Baden-Württemberg: Mappus im Interview:"Diese Bilder waren ganz schrecklich"

Die Atomkatastrophe in Japan hat Baden-Württembergs Ministerpräsidenten Stefan Mappus im Wahlkampf hart getroffen. Wenige Tage vor der Wahl erzählt der CDU-Politiker, wie ihn der GAU persönlich verändert hat, warum er nicht nach Mitleid giert und was er an den Grünen nett findet.

Roman Deininger und Michael König

Stefan Mappus, 44, galt als Hoffnungsträger der CDU, als er 2010 das Amt des baden-württembergischen Ministerpräsidenten übernahm. Der vormalige Umwelt- und Verkehrsminister beerbte den zur EU-Kommission gewechselten Günther Oettinger. Nach eineinhalb Jahren im Amt droht ihm die Abwahl: In Umfragen hat seine schwarz-gelbe Koalition keine Mehrheit mehr. Beim Interview in der Villa Reitzenstein gibt sich der Ministerpräsident dennoch gut gelaunt - und angriffslustig.

Baden-Wuerttemberg's state premier and top candidate for the upcoming state elections, Stefan Mappus looks on before the start of an election campaign meeting in Ludwigsburg

Amtsinhaber unter Druck: Stefan Mappus muss um seine Wiederwahl als Ministerpräsident Baden-Württembergs bangen.

(Foto: REUTERS)

sueddeutsche.de: Herr Mappus, erinnern Sie sich, wann und wo sie von der Atomkatastrophe in Japan erfahren haben?

Stefan Mappus: Im Auto, auf dem Weg zu einer Veranstaltung. Auf meinem iPad lief eine entsprechende Agenturmeldung ein. Später nahm ich an einer Podiumsdiskussion in einem Autohaus teil, da habe ich auf einem Bildschirm die ersten Fernsehbilder aus Japan gesehen.

sueddeutsche.de: Was ging Ihnen in diesem Moment durch den Kopf?

Mappus: Diese Bilder von weggeschwemmten Häusern und Schiffen, das war ganz schrecklich. Und als es dann immer mehr Meldungen zu den Folgen im Kernkraftwerk in Fukushima gab, da war mir schon klar, dass es den Wahlkampf vermutlich verändern wird.

sueddeutsche.de: Hatten Sie Angst?

Mappus: Ich will nicht von Angst sprechen, aber es hat mich sehr nachdenklich gemacht. Ein solches Unglück in einem Hochtechnologieland wie Japan, da ändert sich die Denkweise schon. Und jemand wie ich, der die Laufzeitverlängerung für die Kernkraftwerke in Deutschland mitgetragen hat, empfindet dann schon eine persönliche Verantwortung, auch dafür, wie es mit der Energiepolitik insgesamt in unserem Land weitergeht. Und man fragt sich auch, ob das Vertrauen in die Aussagen von Technikern gerechtfertigt ist.

sueddeutsche.de: Die Opposition hat Ihnen vorgeworfen, das Moratorium der AKW-Laufzeitverlängerung sei ein wahltaktisches Manöver. Nun hat Bundeswirtschaftsminister Brüderle das sogar zugegeben. Wie wollen Sie diesen Eindruck beim Wähler noch entkräften?

Mappus: Da die Bemerkung, die Bundeswirtschaftsminister Brüderle zugeschrieben wird, von diesem selbst bestritten wird, erübrigt sich ein Kommentar.

sueddeutsche.de: Hätte Ihrem Wahlkampf etwas Schlimmeres als Fukushima passieren können?

Mappus: Darüber möchte ich nicht spekulieren. Japan ist das Schlimmste widerfahren, was über ein Land hereinbrechen kann. Das Erdbeben hat ja, auch jenseits der schweren Probleme in Fukushima, für dieses Land schreckliche Folgen. Und zwar auf viele, viele Jahre. Was den Wahlkampf angeht, hatte ich innerhalb eines Jahres so viele problematische Themen auf dem Schreibtisch und dabei manche, die ich gar nicht beeinflussen konnte - das würde für mehrere Legislaturperioden reichen.

sueddeutsche.de: Es war zweifellos ein hartes Jahr. Aber haben Sie es sich durch Ihre Art nicht selbst härter gemacht?

Mappus: Wenn Sie auf Stuttgart 21 anspielen: Was hätte ich anders machen sollen? Auf den Polizeieinsatz am 30. September (bei dem im Stuttgarter Schlossgarten Beamte und S21-Gegner verletzt wurden, die Red.), hatte ich keinen Einfluss, das hat der Untersuchungsausschuss bestätigt. Viele Medien haben mich damals abgeschrieben. Es hieß, der Konflikt sei nicht mehr zu lösen. Ich hätte es mir wahrlich leichter und mich bei diesem Thema vom Acker machen können. Das ist aber nicht mein Ding. Und durch die Schlichtung haben wir die Lage entschärft und die Diskussion wieder auf eine sachliche Ebene gestellt. Wir kamen aus einem tiefen Tal, aber vor dem Unglück in Japan stand die CDU in Umfragen wieder bei 42 Prozent.

sueddeutsche.de: Den Angriff auf Bundesumweltminister Röttgen bereuen Sie nicht? Er hatte sich dafür starkgemacht, die Laufzeit der deutschen AKW um nur acht Jahre zu verlängern. Sie haben daraufhin Röttgens Rücktritt gefordert und gesagt, Kanzlerin Merkel solle ihn "zurückpfeifen".

