Baden-Württemberg:Vor welchen Herausforderungen der grüne Triumphator steht

Landtagswahl Baden-Württemberg

Glaubte, dass seine Wähler gegen Rechtspopulisten "resistent" sind: Winfried Kretschmann.

(Foto: Marijan Murat/dpa)

Selbst Kretschmanns Partei verliert Zehntausende Stimmen an die AfD. Und die Koalitionsverhandlungen könnten sogar hartgesottenen Super-Realos Tränen in die Augen treiben.

Von Josef Kelnberger und Max Hägler

Gegen halb elf am Sonntagabend betrat Winfried Kretschmann noch einmal die Bühne auf der Grünen-Party in der Stuttgarter Staatsgalerie. Wieder brandete Jubel auf, wie schon zuvor bei Bekanntwerden des historischen Sieges über die CDU. Nun hatte das vorläufige amtliche Endergebnis die Runde gemacht. Es kündete von einem Erdrutsch. In 46 der 70 Wahlkreise hatten Grüne das Direktmandat gewonnen, darunter Dorothea Wehinger, 63. Sie ist die Schwägerin des Ministerpräsidenten. Man müsse nun nicht fürchten, die Grünen würden zur Kretschmann-Dynastie, sagte Kretschmann.

Es hätte ein Abend der ungetrübten Freude werden können, und doch feierten Kretschmann und seine Grünen in einem Grundton der Melancholie. Der Ministerpräsident hat in der SPD seinen natürlichen Partner verloren. Er wird, um an der Macht bleiben zu können, in Koalitionsverhandlungen mit CDU oder FDP Zugeständnisse machen müssen, die selbst sehr hartgesottenen Super-Realos Tränen in die Augen treiben werden. Was Kretschmann aber noch mehr schmerzte, war diese Zahl: 67 000 ehemals grüne Wähler waren, wie Demoskopen herausfanden, zur AfD abgewandert. "Das hätte ich mir nicht vorstellen können", sagte Kretschmann. "Bisher sind wir davon ausgegangen, dass unsere Wählerschaft da resistent ist."

Direktmandate für die Rechtspopulisten in Mannheim und Pforzheim

So sendet das boomende, saturierte, für seine Integrationsleistung bekannte Baden-Württemberg zwiespältige Signale in die Republik. Einerseits als erstes Bundesland mit den Grünen als stärkster Kraft. Andererseits als Hochburg des Rechtspopulismus. Die AfD holte 15 Prozent der Stimmen und gewann sogar zwei Direktmandate in Pforzheim und Mannheim. Nicht nur im Osten, sondern auch im reichen Südwesten Deutschlands gibt es also die Angst vor Überfremdung und dem Verlust von Besitzständen.

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Pforzheim ist eine Stadt, die stark geprägt wurde von russischen Zuwanderern, einer oft sehr konservativen Klientel, und von industriellen Umbrüchen. Einst "Goldstadt" genannt, ist von ihrem Uhren- und Schmuckhandwerk nicht mehr viel übrig. Nun ist es die Stadt in Baden-Württemberg mit dem höchsten Anteil an Arbeitslosen - und einem schon länger andauernden Hang zu rechten Parteien: 1992, in der Zeit der Molotow-Angriffe auf Asylbewerberheime, kamen die Republikaner hier auf 18,5 Prozent.

Auch Mannheim ist im Wandel: Immer mehr Industriearbeitsplätze in der Hafenstadt verschwinden, die amerikansiche Armee hat riesige Kasernen aufgegeben, zugleich gibt es Stadtteile, die beinahe rein türkisch geprägt sind. Vordergründig schien das die Bürger nicht zu sehr zu interessieren: Nur 29 Prozent stimmten jüngst bei der Oberbürgermeisterwahl mit. Womöglich aber hat die AfD einen Teil dieser Nichtwähler nun mobilisiert, zumal diejenigen, die sich an der großen Landeserstaufnahmestelle für Flüchtlinge in der Stadt stören, die seit wenigen Monaten Migranten beherbergt.

