Wenn das Auswärtige Amt ein Mal im Jahr die Leiterinnen und Leiter seiner Auslandsvertretungen zur Botschafterkonferenz in die Zentrale am Werderschen Markt in Berlin bittet, ist das stets die Gelegenheit für die Spitze des Hauses, den Diplomaten Grundlinien der Außenpolitik der Bundesregierung einzuschärfen. Für Annalena Baerbock gehört etwa die aktive Kommunikation in den jeweiligen Ländern mit zu einer zeitgemäßen Vertretung deutscher Interessen, darauf hat sie ihre Leute vor zwei Jahren eingeschworen. Diesmal nutzte die Grünen-Politikerin ihren Auftritt unter den Kronleuchtern des Weltsaals für eine Rede über Deutschlands Rolle in Europa und der Welt – was ihr auch die Möglichkeit eröffnete, zu einem brennenden innenpolitischen Thema Stellung zu beziehen.
Selbstbewusst, strategisch und partnerschaftlich müsse die deutsche Außenpolitik angelegt sein, mahnte die Ressortchefin. Man dürfe sich „nicht kirre machen lassen von denjenigen, die uns jetzt vorgaukeln, dass der Nationalstaat irgendwas in Europa alleine besser regeln könnte“, sagte sie – und warnte davor, die von der Bundesregierung mit ausgehandelte Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) durch nationale Alleingänge zu gefährden.
Die neuen europäischen Regeln sollen von 2026 an greifen
Am Dienstag treffen sich Vertreter der Bundesregierung und der sie tragenden Ampelparteien mit Abgesandten der Ministerpräsidentenkonferenz und der größten Oppositionsfraktion im Bundestag von CDU und CSU, um weitere Maßnahmen neben dem von der Koalition bereits auf den Weg gebrachten Sicherheitspaket zu beraten. Die Union verlangt vor allem die Zurückweisung von Migranten an den deutschen Grenzen in großem Stil – rechtlich ist diese Forderung höchst umstritten.
Baerbock verwies darauf, dass Russland das Thema Migration „als Teil der hybriden Kriegsführung benutzt“. Die Bundesregierung habe nach jahrelangen Verhandlungen alles dafür gegeben, „dass wir in Europa ein gemeinsames europäisches Asylsystem auf den Weg bringen“. Wenn hybride Kriegsführung innen und außen nicht mehr klar trenne, müsse man gemeinsam als Demokraten die Kraft haben, „uns auch hier nicht spalten zu lassen, sondern das voranzubringen“. Die Ministerin fügte hinzu: „Deswegen ist es mir so wichtig, dass wir das insbesondere als Bundesrepublik Deutschland in diesen Tagen nicht gefährden.“
Noch befindet sich der GEAS-Kompromiss in der Umsetzung, die neuen Regeln sollen von 2026 an greifen. Allerdings verweigern einige Staaten, wie etwa Italien, im Zuge des noch geltenden Dublin-Systems Flüchtlinge zurückzunehmen. Demnach ist jener Staat in der EU dafür zuständig, ein Asylverfahren abzuwickeln, den die Menschen zuerst erreichen. Die meisten Rücknahmeersuchen stellt Deutschland an Kroatien, Italien und Österreich. Zumindest das Innenministerium in Rom gibt zu erkennen, dass es an seiner Haltung nichts ändern wird, bis mit den neuen Regeln auch ein besserer Schutz der EU-Außengrenzen kommen soll.
Die negative Stimmung in Deutschland kratzt auch am Image im Ausland
Zumindest so viel dürften die Botschafterinnen und Botschafter der Ministerin spiegeln: In vielen Ländern sind die Landtagswahlergebnisse aus Thüringen und Sachsen mit Sorge aufgenommen worden. Amerikanische und europäische Unternehmen fragen bei den Auslandsvertretungen nach, was der Siegeszug von AfD und dem Bündnis Sahra Wagenknecht zu bedeuten habe, überdenken Investitionsentscheidungen. Aber auch die Krise beim Autohersteller Volkswagen als Symptom einer breiteren Krise weckt Zweifel, etwa in den Staaten, in denen die Bundesregierung um Fachkräfte wirbt, die nach Deutschland einwandern sollen. Die negative Stimmung in Deutschland kratzt auch am Image der Bundesrepublik im Ausland.
Die Außenministerin zieht diesmal eher das große Bild auf von einem Deutschland, das in der EU zu groß ist, um nicht Verantwortung zu übernehmen, aber doch angewiesen ist auf seine Partner. Sie plädiert für Mehrheitsentscheidung in Brüssel auch in der Außenpolitik und bekräftigt die Politik der Bundesregierung, die Länder des westlichen Balkan in die EU aufzunehmen, eine geopolitische Notwendigkeit angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine.
Bei der Unterstützung Kiews wird Deutschland ohne Partner kaum erfolgreich sein, ebenso beim Versuch, im Nahen Osten auf eine dauerhafte Friedenslösung hinzuarbeiten. Dafür dürften die Wahlen in zwei Monaten in den USA nicht unbedeutend sein. So oder so, alte vermeintliche Gewissheiten würden nicht wiederkommen, sagt Baerbock, etwa dass man lange geglaubt habe, dass Deutschlands Sicherheit gewährleistet sei.
Im weltweiten Ringen um Narrative und Einfluss müsse Deutschland zusammen mit seinen Partnern beweisen, dass die westlichen Demokratien das bessere Angebot machten als Autokraten – so ähnlich hatte das Indiens Außenminister Subrahmanyam Jaishankar einmal formuliert. Kein Wunder, dass Baerbock ihn in diesem Jahr als Ehrengast eingeladen hat.