Baerbock in Bosnien-Herzegowina:Gestern Srebrenica und Sarajevo, heute Mariupol und Kiew

Außenministerin Annalena Baerbock in Bosnien-Herzegowina

"Frieden und Freiheit sind der einzige Weg", sagt Annalena Baerbock (links) in Sarajevo, hier mit Bosniens Außenministerin Bisera Turković.

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

Während in der Ukraine der Krieg tobt, besucht Außenministerin Annalena Baerbock Bosnien. Warum? Weil Europa dort schon einmal gesehen habe, wohin solche Aggression führen kann.

Von Paul-Anton Krüger, Sarajevo

Was hat Sarajevo mit Kiew zu tun, was verbindet den Angriffskrieg des russischen Präsidenten Wladimir Putin gegen die Ukraine mit der Situation in Bosnien-Herzegowina? Bundesaußenministerin Annalena Baerbock stellt sich am Donnerstagmorgen bei ihrem Besuch in der bosnischen Hauptstadt gleich selbst die Frage: "Warum eine Balkan-Reise, wenn gerade in der Ukraine ein Krieg tobt?" Und gibt auch die Antwort: "Genau deswegen jetzt in diesem Moment eine Balkan-Reise." Bisera Turković, ihre bosnische Kollegin, sagt: "Alle Bürgerinnen und Bürger dieses Landes wissen nur allzu gut, was der Krieg und die Aggression mit sich bringen."

Die Eskalation in der Ukraine und die Folgen, die diese in Europa hervorgerufen habe, "hat die Situation in Bosnien-Herzegowina nur noch zusätzlich verkompliziert", führt sie aus. Die sezessionistischen Aktivitäten und die Beschlüsse des Parlaments der bosnischen Serbenrepublik höhlten die staatlichen Institutionen aus und gefährdeten das Dayton-Abkommen, das 1995 den Krieg in Bosnien beendet hatte. Deswegen sei es notwendig, sofort alle "sezessionistischen Prozesse" in Bosnien zu stoppen.

Turković spielt an auf die Bestrebungen des Serbenführers Milorad Dodik, der die Justiz der Teilrepublik aus den Institutionen des bosnischen Staates herauslösen will, ebenso wie Armee, Polizei, Geheimdienst und Steuerverwaltung. Sie sei der "tiefen Überzeugung", dass die Aggression gegen die Ukraine "Teil eines großen Szenarios ist, das wir hier in Bosnien-Herzegowina schon seit Langem beobachten" und das auf die Destabilisierung des Landes ziele - eine wenig verdeckte Kritik an der Unterstützung des Kreml für Dodik.

Bosniens Regierung will, dass die EU das Land zum Beitrittskandidaten macht

Baerbock leitet aus dem Leid der Menschen in den Zerfallskriegen Jugoslawiens die Verpflichtung ab, dass "diese schlimmsten Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Verbrechen gegen Kinder, Jugendliche, Alte, Familien in Europa nie wieder passieren" - Mariupol oder Kiew heißen heute die Schauplätze, Sarajevo und Srebrenica damals. Sie berichtet von einer Mitschülerin, die damals in ihre Klasse gekommen sei, spricht von Menschen, die erleben mussten, wie Väter und Brüder erschossen, Schwestern und Mütter vergewaltigt wurden.

Es gibt auch heitere Momente, wenn Baerbock mit der Oberbürgermeisterin Benjamina Karić durch die Altstadt von Sarajevo spaziert, die serbisch-orthodoxe Kathedrale, die muslimische Moschee, die jüdische Synagoge, die katholische Kirche besucht. Bosniens Hauptstadt ist heute auch wieder ein Symbol für Aussöhnung und friedliches Zusammenleben.

Aber die Erinnerung schmerzt. Wenn ihr ein Haus gezeigt wird, von dem aus Scharfschützen Passanten getötet haben. Oder Baerbock die Foto-Ausstellung besichtigt, die den Völkermord in Srebrenica dokumentiert. 8000 Tote. Sie spricht mit Vertreterinnen der Hinterbliebenen, den "Müttern von Srebrenica". Das schlimmste Kriegsverbrechen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg habe "ihre Generation auch in Deutschland stark geprägt, gesellschaftlich wie politisch", hatte sie zuvor schon gesagt.

Auf die EU und die Länder des Westbalkan bezogen heißt das für Baerbock: "Frieden und Freiheit sind der einzige Weg." Von einem Weckruf an die EU spricht sie, und davon, dass auch Deutschland in der Vergangenheit nicht genug getan habe. "Der Westbalkan ist die Schwachstelle der EU und der Ort, an dem die Kraft sich zeigen muss und die außenpolitische Rolle des stärksten Staatenblocks der Welt", pflichtet ihre Gastgeberin Turković bei und verbindet dies mit der Forderung nach Brüssel, Bosnien den Status eines EU-Beitrittskandidaten zu verleihen und ein Datum für Verhandlungen festzulegen. Das wäre ein "starker Beitrag für Frieden und Stabilität in der Region".

Turković betont die Bedeutung des Hohen Repräsentanten der UN für das Land und dessen "legitime Befugnisse", die genau für Situationen vorgesehen seien, wenn die "verfassungsrechtliche Ordnung gefährdet ist durch eine Partei in einem Teil Bosnien-Herzegowinas". Das Amt hat der Deutsche Christian Schmidt inne, und Baerbock weist nach dem Gespräch mit ihm darauf hin, dass es Russland sei, das diesen Posten abschaffen wolle - er ist mit großer Machtfülle ausgestattet. Schmidt könnte Dodik seines Amtes als Teil des dreiköpfigen Staatspräsidiums entheben, mit dem Baerbock sich ebenfalls trifft - auch der Serbenführer ist dabei.

Die Außenministerin will aber eine positive Botschaft setzen. "Dieses Land gehört zu Europa", sagt sie. Deswegen müsse gemeinsam intensiv und schneller an einer Beitrittsperspektive gearbeitet werden. Man wolle mit allen Teilen des Landes zusammenarbeiten, sagt sie. Aber "ohne Frieden und Freiheit, ohne Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und Achtung internationaler Verträge kann es auch keine wirtschaftliche Entwicklung geben".

Man müsse und werde denjenigen "Einhalt gebieten, die den Frieden hier in Bosnien und Herzegowina aus selbstsüchtigen Motiven aufs Spiel setzen", und werde keine Erosion der Sicherheitslage zulassen. Eine Botschaft an Dodik und seine Anhänger. "Wir können aber nicht ein ganzes Land in Geiselhaft nehmen, Millionen Menschen, wegen der Entscheidungen einzelner Politiker", sagt sie. Es beschreibt den Spagat, den die Bundesregierung im Umgang mit Bosnien wird bewältigen müssen.

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