Als sehr nützlich erwies sich für die AfD der Spitzenkandidat Jörg Meuthen, ein Wirtschaftsprofessor. Er bildet die Fassade einer Partei, in der künftige Landtagsabgeordnete die Grünen des "schleichenden Genozids am deutschen Volk" bezichtigen oder den Koran mit Hitlers "Mein Kampf" gleichsetzen. Auch die Art und Weise, wie CDU und FDP den Wahlkampf gegen Grüne und SPD ideologisch aufheizten, kam der AfD zupass. In der SWR-Elefantenrunde debattierte man hitzig darüber, wer die Schuld trägt an der mangelnden Ausstattung der Polizei. Solch inszenierter, ritualisierter Streit ist leicht zu enttarnen. Meuthen konnte gelassen darauf verweisen, dass sämtliche Parteien in den vergangenen Jahren Stellen abgebaut hatten.

Viele wünschen sich Grün-Schwarz - doch erst wird sondiert

Am meisten litt unter dem Aufschwung der AfD die CDU. Ihr Spitzenkandidat Guido Wolf hat in Fragen der Flüchtlingskrise immer wieder versucht, sich vorsichtig von der Kanzlerin zu distanzieren. Mit diesem unentschlossenen Kurs konnte er Wähler vom rechten Rand nicht an die Union binden; zugleich aber schreckte er Merkel-Sympathisanten ab. Die wanderten in großer Zahl zu den Grünen ab.

Und jetzt? Guido Wolf und FDP-Spitzenkandidat Hans-Ulrich Rülke wollten ein Dreierbündnis mit der SPD schmieden. Sie argumentierten, auch nach der Wahl 2011 sei die stärkste Partei bei der Regierungsbildung übergangen worden, die CDU. Allerdings traten damals Grüne und SPD als Partner vor die Wähler; davon könnte bei einer "Deutschland-Koalition" keine Rede sein. Die Botschaft, die von der Wahl jetzt ausgeht, ist offensichtlich: Sie ist ein Votum für den grünen Ministerpräsidenten. Ein Bündnis gegen ihn liefe Gefahr, als Kretschmann-Verhinderungskartell aus purem Machtkalkül zu gelten, das nur die Grünen kleinkriegen soll.

Die Option hat sich ohnehin zerschlagen: Am Montagabend stimmte der SPD-Landesvorstand gegen ein schwarz-rot-gelbes Bündnis. Der Wirtschaft kommt das entgegen: Vor fünf Jahren wurde noch geunkt, die grün geführte Regierung werde das Land in den Ruin führen. Nun fordern hochrangige Wirtschaftsvertreter eine neue Koalition unter Führung Kretschmanns. Am Montag meldete sich Stefan Wolf, Vorsitzender des Arbeitgeberverbands Südwestmetall, mit einem Plädoyer für Grün-Schwarz zu Wort.

Irritationen über die FDP

Auch die Arbeitgeber und der Landesverband der Baden-Württembergischen Industrie (LVI) zielen mit ihrer Forderung nach einer "stabilen und verlässlichen Regierung" auf so ein Bündnis. Sie teilten zudem mit: "Für einen Ausschluss von Koalitionen aufgrund parteipolitischer oder gar persönlicher Erwägungen haben die Wähler und auch die Unternehmen im Land kein Verständnis." Die Kritik richtet sich nicht zuletzt an die FDP, deren Kurs selbst ihr wohlgesonnene Unternehmer nicht verstehen.

Die Freien Demokraten hatten vor der Wahl "Prüfsteine" formuliert und anhand der Antworten eine Zusammenarbeit mit den Grünen für "nicht vorstellbar" erklärt. Allerdings richteten sich die Prüfsteine vor allem gegen Projekte der SPD, etwa das Bildungszeitgesetz. Der Landesvorsitzende Michael Theurer will nun zumindest mit Grünen und SPD sondieren. Spitzenkandidat Rülke dagegen blieb auch am Sonntag bei seiner Aussage: Für eine Ampel sei er nicht zu haben. Der Bundeschef Christian Lindner bestärkt ihn darin.

Winfried Kretschmann kündigte an, die Sondierungsgespräche am Mittwoch zu beginnen, zunächst mit SPD und FDP, dann mit der CDU. Welcher Konstellation er mehr Chancen einräumt, wollte er nicht sagen. Der natürliche Partner fehlt. CDU-Spitzenkandidat Wolf erklärte sich zumindest bereit, mit den Grünen zu reden.

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