feinde

Um das Chaos etwas in den Griff zu bekommen, kauft sich die US-Armee die Loyalität von Saddams alter Garde. Den meisten Irakern hilft das wenig, sie hassen die Besetzer "von Herzen."

Tomas Avenarius

Die Nargileh blubbert, süßlicher Tabakgeruch hängt über dem Tisch, gemütliche Rauchwölkchen schweben in Kopfhöhe. Die Wasserpfeifen-Runde kennt sich, der Schlauch mit dem Mundstück geht reihum, alle reden ungezwungen. "Wir brauchen eine starke Regierung. Eine, die rücksichtslos durchgreift", sagt Abu Yussuf. Wenn Abu Yussuf etwas am Herzen liegt, dann fährt seine Faust beim Sprechen durch die Luft, setzt einen unübersehbaren Punkt hinter jeden einzelnen Satz.

Bagdad fünf Jahre nach Kriegsbeginn: "Auch das ist Tiel der Versöhnung": Amerikanische Soldaten im Bagdader Stadtteil al-Hadar.

"Auch das ist Tiel der Versöhnung": Amerikanische Soldaten im Bagdader Stadtteil al-Hadar.

(Foto: Foto: Getty Images)

Jetzt hämmert der Iraker den Zuhörern seine Botschaft ein, aus einzelnen Hieben wird eine volle Salve: "Wir brauchen einen Führer, der stark ist. Einen, der noch viel, viel härter ist als Saddam Hussein." Abu Yussuf weiß, wovon er spricht. Bis zum Fall der Diktatur war er Sicherheitschef von Saddams Palastwache. Lauthals lachend sagt er: "Manche nennen mich den Schlächter."

Auch sein Freund Abu Tarik stand dem irakischen Gewaltherrscher nahe - er war in den achtziger Jahren einer der persönlichen Leibwächter Saddams, arbeitete später als Geheimdienstler an irakischen Botschaften quer durch Europa. "Als ich im Fernsehen sehen musste, wie sie unseren Präsidenten aufhängen - das war einer der schlimmsten Momente in meinem Leben."

"Ja, wir waren al-Qaida"

Abu Tarik neigt nicht zu Gefühligkeiten. Aber in diesem Moment sieht er aus, als würden ihm im nächsten Moment Tränen in die Augen treten. "Saddam Hussein war ein großer Mann, und er war ein guter Mann. Es gab keinen Besseren." Die drei US-Soldaten am Tisch ziehen an der Wasserpfeife, zucken mit den Schultern.

Amerikaner an einem Tisch mit Saddam Husseins Männern fürs Grobe? US-Offiziere im vertrauten Gespräch mit Vertretern des gestürzten Blutsäufers? Saddams alte Garde als Helfer der Supermacht? Auch wenn keiner der Generäle oder Diplomaten in Bagdad es zugeben würde: Die informelle Wasserpfeifenrunde im US-Stützpunkt "Black Foot" im Süden Bagdads spiegelt die amerikanische Irak-Politik im Kleinen ziemlich gut wider.

Fünf Jahre nach Kriegsbeginn hat die US-Armee das im Frühjahr 2003 eroberte Land trotz aller Erfolge noch immer nicht im Griff, explodieren weiter Autobomben, bekriegen sich Milizen. Nun suchen die Generäle Hilfe, wo sie sie bekommen: bei Männern wie Abu Yussuf oder Abu Tarik. Sergeant Eric Geressy, einer der Amerikaner am Tisch, sagt: "Okay, wir sitzen hier mit den Leuten, die vorher unsere Feinde waren. Aber auch das ist Teil der Versöhnung." Dann lässt der Sergeant den offiziellen Polit-Sprech beiseite: "Wenn diese Zusammenarbeit hilft, das Leben meiner Soldaten zu schützen - warum nicht?"

