Baden-Württemberg:Wo die CDU schon seit zehn Jahren auf den Aufbruch wartet

Sondierungsgespräche nach Wahl in Baden-Württemberg

Hoffnungsträger von heute und von gestern: der neue Fraktionsvorsitzende der Südwest-CDU, Manuel Hagel (li.), und Landesparteichef Thomas Strobl.

(Foto: Sebastian Gollnow/picture alliance/dpa)

In Baden-Württemberg waren die Konservativen einst abonniert auf die Macht, nun reihen sie Niederlage an Niederlage. Immerhin: Es gibt einen Hoffnungsschimmer.

Von Roman Deininger

Die Durchquerung des CDU-Trakts im Stuttgarter Haus der Abgeordneten hat auch schon mal länger gedauert. Noch nach der Landtagswahl 2011, bei der Winfried Kretschmann zum ersten grünen Ministerpräsidenten der Republik aufstieg, zog sich der Spaziergang; die Christdemokraten hatten immerhin die Direktmandate in 60 der 70 baden-württembergischen Wahlkreise gewonnen. Der Verlust der Regierungsmacht nach mehr als einem halben Jahrhundert galt in der Südwest-CDU damals als eine Art Unfall, der mehr mit Fukushima zu tun hatte als mit Furtwangen: Die Wähler würden ihren Fehltritt alsbald voll Reue und Scham korrigieren. Im folgenden Jahrzehnt blieb diese selige Hoffnung aufs Bitterste unerfüllt. Bei der Landtagswahl in diesem März konnte sich die selbsternannte "Baden-Württemberg-Partei" in gerade noch zwölf Wahlkreisen behaupten. Das einst schwarze Land ist grün geworden.

42 Parlamentarier sind der CDU insgesamt geblieben, und obwohl diese Kretschmanns Regierung angehört, riecht es im dritten Stock des Hauses der Abgeordneten nicht mehr nach Macht. Folgt man der Interpretationshilfe des neuen Fraktionsvorsitzenden Manuel Hagel, riecht es nach Aufbruch. Aber wie viel Schwung kann so ein Aufbruch haben, wenn eine Partei nach 24,8 Prozent bei der Bundestagswahl in der neuesten Landesumfrage nur noch bei erschütternden 17 Prozent liegt? Man kann Hagel zumindest nicht vorwerfen, dass ihn die Größe der Aufgabe kleinlaut machen würde. Einerseits führen Spötter gern seine Erstkarriere als Filialleiter der Sparkasse Ehingen als Beleg für fehlende Strahlkraft an; anderseits zitiert er Homer und Fontane in einer Frequenz, die Winfried Kretschmann mit den Ohren schlackern ließe.

Beim Gespräch in einem ratzeputz schmuckbefreiten Konferenzraum legt er erst mal das Sakko ab. Die CDU, sagt er, müsse "Zukunfts- und Innovationspartei" werden. "Enkelgerechte Politik machen", das sei sein Maßstab. Zugleich kümmere seine Fraktion sich um "die Lebenswirklichkeit der Menschen, um die Brot-und-Butter-Themen", Glasfaser und 5G flächendeckend, erschwingliche Bauplätze. Zwischen den Zeilen könnte man bei Hagel beinahe heraushören, dass er Brot und Butter nicht für die natürliche Domäne des grünen Bündnispartners hält. "Wir wollen keine Konfliktkoalition", sagt er. "Es gibt aber auch keine Unterwerfung."

Traditionalisten gegen Modernisierer, dieser Streit lähmt die Partei bis heute

Der richtige Umgang mit den grünen Usurpatoren ist eine Kernfrage schwarzer Strategiedebatten, schließlich muss man noch einige Jahre partnerschaftlich mit den Grünen regieren, bevor man sie bei der Landtagswahl 2026 endlich wieder aus der Villa Reitzenstein, dem Amtssitz des Ministerpräsidenten, vertreiben kann. Die Zuversicht, dass das gelingen könnte, speist sich fast ausschließlich aus der Tatsache, dass der grüne Spitzenkandidat dann nicht mehr Winfried Kretschmann heißen wird.

Welchem schwarzen Bannerträger die Ehre zufallen wird, 2026 das Land zurück zu seiner ehedem göttlichen Ordnung zu führen, ist natürlich noch ungeklärt, aber Manuel Hagel dürfte in den einschlägigen Fantasien vieler seiner Parteifreunde eine tragende Rolle spielen. Ein Mann der Zukunft ist der 33-jährige Familienvater schon rein altersmäßig, doch in der CDU gibt es auch Stimmen, die mahnen, man dürfe Verjüngung nicht mit Erneuerung verwechseln. Genau wie sein Spezi Jens Spahn ist Hagel erst mal als konservativer Provokateur aufgefallen, bevor er sein Zelt in der staatstragenden Mitte aufschlug.

