Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sieht sich scharfer Kritik ausgesetzt - wegen Äußerungen auf einer Podiumsdiskussion in Prag am Mittwoch. Die Ministerin sagte in Bezug auf eine Rede auf der Konferenz des Thinktanks Forum 2000: Sie stimme nicht damit überein, dass man nicht darüber sprechen solle, dass Russlands Krieg gegen die Ukraine noch lange andauern könne. Man habe der Ukraine zugesagt, ihr so lange beizustehen wie nötig. Dann führte Baerbock aus, deswegen müsse man auch in der Lage sein, die Sanktionen gegen Russland durchzuhalten.
Auf Englisch sagte sie weiter, wenn sie als Politikerin den Menschen in der Ukraine das Versprechen gebe, "wir stehen so lange an eurer Seite, wie ihr uns braucht, dann will ich auch liefern, egal, was meine deutschen Wähler denken". Deswegen sei es für sie als Politikerin immer wichtig, sehr offen und klar zu sein, führte sie aus. Jede Maßnahme, die sie ergreife, müsse so lange durchzuhalten sein, wie die Ukraine Beistand benötige. Wenn der Krieg nicht in absehbarer Zeit zu Ende gehe, müsse man auch in zwei Jahren noch an der Seite der Ukraine stehen.
Der Winter bestehe bevor, da könne es für demokratische Politiker eine Herausforderung werden, wenn die Menschen auf die Straße gehen und sagen, wir können die Energiepreise nicht mehr bezahlen. "Und ich werde sagen: ,Ja, ich weiß, deswegen helfen wir mit sozialen Maßnahmen'", erklärte Baerbock - eine Bezugnahme auf die innenpolitische Diskussion über ein weiteres Entlastungspaket, bei dem der Ausgleich der stark steigenden Energiepreise im Mittelpunkt steht. "Aber ich will nicht sagen, okay, dann beenden wir die Sanktionen gegen Russland. Wir stehen der Ukraine bei, und das heißt, die Sanktionen bleiben auch im Winter bestehen", selbst wenn das für uns Politiker hart werde. Deswegen müssten europaweit gute Lösungen gefunden werde, um die sozialen Folgen der gestiegenen Energiepreise abzufedern.
Allerdings war ein in sozialen Medien verbreitetes Video der Äußerung so geschnitten, dass der Kontext der Äußerung verloren ging, und Baerbocks Satz, sie wolle gegenüber der Ukraine liefern - "egal, was meine deutschen Wähler denken" - als zentrale Aussage stehen blieb. Die AfD und die Linke warfen der Grünen-Politikerin daraufhin Missachtung des Wählerwillens vor.
Rücktrittsforderung aus der AfD
Die AfD-Vorsitzende Alice Weidel forderte Baerbocks Rücktritt: "Wer ausdrücklich auf die Interessen der Wähler in Deutschland pfeift, hat in einem Ministeramt nichts mehr verloren", schrieb Weidel bei Twitter. Die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen von der Linken kritisierte an gleicher Stelle, eine Außenministerin, die nach dem Motto "Ukraine first, Bürger egal" handle, sei ein "Totalausfall".
Das Auswärtige Amt sprach von Desinformation, die von prorussischen Kanälen verbreitet werde. Auf Twitter gab der Beauftragte für strategische Kommunikation, Peter Ptassek, ein Statement ab, das über den offiziellen Kanal des Ministeriums weiterverbreitet wurde: "Sinnenstellend zusammengeschnittenes Video, geboostert von prorussischen Accounts und schon ist das Cyber-Instant-Gericht fertig, Desinformation von der Stange", schrieb Ptassek.
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Schaue man das ganze Video an, werde klar, dass Baerbock gemeint habe, dass es gegen Russland einen langen Atem brauche und das nicht leicht werde, das müssten alle wissen. "Klar ist auch: Die Regierung federt die Rückwirkungen der Sanktionen auf unsere Bürger ab", stellte er klar.
Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes sagte am Freitag, die Außenministerin sei überzeugt, dass es im Interesse Deutschlands und auch de deutschen Bevölkerung sei, die Unterstützung für die Ukraine fortzusetzen und sich nicht noch erpressbarer zu machen gegenüber Russland. Diese Politik müsse fortgeführt werden, auch wenn es in Deutschland daran Kritik gebe. Baerbock habe aber auch sehr deutlich unterstrichen, dass es wichtig sei, die sozialen Folgen etwa hoher Energiepreise abzufedern, und dass die Bundesregierung alles zu tun müsse, um den Menschen in dieser Lage zu helfen. Es sei wichtig, die Formulierungen nicht aus dem Kontext zu reißen und nicht unkritisch und ohne zu hinterfragen "Interpretationen weiterzuverbreiten, die von interessierter Stelle in die Welt gesetzt werden".
Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte, Bundeskanzler Olaf Scholz sei "ganz eng an der Seite der Außenministerin", für die Politik der Bundesregierung zu werben, auch wenn diese Härten mit sich bringe. Diese müssten abgefedert werden, Gegenwind dürfe aber nicht dazu führen, dass die Bundesregierung umfalle und ihre Prinzipien aufgebe.
Kritik kam auch aus Teilen der CDU. Der Außenpolitiker Norbert Röttgen schrieb auf Twitter von "Schein-Heroismus", weil die Mehrheit der Deutschen zur Unterstützung der Ukraine bereit sei. "Demokratische Politiker müssen versuchen, die Anderen mit guten Argumenten zu überzeugen und nicht mit Basta."