Im Untergrund gegen die Amerikaner

Bagdad, fünf Jahre nach Kriegsbeginn. Wir hatten Sergeant Geressy und seine Stryker-Soldaten schon einmal aufgesucht, vor einem halben Jahr. Damals konnte die Kompanie ihren kleinen Stützpunkt im Süden der Hauptstadt kaum verlassen. Sie hatten sich in ihrem Fort, einem früheren Priesterseminar, eingegraben. Sie fürchteten Sprengfallen an den Straßen und in den Häusern, konnten jeden Moment beschossen oder entführt werden. "Al-Qaida im Irak" kontrollierte den nördlichen Teil des Stadtviertels al-Hadar. Zeitweise war es die Bagdader Hochburg der Terrorgruppe. Vom Süden her schossen gleichzeitig schiitische Milizen, auch sie keine Freunde der Amerikaner.

Einer von Geressys Soldaten verblutete auf einer Patrouille, einem zweiten wurde das Bein von einer Mine abgerissen, ein dritter auf dem Dach des Stützpunkts niedergeschossen. Erst nach monatelangen Kämpfen konnten die Stryker al-Qaida vertreiben. Ihren Sieg verdankten sie nicht allein überlegener Feuerkraft.

Es war vor allem die Zusammenarbeit mit sunnitischen Irakern wie Abu Yussuf und Abu Tarik. "Ich habe die Amerikaner vor Dutzenden Sprengfallen gewarnt, habe ihnen die Verstecke der Qaida-Gruppen in al-Hadar gezeigt", sagt Abu Tarik. Er und sein Freund machen keinen Hehl daraus, dass sie früher selbst "zum Widerstand" gehörten, dass sie auf Amerikaner geschossen haben. Sie lachen: "Ja, wir waren selbst al-Qaida."

Kurz: Abu Tarik und Abu Yussuf haben einfach die Seite gewechselt. Männer wie sie waren es, die nach dem Einmarsch der US-Armee 2003 den Widerstand organisierten. Sie waren es, die als "Islamische Armee" oder als "Brigaden von 1920" den Untergrundkrieg gegen die Amerikaner führten, Offiziere, Geheimdienstler, Stammesscheichs. Al-Qaida, für die internationalen Medien stets der Marktführer im irakischen Terrorgeschäft, war immer nur Teil des Untergrundkriegs. Allerdings der mit dem bekanntesten Namen.

Falsche Freunde und echte Feinde

Abu Tarik sagt heute: "Die neue irakische Regierung, die neue Armee, die Polizei - sie alle arbeiten doch im Auftrag Irans. Die Iraner wollen den Irak kontrollieren, sie wollen uns beherrschen." Hört man Abu Yussuf und Abu Tarik über dem Blubbern der Wasserpfeife zu, dann gibt es im Irak keine Probleme zwischen den Volksgruppen der Schiiten, Sunniten und Kurden. Es gibt nur "echte Iraker" und solche, die das infame Spiel der benachbarten Perser spielen. Was der Wahrheit in Teilen möglicherweise nahe kommt oder auch nicht. Am Ende läuft es ohnehin auf dasselbe hinaus: Iraker schießen auf Iraker.

Mit dem Rücken zur Wand

Die Wendehälse halten sich fürs Erste an den Feind ihrer Feinde - und arbeiten mit den Besatzern zusammen. Weshalb Sergeant Geressy und die Soldaten seiner Kompanie hinter Abu Tarik durch die vermüllten Straßen von al-Hadar laufen, Horden schreiender und bettelnder Kinder am Uniformzipfel.

Sie trinken zuckrigen Tee in den Häusern, essen sich durch Berge von Reis und Hammelfleisch, verteilen Zigarren und Zigaretten an die irakischen Gastgeber. Und an der 60. Straße werden die Gehsteige frisch gepflastert - im Auftrag von Abu Yussuf und Abu Tarik und mit amerikanischem Geld. Die 60. Straße war bis vor kurzem noch eine der Frontlinien im irakischen Bürgerkrieg: Hier hatten sich schiitische Milizionäre und Al-Qaida-Kämpfer Tag und Nacht beschossen, und das über Monate hinweg.