Erneuerung, sagt Hagel, das heiße für ihn "eine moderne Definition der liberal-konservativen Haltung zu finden, die die CDU schon immer ausgezeichnet hat". Das spezifische Problem der Südwest-CDU ist allerdings seit etwa zwei Jahrzehnten, dass eben die einen eine liberale Haltung haben und die anderen eine konservative. Oettinger-Freunde gegen Teufel-Schüler, Traditionalisten gegen Modernisierer, das ist der Streit, der die Partei bis heute lähmt. In den vergangenen Jahren war die Landtagsfraktion das Epizentrum der Reaktion, das die Zusammenarbeit mit den Grünen nur unter Schmerzen duldete, während die Regierungsmannschaft um Parteichef und Vizeministerpräsident Thomas Strobl fast Söder-gleich für Bäume und Bienen entflammte.

Strobls größtes Kapital ist das Vertrauen Kretschmanns; seine Fürsprecher finden, mit der erneuten Regierungsbeteiligung habe er im Frühjahr die CDU eigenhändig vor dem totalen Absturz gerettet. Seine Gegner sagen, gerettet habe er allenfalls seinen Dienstwagen. Auf jeden Fall ist der Landesvorsitzende Strobl seit 2011 so etwas wie der Kehrwochenbeauftragte seiner Partei. Nach drei Landtagswahlen fegte er die Scherben der Niederlagen zusammen, welche die Spitzenkandidaten Stefan Mappus, Guido Wolf und Susanne Eisenmann erlitten hatten. 2016 und 2021 wäre er gern selbst angetreten, was ihm seine Partei mit einem sehr kühlen Verständnis von Dankbarkeit verweigerte. Vor dem Landesparteitag der CDU am Samstag in Mannheim stellten manche in der CDU nun sogar die Frage, ob Strobl nicht auch den Besen des Parteichefs abgeben sollte. Der Mann habe ja nicht mal seinen eigenen Wahlkreis in Heilbronn gewinnen können.

Dass Strobl die CDU 2026 in den Wahlkampf führen wird, gilt als ausgeschlossen

Einige bange Wochen lang zögerte Strobl mit der Ankündigung, in Mannheim für weitere zwei Jahre anzutreten. Erst am Dienstag bestätigte er seine Kandidatur - nachdem alle ernsthaften Konkurrenten ihren Verzicht signalisiert hatten. Unter anderem waren die Bundestagsabgeordneten Thorsten Frei und Andreas Jung gehandelt worden, die zuletzt an Profil zugelegt hatten; der Klimapolitiker Jung zählt zu jenen Mitgliedern von Armin Laschets "Zukunftsteam", die tatsächlich eine politische Zukunft haben könnten. Frei und Jung wird kontrollierter Ehrgeiz nachgesagt und eine Loyalität zu Strobl, die auch Manuel Hagel für sich in Anspruch nimmt. "Thomas Strobl hat mich in das Amt des Generalsekretärs gebracht", sagt er. "Für mich gehört dazu, dass ich ihn dann auch unterstütze."

Dennoch dürften bei allen Akteuren gewisse Nützlichkeitserwägungen eingeflossen sein. Für Hagel käme die ganze Macht wohl zu früh. Er kann warten, denn es gilt als ausgeschlossen, dass der heute 61-jährige Strobl die CDU 2026 in den Wahlkampf führen wird. Zumal Strobl am Dienstag mitteilte, nach zehn Jahren nicht mehr für den stellvertretenden Bundesvorsitz der CDU zu kandidieren - er wolle so seinen Beitrag zur "personellen Erneuerung" leisten. Dem Vernehmen nach ist Strobl erst unter größtem Druck zu dieser Einsicht gelangt; Favorit auf seine Nachfolge in Berlin ist jetzt Andreas Jung.

Die Ära des unverwüstlichen Thomas Strobl geht langsam, aber sicher zu Ende. Bricht die Ära des Manuel Hagel an? Seine Fraktion sei jünger und weiblicher geworden, sagt der passionierte Jäger Hagel, er habe da "eine gute Mischung aus alten Hasen und jungen Füchsen". Viele der neuen Abgeordneten hätten aktiv "keinen Ministerpräsidenten von der CDU erlebt", er selbst ja auch nicht, das ändere den Blick. Hagel klingt, als wolle er die Südwest-CDU ernsthaft von ihrer verhängnisvollen Sehnsucht nach der guten alten Zeit befreien. Das jedoch hat Strobl auch schon versucht.

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