Süddeutsche Zeitung

Grüne Spitzenkandidatin:Plagiatsjäger erhebt Vorwürfe gegen Baerbock

Die Grünen-Kanzlerkandidatin soll für ihr Buch abgeschrieben haben. Die Partei wehrt sich.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Erst kämpfte sie wochenlang mit Kritik, ihren Lebenslauf aufgehübscht zu haben. Nun muss sich die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock auch noch gegen den Vorwurf zur Wehr setzen, sie habe für ihr kürzlich erschienenes Buch "Jetzt. Wie wir unser Land erneuern" mehrere Passagen aus dem Internet abgeschrieben. Ein österreichischer Plagiatsjäger hatte diese Vorwürfe am Dienstag erhoben und behauptet, die grüne Spitzenkandidatin habe das Urheberrecht verletzt.

Die Grünen, die sich nach wochenlanger Glaubwürdigkeitsdebatte keine neuerlichen Verfehlungen nachsagen lassen wollen, schossen am Dienstag scharf zurück. "Das ist der Versuch von Rufmord. Wir weisen den Vorwurf einer Urheberrechtsverletzung entschieden zurück", erklärte ein Sprecher der Partei. Der Blogger habe bereits früher "falsche Behauptungen" zu Baerbocks Studienabschluss verbreitet. Er versuche nun erneut, "bösartig ihren Ruf zu beschädigen". Der von den Grünen eingeschaltete Medienanwalt Christian Schertz bekräftigte, er könne "nicht im Ansatz eine Urheberrechtsverletzung erkennen".

Die Textpassagen, über die da gestritten wird und über die zuerst der Focus berichtete, wurden auf der Internetplattform "plagiatsgutachten.com" veröffentlicht. Der österreichische Plagiatsjäger und Medienwissenschaftler Stefan Weber, der schon in etlichen Beiträgen Baerbocks Seriosität angegriffen hatte, beanstandet rund ein Dutzend Stellen in ihrem Buch. So habe Baerbock etwa darauf verwiesen, dass das US-Verteidigungsministerium den Klimawandel als Bedrohung für die nationale Sicherheit ausgemacht habe. In ihrem Buch heißt es dazu: "Die Betrachtung des Klimawandels als 'Bedrohungsmultiplikator', der Rohstoff- und Gesellschaftskonflikte verschärfen kann, ist seither zu einem Eckpfeiler in der Strategie des Pentagon geworden."

Die Ausführungen stammten jedoch nicht von Annalena Baerbock, so der Blogger Stefan Weber, sondern vom amerikanischen Politikwissenschaftler Michael T. Klare. Er verfasste sie im Jahr 2019 unter dem Titel "Kriegstreiber Klimawandel" im Magazin Internationale Politik. Als Beleg stellt Weber einen identischen Satz ins Netz, der von Klare stammen soll. In der Grünen-Zentrale hieß es am Dienstag dazu, es handle sich bei Baerbocks Buch nicht um eine Doktorarbeit, sondern um ein politisches Buch. Deshalb habe sie auf Fußnoten und Quellenangaben verzichtet, am Ende des Werkes aber in einer Danksagung betont, es seien auch Ideen von anderen in das Buch eingeflossen.

"Nicht aus jedem Furz einen Knall machen"

Auf der Website plagiatsgutachten.com finden sich noch weitere Passagen, die wörtlich aus dem Internet abgeschrieben worden sein sollen. Der Satz "Der Klimawandel wirkt sich auf die gesamte Wertschöpfungskette von Unternehmen aus (...)" etwa soll aus dem Blog "Klimawandel - Challenge Accepted" stammen. Fakten über die Ost-Erweiterung der EU und eine Auflistung der 2004 beigetretenen Länder seien bei der Bundeszentrale für politische Bildung kopiert und unverändert übernommen worden. Aus einem Artikel des Spiegel soll eine Passage über Holzhochhäuser wortgleich übernommen worden sein. Eine Textstelle über einen Zyklon soll aus dem Tagesspiegel stammen, eine andere von Wikipedia oder aus dem Grünen-Wahlprogramm.

Medienanwalt Schertz hielt am Dienstag dagegen. Bei den strittigen Passagen aus Baerbocks Buch handle es sich um die Wiedergabe "allgemein bekannter Fakten sowie politischer Ansichten". Der Vorwurf der Urheberrechtsverletzung entbehre jeglicher Grundlage. Ebenso wie Nachrichten nicht urheberrechtsschutzfähig seien, gelte dies auch für historische Tatsachen oder allgemein bekannte Erkenntnisse im Zusammenhang mit Ökologie und Umwelt. Diese seien sogenannte public domain. "Es ist offenbar erneut der Versuch einer Kampagne zum Nachteil von Frau Baerbock." Der CDU-Europaabgeordnete Dennis Radtke nannte die Vorwürfe auf Twitter "grotesk", man müssen "nicht aus jedem Furz einen Knall machen". Andere kritisierten in sozialen Netzwerken hingegen mangelnde Sorgfalt und fehlende Quellennachweise.

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