Abu Yussuf und Abu Tarik sind also wichtige Leute in al-Hadar: Die Ex-Mitarbeiter Saddam Husseins sind heute die Stadtteilführer einer neuen, lokalen Sunniten-Miliz. Die nennt sich "Erwachens-Miliz oder auch Söhne des Irak". "Söhne des Irak" gibt es inzwischen in allen sunnitischen Gebieten rund um die Hauptstadt. Sie wurden gegründet von den einflussreichen Stammesscheichs und einigen wieder aufgetauchten Männern des alten Regimes. Es sind Namen aus der zweiten Reihe, Leute wie Abu Yussuf und Abu Tarik. Für die Iraker sind die Sunni-Milizen ein Mittel, sich mit Hilfe der Besatzer gegen den Terror der religiösen Fanatiker von al-Qaida zu wehren. Selbst einige Schiiten-Scheichs haben sich eingereiht bei den "Söhnen des Irak".

Für die Amerikaner hingegen sind die "Söhne des Irak" das klassische Instrument einer Politik des "Teile und Herrsche". Die "Söhne des Irak" bilden das ideale Gegengewicht gegen die schiitisch-kurdische Regierung in Bagdad. Sie halten die schiitisch dominierten Sicherheitskräfte der Regierung in Schach. Vor allem die irakische Polizei - die ist von pro-iranischen Milizen unterwandert und für ihre Brutalität gefürchtet. Der Saddam-Verehrer Abu Tarik wurde vor einigen Wochen an einem Polizeiposten festgenommen. Befreit haben ihn die Amerikaner, im letzten Moment: "Eine Stunde später, und er wäre garantiert tot gewesen", sagt einer der US-Offiziere in Black Foot - man tut eben etwas für seine Freunde.

Was in al-Hadar im Kleinen passiert, ist beispielhaft für den Irak im Großen. Noch vor ein paar Monaten hatte al-Qaida den Ton angegeben im Irak, schien die Lage für Washington aussichtslos, der Terror grenzenlos zu sein. Die Rebellen entführten Iraker und Ausländer, sprengten sich auf Märkten und in Moscheen selbst in die Luft, erschossen die Menschen gleich dutzendweise, schnitten ihnen vor laufender Kamera die Köpfe ab.

Die Invasion, ein militärisches Glanzstück

Jetzt aber kämpfen die Al-Qaida-Terroristen mit dem Rücken zur Wand: Viele sunnitische Iraker haben den Widerstand gegen "die Besatzer" fürs Erste aufgegeben, haben mit ihren Scheichs die Seite gewechselt. Die Amerikaner haben sich die Loyalität Abertausender Abu Yussufs und Abu Tariks für viel Geld gekauft. Monat für Monat zahlen US-Offiziere den 87000 "Söhnen des Irak" ihr Gehalt aus, pro Mann sind es 300 Dollar. Aufs Ganze gerechnet steht die Zahl von 26 Millionen Dollar unter der Gehaltsabrechnung der "Söhne des Irak" - im Monat.

Aus amerikanischer Sicht ist das sehr preiswert für die neu gewonnene Sicherheit. Um zu begreifen, warum die Amerikaner all dies tun, muss man sich die Ereignisse der vergangenen fünf Jahre in Erinnerung rufen: Dann erscheint Bushs Irak-Abenteuer nicht nur als unbegreifliche Anhäufung politischer Fehlentscheidungen. Die Hinwendung hin zu den Sunniten scheint angesichts der verfahrenen Lage auch der einzig verbliebene Ausweg aus dem irakischen Debakel zu sein.

