Süddeutsche Zeitung

Ausbildungsförderung:Bafög erreicht immer weniger junge Menschen

Die Zahl der Bafög-Empfänger sinkt und sinkt - auch in der Pandemie. Dabei hatte die Bundesregierung eine "Trendumkehr" versprochen. Kritiker verlangen einen kompletten Neustart.

Von Paul Munzinger, München

Das Bafög wird in diesem Jahr 50 Jahre alt, doch die Statistik verteilt zum runden Geburtstag keine Geschenke. Die Zahl der Studierenden und Schüler, die die 1971 eingeführte Ausbildungshilfe beziehen, ist erneut gesunken, von etwa 680 000 Empfängern im Jahr 2019 auf etwa 639 000 im Jahr 2020. Das ist ein Minus von sechs Prozent, wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch mitteilte. Auch in der Pandemie hält also ein Abwärtstrend an, der schon vor fast zehn Jahren begann. 2012 bezogen knapp eine Million junge Leute Bafög, seitdem sinken die Zahlen Jahr für Jahr.

Für die Bundesregierung und namentlich Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) ist das eine herbe Schlappe. Union und SPD hatten 2018 im Koalitionsvertrag eine "Trendumkehr" beim Bafög bis 2021 versprochen, doch die ist bislang ausgeblieben. Auch eine 2019 beschlossene Reform konnte daran nichts ändern. Dabei wurde unter anderem die maximal mögliche Förderung erhöht, von 735 Euro im Monat auf 861 Euro. Das spiegelt auch die Statistik wider. 2020 erhielten Geförderte monatlich im Schnitt 556 Euro, mehr als zehn Prozent mehr als im Vorjahr. Auch die Gesamtkosten stiegen um knapp eine Viertelmilliarde Euro auf fast 2,9 Milliarden Euro.

Doch die Zahl der Empfänger fällt weiter: bei den Studierenden auf rund 466 000 (minus 24 000), bei Schülerinnen und Schülern auf rund 174 000 (minus 17 000). Karliczeks Ministerium hatte diesen Rückgang in den vergangenen Jahren mit der guten wirtschaftlichen Lage begründet, die immer mehr Familien erlaube, für die Ausbildung ihrer Kinder selbst aufzukommen. Eine Förderung erhält ein Student oder eine Schülerin nur dann, wenn das Einkommen der Eltern einen bestimmten Betrag nicht übersteigt.

Das Bafög entspricht nicht mehr der sozialen Realität, rügen Kritiker

Achim Meyer auf der Heyde, Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks, widerspricht. Erstens sei bereits die Zahl der grundsätzlich - also vor der Prüfung des Elterneinkommens - Antragsberechtigten in den vergangenen Jahren stark gesunken, etwa weil sie die Regelstudienzeit überschritten haben. Zweitens seien die Einkommensfreibeträge zwar gestiegen - zuletzt infolge der Reform 2019 - doch nicht in demselben Maße wie die Löhne. Die Folge: Es gebe Eltern, die zu wenig Geld verdienten, um ihre Kinder zu unterstützen, aber zu viel, damit diese Bafög bekommen.

Karliczek kündigte an, das Bafög "auch in der nächsten Legislaturperiode wieder anpacken" zu wollen. Ob sie dann noch Ministerin sein wird, ist allerdings offen. Meyer auf der Heyde begrüßte diese Ankündigung, mahnte aber zur Eile. Der Opposition im Bundestag dagegen ist das zu wenig. Ein Neustart für das Bafög sei überfällig, sagte Kai Gehring, hochschulpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. Es müsse "endlich wieder ein Hebel für mehr soziale Gerechtigkeit werden". Sein Kollege von der FDP, Jens Brandenburg, forderte eine Reform, die das Bafög vom Einkommen der Eltern unabhängig macht.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5374734
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/skle
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.