Süddeutsche Zeitung

Reise nach Moskau und Kiew:Nettigkeiten sind für Baerbock nicht zu erwarten

Die neue deutsche Außenministerin besucht mitten in der Krise Anfang der kommenden Woche die Ukraine und Russland. Die Reise dürfte mehr als eine Herausforderung sein.

Von Paul-Anton Krüger, Berlin

Antrittsbesuche sind üblicherweise Höflichkeitstermine, dienen dem Kennenlernen und dem Austausch über die "ganze Bandbreite der bilateralen Angelegenheiten". Doch wenn Bundesaußenministerin Annalena Baerbock am Montag erst in die Ukraine reist und am Abend weiter von Kiew nach Moskau, wird für Nettigkeiten kein Platz sein - zumal Russlands Außenminister Sergeij Lawrow nicht bekannt ist dafür, mit seinen Gästen immer pfleglich umzugehen.

Die Grünen-Politikerin kommt inmitten der schwersten Krise zwischen den beiden Nachfolgestaaten der Sowjetunion seit der russischen Annexion der Krim im Jahr 2014. Angesichts russischer Forderungen nach dem Ende jeglicher Erweiterung der Nato und einem Abzug der Allianz aus Osteuropa steht die Sicherheitsordnung in Europa auf dem Spiel.

Unterdessen befürchtet Kiew eine weitere, diesmal womöglich weit größer angelegte Invasion. Die Regierung von Präsident Wolodimir Selenskij hat klare Erwartungen an Berlin, mehr zu tun, um die territoriale Integrität und Souveränität der Ukraine zu schützen. Waffenlieferungen und neue Sanktionen gegen Moskau gehören zu den Forderungen.

Misstrauen schürt vor allem das Festhalten der Bundesregierung an der umstrittenen russischen Gaspipeline Nord Stream 2. Sie gilt Kiew als rein geopolitisches Projekt des Kreml, um den Transit durch die Ukraine zu umgehen - und damit freie Hand im Nachbarland zu haben. Irritation haben Äußerungen von Kanzler Olaf Scholz (SPD) ausgelöst, es handele sich um ein "privatwirtschaftliches Vorhaben".

Sie gehen zurück hinter Einlassungen von Ex-Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die zumindest zugestanden hatte, dass "politische Faktoren" zu berücksichtigen seien. Die Zusagen aus Berlin, der Ukraine zu helfen, die Produktion von grünem Wasserstoff aufzubauen, nimmt Kiew zwar gerne auf. Politisch gelten sie aber als Trostpflaster oder Beruhigungspille.

Mehr Zuspruch dürfte Baerbock beim Treffen mit Selenskij und Außenminister Dmytro Kuleba erhalten für Bemühungen Deutschlands und Frankreichs, das sogenannte Normandie-Format wieder zu beleben, in dem 2015 unter Vermittlung von Paris und Berlin die Minsker Vereinbarungen zwischen Kiew und Moskau ausgehandelt wurden. Sie sehen eine Waffenruhe in der Ostukraine vor und entwerfen den Weg zu einer politischen Lösung des Konflikts. Allerdings werfen sich beide Seiten gegenseitig vor, den Verpflichtungen nicht nachzukommen.

Selenskij, heißt es, habe großes Interesse an einem Gipfeltreffen mit Putin. Allerdings hat er auch ein Dreier-Treffen zusammen mit US-Präsident Joe Biden ins Gespräch gebracht. Voraussetzung für einen Normandie-Gipfel wären aus Sicht Frankreichs und Deutschlands substanzielle Fortschritte. Jens Plötner, der außen- und sicherheitspolitische Berater von Kanzler Scholz, hat zusammen mit seinem französischen Kollegen Emmanuel Bonne dazu vorbereitende Gespräche in Kiew und Moskau geführt. Es gebe "verhaltenen Optimismus", dass demnächst ein Treffen zu viert auf Ebene der Berater möglich sein könnte, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann am Freitag in Berlin.

Lawrow war schon UN-Botschafter als Baerbock noch zur Schule ging

Baerbock wird dafür vor allem in Moskau werben müssen. In Berlin sieht man nach dem Gesprächsmarathon der zurückliegenden Woche zumindest eine generelle Gesprächsbereitschaft der russischen Seite, selbst wenn der Aufmarsch an der Grenze zur Ukraine weitergeht und Regierungsmitglieder öffentlich den Sinn weiterer Treffen mit dem Westen anzweifeln. Man baut darauf, dass Putin sich Optionen offenhält und noch nichts entschieden ist.

Der letzte Anlauf Frankreichs und Deutschlands, das Normandie-Format wieder zu beleben, endete allerdings damit, dass Außenminister Lawrow die vertrauliche diplomatische Korrespondenz dazu ins Internet stellen ließ - ein grober Verstoß gegen diplomatische Gepflogenheiten. Nun trifft Baerbock nach sechs Wochen im Amt auf einen der dienstältesten und versiertesten Diplomaten der Welt. Lawrow war schon Botschafter bei den UN, als sie noch zur Schule ging. Es ist die Feuertaufe der Außenministerin.

Alter und Regierungserfahrung indes sind keine Garantie, nicht von Mr. Njet vorgeführt zu werden. Als etwa der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell vergangenes Jahr mit Lawrow vor die Kameras trat, hatte der Kreml kurz davor den Rauswurf dreier Diplomaten aus EU-Staaten öffentlich gemacht. In der Pressekonferenz versäumte es der brüskierte Spanier dann, Lawrows Anwürfen entschieden entgegenzutreten.

Auch Baerbocks Vorgänger Heiko Maas ging Lawrow an, der allerdings gab Kontra. In Moskau hatte man wahrgenommen, dass Maas sich kritischer positionierte, als man das von einem Sozialdemokraten vielleicht erwartet hatte. Zweifellos wurden auch Baerbocks Äußerungen zum Umgang mit autoritären Staaten wie Russland registriert, ihre Formel von "Dialog und Härte". Letztgenanntes ist eine Disziplin, die Lawrow beherrscht wie kaum ein anderer.

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