Wobei die Invasion selbst ein militärisches Glanzstück der Pentagon-Planer gewesen war. Mit geringer Truppenzahl und relativ wenigen schweren Waffen stieß die US-Armee am 20. März 2003 aus dem Süden vor, zusammen mit ein paar Tausend britischen Soldaten. Im Norden unterstützen kleine Einheiten von US-Elitetruppen zugleich den Vormarsch der irakischen Kurden, die mit den USA paktierten. Der Widerstand der irakischen Armee war schwach. Die von Saddam Hussein großspurig angekündigten Entscheidungsschlachten blieben aus. Seine Soldaten warfen die Waffen beim ersten Schusswechsel weg, desertierten zu Zehntausenden. Die irakische Armee, ausgeblutet durch mehrere Kriege und jahrelange Sanktionen, löste sich einfach auf.

Falsche Freunde und echte Feinde

Nach knapp drei Wochen standen US-Panzer im Zentrum von Bagdad. Marines warfen das Sternenbanner über die Saddam-Statue am Ferdosi-Platz, stürzten das Monument des Blutsäufers vom Sockel, assistiert von jubelnden Irakern. Der Diktator selbst war da schon auf der Flucht im eigenen Land. Der Triumph schien total zu sein. Am 1. Mai trat Irak-Feldherr George W. Bush auf das Deck des Flugzeugträgers Abraham Lincoln. Er erklärte "die eigentlichen Kampfhandlungen für beendet". An der Brücke des Trägers prangte das Spruchband, das zum Symbol des erst gewonnenen und dann gescheiterten Feldzugs wurde: "Mission accomplished" - Auftrag erfüllt.

Akten statt Waffen

Was folgte, wurde in unzähligen Zeitungsartikeln beschrieben und in dicken Büchern analysiert: Die Truppenzahl von 130000 Mann war zu klein für eine Besatzung des Irak. Schon am ersten Tag begannen die Plünderungen und Gewaltorgien, detonierten Autobomben. Die paar tausend georgischen, estnischen, polnischen, italienischen, japanischen oder koreanischen Truppen, die der kurzerhand zur "multinationalen Irak-Koalition" erklärten Besatzungsarmee zur Seite traten, änderten daran nichts.

Eine herausgehoben unrühmliche Rolle spielte Bushs Statthalter Paul Bremer. Im Mai 2003 löste der in Bagdad residierende Ex-Diplomat die irakische Armee auf - gegen den Rat des US-Militärs. Zudem versperrte er allen Mitgliedern der ehemals regierenden Baath-Partei die Rückkehr in den Staatsdienst. Mit einem Federstrich setzte Bremer so Hunderttausende Iraker auf die Straße: Offiziere, Lehrer, Ingenieure.

Diese Spezialisten fehlten dem demokratischen Irak, den die Amerikaner aufbauen wollten. Die Akademiker flohen zu Tausenden ins Ausland, Saddams Offiziere gingen in den Widerstand. Mit der Auflösung der Streitkräfte, für Bremer nur "Symbol der alten Baath- und Sunni-Diktatur", vertat der US-Prokonsul die Chance, die geschlagene Armee als Kohorte für den Wiederaufbau einzusetzen. Der damalige US-Außenminister Colin Powell sah da klarer: "Die Soldaten waren zwar weggerannt, aber die Armee als solche war da. Es gab eine Organisation, es gab Einheiten, es gab eine Infrastruktur."

Eines der zahllosen Bücher über den Irak-Krieg heißt "Das Fiasko". Sergeant Geressy hat es an den langen Abenden auf dem Feldbett in Black Foot zur Hälfte gelesen - und dann angewidert zur Seite gelegt: "Fiasko" listet die monströsen Fehlkalkulationen und Lügen der Washingtoner Regierung, das konsequente Missmanagement der Washingtoner Politiker und des Militärs auf, deren trotz alledem nicht erschütterte Hybris. "Ich hab das nicht länger ertragen", sagt der Unteroffizier, der seit Kriegsbeginn 2003 an den Kämpfen im Irak teilgenommen hat. Geressy war bei den Soldaten, die Saddams angebliche Massenvernichtungswaffen suchen sollten. "Wir gingen ins Verteidigungsministerium, dort sollten Saddams verbotene Waffen versteckt sein. Das Einzige, was wir fanden, waren alte Akten."

