Baden-Württemberg:Stuttgarter Landtag hätte Nein zum AfD-Kandidaten sagen können

Sondersitzung Landtag Baden-Württemberg

Für die AfD sitzen 17 Abgeordnete im Stuttgarter Landtag. Ihr Kandidat für den Posten im Verfassungsgerichtshof erhielt allerdings 37 Stimmen.

(Foto: Sebastian Gollnow/dpa)

Ein AfD-Mann wird in den Verfassungsgerichtshof gewählt, auch mit den Stimmen anderer Parteien. Weil das Gesetz es vorschreibt? Keineswegs.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Richterwahlen gehen häufig diskret vor sich, aber dieses Mal war es anders. Nicht weil es um einen wichtigen Posten gegangen wäre. Die Position, die Bert Matthias Gärtner im baden-württembergischen Verfassungsgerichtshof errungen hat, ist die eines stellvertretenden Laienrichters - Ersatzbank also. Und selbst wenn er doch einmal mitentscheiden dürfte, müsste er erst einmal die Mehrheit in dem neunköpfigen Gericht auf seine Seite ziehen.

Die Aufregung entzündet sich vielmehr an dem Ergebnis, das der AfD-Mann Gärtner im Stuttgarter Landtag erzielte. Gewählt wurde er mit 37 Ja-Stimmen bei 77 Enthaltungen und 32 Nein-Stimmen. Das heißt erstens, dass er - bei 17 AfD-Abgeordneten im Landtag - mindestens 20 Ja-Stimmen aus anderen Fraktionen erhalten hat. Und zweitens, dass es für Gärtner nicht gereicht hätte, wenn nur fünf Abgeordnete ihm die Zustimmung verweigert hätten, statt sich zu enthalten.

Die Frage, die nun über dem seltsamen Wahlakt schwebt, lautet: Ging es nicht anders? Waren den Fraktionen die Hände gebunden, weil sich in der Besetzung des Verfassungsgerichtshofs nun mal die parlamentarischen Mehrheiten abbilden müssen? Der Landtag hat schon 2016 und erneut 2018 zwei Laienrichterinnen auf AfD-Vorschlag ans Gericht gewählt. Sind also die Wähler schuld, weil sie halt AfD gewählt haben? So sah es jedenfalls Hans-Ulrich Sckerl, parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen. "Denen steht formal das zu, was das Wahlergebnis hergibt." Nach heftiger Kritik aus den eigenen Reihen hat er angekündigt, den Umgang mit Wahlvorschlägen der AfD im Landtag noch einmal zu besprechen.

Die Idee, im Verfassungsgerichtshof müsse sich der Landtag spiegeln, stammt aus Paragraf 17a der Geschäftsordnung des Landtags. Dort heißt es: "Soweit nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt oder unter den Fraktionen vereinbart ist, werden bei der Besetzung sonstiger Gremien des Landtags sowie außerparlamentarischer Gremien die Fraktionen nach ihrer Mitgliederzahl beteiligt." Volker Haug, Professor an der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen in Ludwigsburg und Herausgeber eines Kommentars zur Landesverfassung, hält das für ein gravierendes Missverständnis: "Von Verfassungs wegen und von Gesetzes wegen gibt es überhaupt keine Notwendigkeit, so vorzugehen", sagte er der SZ.

Der Schlüsselbegriff in der Vorschrift lautet "außerparlamentarische Gremien". Damit sind nach Haugs Worten Gremien gemeint, die mit Abgeordneten des Landtags bestückt werden. Wie zum Beispiel der Medienrat der Landesanstalt für Kommunikation: Dort sitzen neben den Vertretern gesellschaftlich relevanter Gruppen auch Mitglieder des Landtags - darunter zwei AfD-Abgeordnete. Die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs werden dagegen nicht aus den Reihen des Landtags entsandt, sondern von ihm gewählt. Es geht, anders ausgedrückt, nicht um die in der Vorschrift geregelte Entsendung von Abgeordneten, sondern um die Schaffung des Gerichtshofs durch eine Wahl. Die "Kreationsfunktion" des Landtags, so nennen Juristen das.

Aus Haugs Sicht steht fest: "Der Verfassungsgerichtshof ist kein außerparlamentarisches Gremium, sondern ein Verfassungsorgan." Denn die Verfassung selbst regle seine Befugnisse und Zuständigkeiten. Aus der Geschäftsordnung - die im Übrigen nicht einmal den Rang eines Gesetzes habe - ließen sich daher keine zwingenden Vorgaben zu seiner Zusammensetzung ableiten. Die einzige wirklich verbindliche Regel steht daher in Paragraf 2 des Gesetzes über den Verfassungsgerichtshof. Sie lautet: "Gewählt ist, wer die meisten Stimmen erhält." Das ist eine Einladung zum Neinsagen.

Nun sind Verfassungsrichterwahlen oft auch von ungeschriebenen Regeln bestimmt; Vorschlagsrechte für Richterposten, wie sie etwa auf Bundesebene existieren, sind nirgends verbrieft. Wie solche Regeln aussehen, zumal unter veränderten parlamentarischen Bedingungen, das ist eine politische Entscheidung, keine juristische.

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