Süddeutsche Zeitung

Baerbock in Äthiopien:Eine gemeinsame Reise festigt die Freundschaft

Annalena Baerbock und ihre französische Amtskollegin bieten Äthiopien europäische Hilfe auf dem Weg zum Frieden an. Und nutzen den Besuch auch in eigener Sache.

Von Paul-Anton Krüger, Addis Abeba

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und ihre französische Kollegin Catherine Colonna sind durchaus willkommen in Äthiopien. Am Donnerstag empfängt sie in Addis Abeba zunächst Präsidentin Sahle-Work Zewde, dann treffen sie Premier Abiy Ahmed zum Gespräch, am Nachmittag noch den Außen- und den Justizminister. Es sei Colonna und ihr wichtig, dass Europa nach dem Waffenstillstand im Krieg um die im Norden gelegene Provinz Tigray "schnell Gesicht zeigt in Äthiopien und eine enge Partnerschaft anbietet", sagt Baerbock.

Zugleich ist die Mission der beiden Ministerinnen nach einigen Verstimmungen zwischen Paris und Berlin und kurz vor den Feiern zum 60-jährigen Bestehen des Élysée-Vertrages ein Signal für die deutsch-französische Zusammenarbeit zu setzen. Baerbock hatte schon mit Colonnas Vorgänger Jean-Yves Le Drian, mit dem sie ein freundschaftliches Verhältnis verband, eine gemeinsame Reise in die Ukraine geplant. Wegen Terminproblemen scheiterte das. Colonna und sie wollen nach ihrem Treffen im Dezember in Paris nun demonstrieren, dass die beiden führenden Länder in der EU auch bei der Krisenbewältigung an einem Strang ziehen.

Die humanitäre Lage in Äthiopien sei "noch nie so kritisch" gewesen, warnt die Welthungerhilfe

In einer Lagerhalle in Adama, einer Stadt eineinhalb Autostunden von Addis Abeba, werden die überlappenden Krisen greifbar, die Äthiopien strangulieren: Dürren und Klimaerwärmung, der Krieg in Tigray, der russische Überfall auf die Ukraine. Das Welternährungsprogramm (WFP) lagert hier Zehntausende Tonnen Getreide und Lebensmittel. Sechs Meter hoch stapeln sich weiße Säcke mit der blau-gelben Flagge der Ukraine. Weizen, der mit Hilfe der EU exportiert wurde, Frankreich und Deutschland haben den Transport finanziert. Aus der Ukraine kam lange ein guter Teil des Getreides, der kommerziell oder im Zuge von Hilfsaktionen nach Afrika geliefert wird.

An der Wand hängt eine Karte von Äthiopien. Der Osten ist in verschiedenen Blautönen gefärbt. Je dunkler das Blau, desto schwerer ist die Dürre dort. Die Westhälfte, in der auch Tigray liegt, ist weiß. Hier hat es zwar in manchen Regionen genug geregnet, doch der Krieg in Tigray hat die Ernte verhindert. 22 Millionen Menschen sind heute von Nahrungsmittelhilfe abhängig, vor dem Ausbruch des Konflikts waren es 7,8 Millionen. Die humanitäre Lage in Äthiopien sei "noch nie so kritisch" gewesen, warnt die Welthungerhilfe. Die Devisenreserven des Landes sind im Jahr 2022 auf 1,5 Milliarden Dollar abgeschmolzen, die Wirtschaft laviert am Rande des Zusammenbruchs.

Internationale Vermittlung in dem Konflikt zwischen den Volksgruppen lehnte die Regierung weitgehend ab. Letztlich waren es Druck der USA und Bemühungen der Afrikanischen Union, die zu Verhandlungen und der Waffenruhe führten. Jetzt befindet sich das Land in einer entscheidenden Phase: Unsicher ist noch, ob die Waffenruhe hält, ob das Nachbarland Eritrea seine Truppen abzieht, die an der Seite der Regierung gekämpft haben. Die Rebellen in Tigray, deren Volksgruppe lange das Land kontrollierte, haben begonnen, ihre Waffen abzugeben. Ob das zu einem nachhaltigen Friedensprozess führt, kann niemand sagen.