"Wir haben ihn!"

Saddams angebliches gigantisches Arsenal an Atom-, Bio und Chemiewaffen war von Bush als Kriegsgrund benannt worden. 2004 erklärte eine US-Kommission, Massenvernichtungswaffen habe es 2003 im Irak schlicht keine gegeben. Ob der US-Präsident vor Kriegsbeginn bewusst gelogen hatte oder aber den Fehlinformationen der eigenen Geheimdienstler aufgesessen ist, bleibt bis heute offen.

Nicht, dass die Amerikaner keine Erfolge gehabt hätten im Irak in den fünf Jahren. Seit sie mit den "Söhnen des Irak" zusammenarbeiten, ist die Gewalt um 60Prozent gesunken. 60 Prozent - das ist unvorstellbar viel nach den knapp 4000 getöteten US-Soldaten und den mutmaßlich hunderttausend Irakern, die für den von außen betriebenen Sturz des Saddam-Regimes mit dem Leben bezahlt haben. Mit einer lange fälligen Aufstockung der Truppenzahl stieg die Sicherheit: In Teilen Bagdads beginnt sich das Leben zu rühren, öffnen Läden und Schulen.

Auch der Diktator wurde gefasst, Paul Bremer rief der Welt zu: "Wir haben ihn!" Soldaten führten Saddam, das Haupt- und Barthaar wirr und filzig, im Dezember 2003 vor, nachdem sie ihn aus einem Erdloch gezerrt hatten. Am 30.Dezember 2006 starb der Diktator, verantwortlich für Kriege und Völkermord, dann am Galgen: Die Schlinge schon um den Hals, wurde er von seinen irakischen Henkern verspottet.

Zuvor aber hatte Saddam in einem monatelangen Prozess Richter und Besatzer verflucht, mit dem Koran in der Hand zum Kampf gegen die Besatzer aufgefordert. Mit dem Prozess gegen den Diktator wollten die Amerikaner die Iraker den Rechtsstaat lehren. Doch das von irakischen Richtern und Staatsanwälten geführte Verfahren verstieß gegen alle Regeln, viele begriffen es als Rache- und Siegerjustiz.

Falsche Freunde und echte Feinde

Selbst die ersten freien Wahlen im Januar 2005 waren weniger ein demokratischer Durchbruch als der Startpunkt neuer Probleme. Bush erklärte die Parlamentswahl voreilig zur Geburtsstunde der irakischen Demokratie: Die Parteien der unter Saddam unterdrückten Kurden und Schiiten hatten die Wahl zwar gewonnen. Die Sunniten aber hatten den Urnengang boykottiert, landeten dadurch endgültig im politischen Abseits. Während die regierenden Schiiten und Kurden sich fortan auf ihre eigene Agenda konzentrierten und Vorteile für ihre Volksgruppe herausgeschunden haben, setzten die Sunniten den Schwerpunkt auf Widerstand und Terror.

Millionen auf der Flucht

All das ist längst Geschichte. Heute nehmen Washingtons Generäle einen neuen, einen sehr pragmatischeren Anlauf. Die Strategie der Zusammenarbeit mit den "Söhnen des Irak" hat der neue Oberbefehlshaber David Petraeus entwickelt. Zynisch betrachtet lässt sich sein Ansatz in einem Satz zusammenfassen: Die Probleme des Irak können am besten mit irakischen Methoden gelöst werden. Weshalb die Abu Yussufs und Abu Tariks nun ihre Chance bekommen, Stammesscheichs statt gewählter Politiker die Politik mitbestimmen, und die Amerikaner dem trotz allen früheren Geredes von Demokratie und Regimewechsel am liebsten nur noch als Moderatoren zusehen.

