Diplomatie:Die neue deutsch-chinesische Normalität

Diplomatie: Offener Austausch: Außenministerin Annalena Baerbock empfing ihren chinesischen Amtskollegen Qin Gang.

Offener Austausch: Außenministerin Annalena Baerbock empfing ihren chinesischen Amtskollegen Qin Gang.

(Foto: Michele Tantussi/Getty)

Annalena Baerbock und der chinesische Außenminister treffen sich zum dritten Mal in drei Monaten - und liefern sich wieder einen deutlichen Meinungsaustausch.

Von Paul-Anton Krüger, Berlin

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock fühlt sich an das Tempo der gemeinsamen Zugfahrt erinnert, als sie am Dienstag ihren chinesischen Kollegen Qin Gang in Berlin empfängt. Dreieinhalb Wochen ist es gerade einmal her, dass man zusammen aus dessen Heimatstadt Tianjin nach Peking gereist war, mit einer Geschwindigkeit von 350 Kilometern pro Stunde. Bereits das dritte Treffen in drei Monaten, sekundiert der chinesische Außenminister nun beim Gegenbesuch und wertet das als Zeichen des beiderseitigen Interesses an den Beziehungen. Auch in Indien hatten die beiden am Rande des G-20-Außenministertreffens ein langes bilaterales Gespräch geführt, auf Englisch, in kleinster Runde.

Zu besprechen gibt es nach wie vor viel, mit dieser Bemerkung wird Baerbock die gemeinsame Pressekonferenz nach knapp einer Stunde schließen. Wie in Peking gerät sie zu einem deutlichen Austausch der Meinungen - das dürfte der neue Modus Vivendi sein. Baerbock betont zunächst die Gemeinsamkeiten, spricht von der Bedrohung durch den Klimawandel und das Abschmelzen der Gletscher. Das könne man im Hochland Tibets ebenso wie in den Alpen verfolgen. Beim Klimaschutz, das ist klar, wird es ohne Peking keine Fortschritte geben. Es ist eines der Kapitel, in dem die EU und auch die Bundesregierung China als Partner beschreiben, nicht als Wettbewerber oder systemischen Rivalen.

Dann allerdings ist Baerbock ohne Umschweife und Verklausulierungen schon bei den strittigen Themen: Zu einem offenen Dialog zähle auch, dass sie die Verhaftung des Trägers des deutsch-französischen Menschenrechtspreises auf dem Weg in die EU-Botschaft in Peking während ihres Aufenthaltes dort anspreche; gemeint war der Menschenrechtsanwalt Yu Wensheng. Qin Gang quittierte dies später in seinen Ausführungen.

Qin Gang verbittet sich Einmischung

Man verbitte sich Einmischung in innere Angelegenheiten , sagte er und verlangt einen "Dialog auf Augenhöhe". So ähnlich hatte er das vor dreieinhalb Wochen auch schon formuliert, nur im Ton noch deutlich härter. Keine Überraschung: Qin Gang gehört zu den Erfindern der Wolfskrieger-Diplomatie, die Chinas Weltmacht-Ambitionen und den von Parteichef Xi Jinping angestrebten Umbau der internationalen Ordnung mit aggressiver Rhetorik offensiv nach außen vertreten.

Baerbock mahnt China, auf Russland einzuwirken, um den Angriffskrieg gegen die Ukraine zu beenden. Doch diese Forderung pariert Qin Gang ebenso wie Baerbocks Erwartung, Peking möge seine Firmen dazu bewegen, keine Dual-Use-Güter für die russische Rüstungsindustrie zu liefern. Konkrete Schritte über die Entsendung eines Sondergesandten hinaus kündigt Qin Gang auch in Berlin nicht an.

Die Treffen der beiden Außenminister dienten der Vorbereitung der für Juni geplanten Regierungskonsultationen, fährt Baerbock fort, und um diese zum Erfolg zu führen, seien Beratungen der Fachminister unerlässlich - eine kaum verhüllte Kritik an der Ausladung ihres Kabinettskollegen Christian Lindner. Dessen Termine in Peking hatte das dortige Finanzministerium mit Verweis auf Terminprobleme sehr kurzfristig abgesagt. Herr Linder sei in China "jederzeit willkommen", sagt der Außenminister, die Absage aus Termingründen dürfe auf keinen Fall überbewertet werden - ein Versuch, den Affront auszuräumen.

Fast schon beschwörend

Explizit fordert Baerbock auch Gespräche der Ressorts für Bildung und Wirtschaft ein. Das erste bekleidet FDP-Politikerin Bettina Stark-Watzinger, die nach Taiwan gereist war, das zweite ihr Grünen-Kollegen Robert Habeck. Bei der Prüfung chinesischer Investitionen fährt der einen kritischeren Kurs, ebenso mit Blick auf die Beteiligung chinesischer Unternehmen am Ausbau des schnellen 5G-Mobilfunknetzes. Die Bundesregierung lässt sich nicht auseinanderdividieren, so die Botschaft; es gibt keine Konsultationen à la carte.

Fast schon beschwörend wird Qin Gang, als es um die Politik des "De-Risking" geht. Den Begriff hat EU-Kommisionschefin Ursula von der Leyen geprägt, Baerbock in China und zeitgleich auch Kanzler Olaf Scholz haben ihn aufgegriffen. Man begrüße sehr, dass Deutschland und Europa nicht eine Entkopplung von China anstrebten, sagt Qin Gang, aber man verfolge die De-Risking-Politik "mit großer Besorgnis". Wenn unter dem Begriff am Ende doch eine Entkopplungspolitik umgesetzt werde, bedeute das die Entfernung von Zusammenarbeit, Stabilität und Entwicklung. China trage ein Drittel des weltweiten Wirtschaftswachstums bei, erinnerte der Außenminister - der Handel dürfe "nicht politisiert" werden.

Dann folgt noch die fast schon übliche Suada gegen die USA, die einen neuen Kalten Krieg betrieben, die internationalen Regeln verletzten und ideologische Gegensätze befeuerten. Zuvor hatte Qin Gang schon Pekings bekannte Haltung bekräftigt, dass Taiwan unveräußerlicher Teil des Staatsgebiets der Volksrepublik sei - die Sorge um einen Konflikt in der Straße von Taiwan ist einer der auslösenden Faktoren für die De-Risking-Strategie. Der Gesprächsbedarf bleibt also tatsächlich hoch.

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