"Ohne Gerechtigkeit kann es keinen Frieden geben"

Die wichtigste Botschaft sei denn auch eine politische, sagt Colonna: das Signal, dass Frankreich und Deutschland, dass die EU "das Friedensabkommen und dessen Umsetzung unterstützen wollen". Sie lobt vielversprechende Ansätze: Der humanitäre Zugang nach Tigray habe sich verbessert, der Staat die Versorgung wieder aufgenommen, die regionale Hauptstadt Mekele werde wieder von der staatlichen Fluggesellschaft Ethiopian Airlines angeflogen.

Europa war lange der wichtigste Geber in der Entwicklungszusammenarbeit für Äthiopien, das mit 120 Millionen Einwohnern das zweitgrößte Land Afrikas ist und als strategisch bedeutend gilt für die Stabilität der gesamten Region am Horn von Afrika. Aber mit Ausbruch des Krieges zwischen der Regierung von Abiy Ahmed und den Aufständischen aus Tigray im November 2020, in dem Hunderttausende Menschen getötet wurden, schränkte Brüssel die Unterstützung stark ein. Davor hatte diese sich auf etwa eine Milliarde Euro pro Jahr summiert.

Diese Hilfe hätte die Regierung gerne wieder. Man erwarte konstruktive Unterstützung und umfassende Hilfe, um die Situation im Land zu bewältigen, sagt Außenminister Demeke Mekonnen. Es geht auch um die Unterstützung der Europäer für neue Kredite beim Internationalen Währungsfonds. Mit 13,7 Milliarden ist Äthiopien bei China verschuldet, das Bahnlinien und Autobahnen gebaut hat, auch jene, über die Baerbock und Colonna mit ihrer Kolonne nach Adama rollen. Der chinesische Außenminister Qin Gang war gerade in Addis Abeba. Afrika solle keine Arena für den politischen Wettbewerb der Systeme sein, sagte er - ganz als ob Peking nicht seit Jahren versuchte, Länder in Afrika an sich zu binden und abhängig zu machen.

Baerbock stellt in Aussicht, dass Fortschritte im Friedensprozess die Chance böten, "bei unserer wirtschaftlichen Zusammenarbeit Schritt für Schritt wieder dort anzuknüpfen, wo wir vor dem Konflikt schon einmal waren: bei Investitionen in die Zukunft des Landes, statt Hilfen zum Überleben". Das sei ebenso im europäischen Interesse wie in dem Äthiopiens. Chinesische Kredite abzulösen allerdings, dazu sind die Europäer nicht bereit.

Wichtigste Botschaft in allen Gesprächen aber ist, dass es Gerechtigkeit geben muss für die Opfer und eine Aufarbeitung der Kriegsverbrechen, die allen Konfliktparteien angelastet werden, darunter der Einsatz von sexueller Gewalt und Vergewaltigung als Kriegswaffe. Die Präsidentin, eine frühere Diplomatin, zeigt sich offen dafür. Wie auch der Premier macht sie aber klar, dass die Äthiopier selber diesen Prozess in der Hand halten wollen. Der Außenminister versichert noch einmal, dass die Regierung entschlossen sei, den Friedensplan umzusetzen und den UN-Hochkommissar für Menschenrechte gebeten habe, Beobachter zu entsenden.

"Ohne Gerechtigkeit kann es keinen Frieden geben", mahnt Colonna. Man ermutige Premier Abiy Ahmed, die Aufarbeitung voranzutreiben. Und Baerbock, die sonst schon mal zu längeren Ausführungen neigt, fügt nur hinzu, das Gute daran, wenn man zusammen als Außenministerinnen reise und sich so gut verstehe, sei, dass man nicht alles wiederholen müsse, was die andere gerade gesagt habe.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5731273
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/pamu
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.