Baerbock in Nahost:"Hinter diese Linie werden wir nicht zurückfallen"

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Bundesaußenministerin Baerbock in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem. (Foto: imago images/photothek)

Ein freundschaftlicher Dissens in Tel Aviv, eine brüchige Stimme in Yad Vashem, und dann noch mitten in den Nahostkonflikt in Ramallah - unterwegs mit Außenministerin Baerbock auf ihrer ersten Dienstfahrt nach Israel und in die Palästinensergebiete.

Von Peter Münch, Tel Aviv

In Tel Aviv ist nicht nur der Regen wärmer. Aus dem nassen und kalten und ewig umkämpften Jerusalem ist Annalena Baerbock hinabgefahren in die Metropole am Mittelmeer, und als sie dort ankommt, wird sie aufs Herzlichste empfangen von Jair Lapid, dem israelischen Außenminister. Schnell ist klar, dass die beiden sich verstehen. Und warum das so ist, erklärt Baerbock gern. Als "einen der Gründe, warum unser Gespräch so schön war", nennt die deutsche Außenministerin hinterher: den Dissens. "Als Freunde können wir auch Streitpunkte offen miteinander ansprechen."

Baerbock ist auf Antrittsbesuch in Israel. Das Land kennt sie bislang nur flüchtig von einer Reise, die so lange zurückliegt, dass sie es nur vage schätzen kann, zehn Jahre vielleicht. Es ist Neuland für sie, mit all den altbekannten Problemen: Der Friedensprozess stockt, die Siedlungen wuchern durchs besetzte Westjordanland und über eine Zwei-Staaten-Lösung mit den Palästinensern will in Israel gerade keiner mehr reden. All das sind jetzt auch Baerbocks Probleme, und deshalb ist die neue deutsche Außenministerin mit dem erklärten Ziel in die Region gereist, ein wenig frischen Wind in die festgefahrenen Verhältnisse zu bringen.

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Natürlich wird auch viel Gemeinsamkeit beschworen bei ihrem ersten Treffen mit Lapid. Es geht dabei um die Lehren aus der Vergangenheit und den gemeinsamen Kampf gegen Antisemitismus. Es geht um Deutschlands Verantwortung und Solidarität mit Israel, die von Ex-Kanzlerin Angela Merkel zur "deutschen Staatsräson" erklärt worden war. "Hinter diese Linie werden wir nicht zurückfallen", versichert Baerbock und schließt dabei ausdrücklich auch die Waffenlieferungen ein.

Aber zugleich spricht sie auch all das an, was schwierig ist in den deutsch-israelischen Beziehungen - und was noch schwieriger werden könnte. Schließlich will Baerbock die deutsche Außenpolitik erklärtermaßen mehr an Werten orientieren, und das demonstriert sie auch in Israel.

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Der israelische Kollege lässt sie in eine Wand aus Watte laufen. Das ist Jair Lapids Rolle

Den Siedlungsbau nennt sie "schädlich und mit dem Völkerrecht nicht vereinbar". Mit Blick auf die Zwei-Staaten-Lösung warnt sie, dass es "keine einseitigen Schritte geben darf". Und ausführlich geht sie auch noch auf jene sechs palästinensischen NGOs ein, die im Oktober von Israels Regierung plötzlich zu "Terror-Organisationen" erklärt worden waren. "Die Handlungsfähigkeit einer starken Zivilgesellschaft ist für die Bundesregierung prioritär", sagt sie dazu etwas gestelzt.

Bei Lapid erntet sie dafür nicht mal Widerspruch. Viel eher lässt er sie gegen eine Wand aus Watte laufen. Er preist Baerbock als "sehr smarte Ministerin", er betont den "ähnlichen Blick auf die Welt", und er spielt dabei genau die Rolle, die ihm in der aktuellen israelischen Regierung aus acht sehr unterschiedlichen Parteien zugedacht ist: Lapid ist der Mann fürs Liberale, an den all jene ihre Hoffnungen knüpfen können, die den Friedensprozess mit den Palästinensern noch nicht verloren geben wollen.

Als Gegenpol darf man Premierminister Naftali Bennett sehen, Chef einer rechten Siedlerpartei, der die Gründung eines Palästinenserstaats explizit ablehnt und jede Verhandlung darüber für überflüssig hält. Baerbock trifft Bennett gleich nach dem Gespräch mit Lapid. Ein gemeinsamer Auftritt ist hier von vornherein nicht vorgesehen.

Es ist also ein Tag voller Wechselbäder für Baerbock, der früh am Morgen in Jerusalem, in Yad Vashem begonnen hatte. In der Gedenkstätte für die von den Nazis ermordeten sechs Millionen Juden nimmt sich die Außenministerin viel Zeit. Durch eine Fotoausstellung lässt sie sich führen. In der Halle der Erinnerung legt sie einen Kranz nieder, und als sie später dann am Ausgang des Denkmals für die getöteten Kinder an ein bereitgestelltes Mikrofon tritt, da ist ihr die Erschütterung deutlich anzumerken.

Die Wucht der deutschen Schuld und Kurssuche im aktuellen Konfliktfeld

"Als Mutter zweier Töchter stockt mir der Atem, wenn ich an die Millionen jüdischen Kinder denke, die ermordet wurden, ihren Eltern entrissen, allein gelassen, voller Angst vor dem Ungewissen." Sie liest das vom Blatt, zur Sicherheit, mit Pausen und einer Stimme, die immer wieder brüchig wird. Und sie trägt dies auch ins Gästebuch ein mit dem Zusatz, dass man in Yad Vashem nicht verstummen dürfe, sondern die Stimme erheben müsse "gegen Antisemitismus, gegen Hass und Hetze, gegen Ausgrenzung und Gewalt".

Da steht nun eine Außenministerin, die mit der ganzen Wucht der deutschen Schuld und Verantwortung konfrontiert wird. Und die zugleich einen Kompass finden muss zur Kursbestimmung auf dem aktuellen nahöstlichen Konfliktfeld. All das wird gepackt in 24 Stunden, die sie auf dieser ersten nahöstlichen Dienstfahrt nicht nur in Israel verbringt, sondern auch noch im palästinensischen Westjordanland.

Auch dort hat sie ein volles Programm, trifft Präsident Mahmud Abbas und dazu noch den Außen- und den Premierminister. Viel Stoff ist das für eine erste Reise, zumal es danach noch weitergeht nach Jordanien und nach Ägypten. "Das ist ja nur der Antrittsbesuch", sagt Baerbock dazu, "und es ist der Auftakt für weitere Besuche."

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