Und die Iraker? Sie leben zwischen all dem, versuchen eine normale Existenz zu führen. Es sind Männer, Frauen, Kinder: Menschen, mit denen sich meist nicht sprechen lässt, Gesichter, die ihre Geschichten selten erzählen können. Es sind die Menschen, die seit fünf Jahren am Irrsinn dieses Kriegs leiden. Abdullah zum Beispiel. Der Student aus Bagdad will seinen richtigen Namen nicht nennen. Er hat Angst. Angst vor den Amerikanern. Abdullah war Ende 2007 in seinem Elternhaus im Stadtteil Karada festgenommen worden. Als US-Soldaten mitten in der Nacht die Türe aufsprengten und schreiend ins Haus stürmten, erschossen sie seinen jüngeren Bruder.

Abdullah verbrachte vier Monate in einem Gefangenenlager bei Basra, zusammen mit Tausenden anderen Irakern. Wessen ihn die US-Ermittler verdächtigten, hat er nie erfahren. Man habe ihm alles Mögliche vorgeworfen: zigfachen Mord, die Mitgliedschaft in einer Terrorgruppe, das Bombenattentat auf eine Moschee. "Sie verhörten mich zu immer neuen, immer absurderen Vorwürfen. Am Schluss sagten sie nur: Du kannst nach Hause gehen." Der junge Iraker sagt, er habe im Leben nie hässliche Gefühle gegen andere Menschen gehegt. "Aber die Amerikaner, die hasse ich von Herzen."

Dieser Hass ist trotz all der Aufbauarbeit der US-Soldaten ein Gefühl, das Abdullah mit vielen Irakern teilt. Der Skandal von Abu Ghraib, die systematische Folter und gezielte Demütigung irakischer Gefangener haben tiefe Spuren hinterlassen. Auch die humanitäre Lage ist ein Desaster: Rund zwei Millionen Menschen sind nach Jordanien und Syrien geflohen. Weitere zweieinhalb Millionen suchen im Irak Schutz, haben ihre Häuser und Wohnungen verlassen, sind verstreut über das ganze Land. Es ist laut UN eine der größten Flüchtlingskatastrophen jüngerer Zeit.

Zwei Stunden Strom täglich

Auch die medizinische Versorgung ist katastrophal: Von den 34.000 irakischen Medizinern, die das Land 1990 noch hatte, sind 20.000 geflohen. Statt der Mindestzahl von 80.000 staatlichen Klinikbetten gibt es gerade einmal 30.000. Das durchschnittliche Tageseinkommen liegt bei fünf US-Dollar - ein einziger Arztbesuch kostet mehr. Die Versorgung mit Trinkwasser ist mangelhaft. Elektrizität gibt es selten mehr als zwei Stunden täglich. Der Gebrauch von Generatoren ist teuer, weil der Benzinpreis zu hoch ist - in einem Land, das über die drittgrößten Rohölreserven der Erde verfügt. Doch die irakische Erdölproduktion liegt seit 2003 am Boden: Das Land fördert heute weniger als vor dem US-Einmarsch.

Drei Tage vor dem schaurigen Kriegsjubiläum landete US-Vizepräsident Dick Cheney in Bagdad. Kaum am Boden, trompetete der wichtigste Kriegsbefürworter in Bushs Kabinett seine Botschaft hinaus: "Ich markiere mit meinem Besuch jenen fünften Jahrestag, an dem die Befreiung der Iraker von Saddams Tyrannei begann." Cheney sprach von "phänomenalen Erfolgen" und "einer Kehrtwende" im Irak. Einer der US-Unteroffiziere aus Black Foot hat ein leiseres, aber weit treffenderes Resümee zum fünften Jahrestag des Irak-Kriegs formuliert: "Dieser Krieg war der Versuch einer kurzfristigen Lösung für ein Problem, das uns nun noch sehr lange beschäftigen wird."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: