Balkan:Europas offene Flanke

Balkan: "Der heutige Frieden auf dem Westbalkan ist vielleicht nicht perfekt - aber er ist kostbar", sagt Außenministerin Annalena Baerbock, hier mit iher bosnischen Amtskollegin Bisera Turković.

"Der heutige Frieden auf dem Westbalkan ist vielleicht nicht perfekt - aber er ist kostbar", sagt Außenministerin Annalena Baerbock, hier mit iher bosnischen Amtskollegin Bisera Turković.

(Foto: IMAGO/Thomas Imo/IMAGO/photothek)

Außenministerin Baerbock fährt nach Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Serbien und in die Republik Moldau. Der Frieden in der Region ist prekär - und der Kreml mischt sich überall kräftig ein.

Von Paul-Anton Krüger, Sarajevo

Der Krieg in der Ukraine dominiert derzeit die Agenda von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock. Und zumindest indirekt gilt das auch für ihre Reise in die Westbalkan-Staaten Bosnien-Herzegowina, Kosovo und Serbien, die an diesem Donnerstag mit Gesprächen in Sarajevo beginnt, jener Stadt, in der noch die Narben aus den Jugoslawienkriegen der Neunzigerjahre zu sehen sind. Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine ist die Befürchtung verbunden, dass es auch auf dem Balkan bald wieder unfriedlich werden könnte - und der Kreml seinen Einfluss in Serbien und anderen Ländern nutzt, um gegen die Interessen der Europäischen Union und des Westens vorzugehen.

Der vom russischen Präsidenten Wladimir Putin befohlene Angriff auf die Ukraine zeige, dass Europa dazu bereit sein müsse, strategisch in seine langfristige Sicherheit zu investieren, sagte Baerbock vor dem Abflug aus Berlin. Das gelte auch für die Beziehungen zu den Ländern des westlichen Balkans. "Der heutige Frieden auf dem Westbalkan ist vielleicht nicht perfekt - aber er ist kostbar", sagte die Grünen-Politikerin. Viele dieser Länder habe Europa in den vergangenen Jahren enttäuscht und vernachlässigt. "In diese offene Flanke drängen Akteure wie Russland hinein, die kein Interesse an einer europäischen Zukunft haben und nicht davor zurückschrecken, ungelöste Konflikte wieder zu schüren."

Das gilt gerade für Bosnien-Herzegowina, wo der Serben-Führer Milorad Dodik seit Monaten auf eine Abspaltung der Republika Srpska hinarbeitet. Im Parlament der bosnischen Teilrepublik hat die von ihm geführte Partei ein Gesetz durchgesetzt, das die Justizorgane aus den Institutionen des bosnischen Staates herauslösen soll. Ein Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell sprach von einem "inakzeptablen Verstoß gegen die Verfassungs- und Rechtsordnung". Dodik strebt auch danach, Armee, Polizei, Geheimdienst und Steuerverwaltung von den gesamtstaatlichen Institutionen abzuspalten.

Dodiks Nähe zu Russland

Seine Politik steht im Widerspruch zum 1995 geschlossenen Friedensvertrag von Dayton, der den mehr als dreijährigen blutigen Krieg in Bosnien beendete und der kroatisch-bosnischen Föderation ebenso wie der Serbenrepublik Autonomierechte einräumte. Von der schlimmsten Krise des Landes seit 1995 ist daher oft die Rede. Unterstützt wird Dodik dabei von nationalistischen Politikern in Serbien - und von Moskau. Seit Putin die Ukraine überfallen hat, demonstriert Dodik seine Nähe zum Kreml. Als Mitglied des dreiköpfigen Präsidiums Bosnien-Herzegowinas sperrt er sich dagegen, dass sich das Land den EU-Sanktionen anschließt.

Im Telefonat mit Russlands Außenminister Sergej Lawrow bekräftigten die beiden ihre gegenseitige Unterstützung. Die internationale Friedensmission Eufor, die Moskau ebenso gerne abschaffen würde wie das Amt des Hohen Beauftragten, das der Deutsche Christian Schmidt bekleidet, hat bereits vorsorglich ihre Truppen in Bosnien von 500 auf 1100 Soldaten aufgestockt. Die EU erwägt inzwischen, Dodik auf die Sanktionsliste zu setzen.

In Sarajevo will Baerbock über die Situation mit ihrer Kollegin Bisera Turković sprechen, dann ist ein Treffen mit Schmidt geplant. Er hatte jüngst vor einer Spaltung Bosniens gewarnt und Sanktionen der EU gegen Dodik ins Gespräch gebracht. Zudem schlug er vor, Finanzhilfen für das Land an Bedingungen zu knüpfen.

Baerbock will sich auch mit Vertreterinnen der Opferorganisation "Mütter von Srebrenica" treffen. Beim Völkermord von Srebrenica im Bosnien-Krieg hatten serbische Truppen 1995 die dortige UN-Schutzzone überrannt und anschließend mehr als 8000 bosnisch-muslimische Männer und Jungen ermordet. Das Massaker gilt als schlimmstes Kriegsverbrechen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa.

In Kosovo droht neuer Streit

Noch am Donnerstag wollte Baerbock nach Pristina weiterreisen, der Hauptstadt von Kosovo, um sich mit Präsidentin Vjosa Osmani und Ministerpräsident Albin Kurti zu beraten. Zudem war ein Gespräch mit Vertretern der Nato-Mission Kfor sowie mit Soldatinnen und Soldaten des Einsatzkontingents der Bundeswehr geplant. Gemäß dem Bundestagsmandat für die Mission können bis zu 400 deutsche Einsatzkräfte nach Kosovo geschickt werden. Derzeit sind etwa 70 Bundeswehrsoldaten dort im Einsatz.

Russland verweigert der ehemals serbischen Provinz Kosovo bis heute die völkerrechtliche Anerkennung. Unter US-Präsident Donald Trump stand zeitweise ein Gebietstausch zwischen Kosovo und Serbien im Raum - auch hier ist die Änderung von Grenzen entlang ethnischer Kriterien nicht ausgeschlossen, was zu neuen Auseinandersetzungen führen könnte.

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In Bosnien-Herzegowina wie mit Blick auf Kosovo beäugt die EU misstrauisch das Wirken des serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić. Im November hatte Putin ihm noch Gaslieferungen zum Vorzugspreis versprochen. Die zumeist loyal zu Vučić stehenden Boulevardmedien in Serbien verbreiten weitgehend ungefiltert die Moskauer Kriegspropaganda. Das Europaparlament hat Anfang März kritisiert, dass Belgrad die EU-Sanktionen gegen Moskau nicht mitträgt und vor möglichen negativen Folgen für den angestrebten EU-Beitritt gewarnt. Vučić steht vor Wahlen, die für Anfang April angesetzt sind.

Keine einfachen Gesprächspartner also. Allerdings hatte Bundeskanzler Olaf Scholz auf der Münchner Sicherheitskonferenz dafür geworben, den Prozess für den bereits 2004 in Aussicht gestellten EU-Beitritt der Westbalkan-Staaten zu beschleunigen, zu denen auch noch Nordmazedonien, Montenegro und Albanien gehören. "Es reicht nicht, die Erweiterungsperspektive für diese Region als strategisches Ziel zu benennen. Wir müssen sie aktiv vorantreiben", sagte er. Dem soll Baerbocks Reise dienen.

Republik Moldau befürchtet Destabilisierung

"Die Menschen in der Region werden uns daran messen, ob wir unseren Worten Taten folgen lassen", sagte Baerbock. Deutschland habe ein fundamentales Interesse an einem politisch stabilen und wirtschaftlich prosperierenden Westbalkan, dessen Staaten sich in Richtung Europa orientieren. "Hierfür werden wir uns einsetzen, in den anstehenden politischen Gesprächen, wie auch mit strategischen Investitionen - vor allem auch in erneuerbare Energien", kündigte sie an. Mit dabei ist Manuel Sarrazin, der das neu geschaffene Amt des Sondergesandten für den Westbalkan bekleidet.

Am Samstag reist die Ministerin dann noch in die Republik Moldau, das ärmste Land Europas und ein Nachbar der Ukraine. Hunderttausende Flüchtlinge haben dort bereits Sicherheit vor dem Krieg gesucht. Baerbock wird dort in Erfahrung bringen, wie Deutschland bei deren Versorgung helfen kann. Zudem fürchtet die Regierung in Chișinău, Moldau könne selbst destabilisiert werden. Russland hat Truppen in der abtrünnigen Region Transnistrien stationiert, die an die Ukraine grenzt, und dort russische Pässe ausgegeben. Schnell könnte das neutrale Land in den Konflikt hineingezogen werden.

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