Mappus: Wissen Sie, man findet immer einen Punkt, an dem man einhaken kann. Ich war damals aus rationalen Gründen, die auch heute noch ihre Gültigkeit haben, von der Laufzeitverlängerung überzeugt. CDU/CSU und FDP hatten sie vor der Wahl angekündigt, hatten sie im Koalitionsvertrag vereinbart. Die Position, das dann auch umzusetzen, habe ich vertreten, durchaus auch glasklar. Allerdings hab ich nie einen Rücktritt gefordert, auch wenn es so ausgelegt worden ist und bis heute immer weiter behauptet wird.

sueddeutsche.de: Porträts von Ihnen in deutschen Medien trugen zuletzt wenig schmeichelhafte Titel. Die Frankfurter Rundschau nannte Sie "Fürst der Finsternis", in der Zeit waren Sie die "nackte Kanone". Fühlen Sie sich als Opfer einer Kampagne?

"Es bringt nichts, nach Mitleid zu gieren"

Mappus: Wenn man in der Politik an vorderster Front steht, muss man das aushalten. Es bringt nichts, zu lamentieren und nach Mitleid zu gieren, wenn es mal nicht so gut läuft. Außerdem müssen die Medien selbst wissen, auf welches Niveau sie sich begeben.

sueddeutsche.de: Ihre Frau hat der Bunten ein Interview gegeben. Darin lobt sie Ihre warme Ausstrahlung und Ihre Fähigkeit, mit Menschen zu sprechen. Warum kommt beim Wähler immer nur das Bild des Raubeins an?

Mappus: Den Ball gebe ich gerne weiter. Wer vermittelt denn dieses Bild? Ich schreibe weder Leitartikel noch Porträts. Die Medien sollten sich mal überlegen, wie sie Menschen beurteilen. Sobald jemand eine klare Linie vertritt, wird behauptet er polarisiere. Und wenn jemand herumeiert wie der SPD-Spitzenkandidat bei Stuttgart 21 oder bei der Frage, ob er wie in NRW mit der Linkspartei zusammen arbeiten würde, dann wird er auf einmal als sanftmütiger Versöhner beschrieben. Wenn das in Zukunft die politische Linie in Deutschland ist, dann wünsche ich uns viel Spaß beim Erreichen von Zielen und beim Umsetzen umstrittener Vorhaben, für die Mut gefordert ist. Gehen Sie davon aus, dass ich mir in diesem Punkt treu bleiben werde.

sueddeutsche.de: Zum Stichwort treu geblieben: Als die Plagiatsvorwürfe gegen den mittlerweile zurückgetretenen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg öffentlich wurden, sagten Sie, man dürfe einen Menschen nicht einfach fallen lassen. Kurz darauf haben Sie den Stuttgarter Oberbürgermeister Wolfgang Schuster brüskiert, als Sie verkündeten, er werde sich nicht wieder zur Wahl stellen. Haben Sie Ihn dadurch nicht fallengelassen?

Mappus: Das ist ein abenteuerlicher Vergleich. Ich stehe dazu, was ich gesagt habe: Ich lasse Menschen nicht eiskalt fallen. Weder bei Karl-Theodor zu Guttenberg, noch in der Folge der Auseinandersetzungen am 30. September im Stuttgarter Schlossgarten, da hätte mancher sicher anders gehandelt. Zum Thema Schuster wäre viel zu sagen, besonders zu dem Abend, an dem das besprochen wurde, aber das verkneife ich mir jetzt.

sueddeutsche.de: Die Opposition greift Sie auch wegen des EnBW-Deals heftig an. Der von Ihnen zurückgekaufte Konzern produziert größtenteils Atomstrom. Droht dem Land nach der Katastrophe in Japan jetzt ein gigantisches Verlustgeschäft?

Mappus: Schauen Sie in den Geschäftsbericht der EnBW, und Sie werden feststellen, dass heute schon 25 Prozent der Erträge aus erneuerbaren Energien stammen. Und dass dieser Anteil in den kommenden drei Jahren auf 50 Prozent steigen soll. Sie werden in Deutschland keinen Konzern finden, der einen solchen Wert vorzuweisen hat. Auch europaweit ist sie führend. Die EnBW baut Windparks auf hoher See, Europas größtes Laufwasserkraftwerk in Rheinfelden. Trotzdem ist immer nur vom Atomkonzern die Rede, wird jetzt einfach behauptet, der Kurs der Aktie ginge in den Keller. Dabei wird an keiner Börse der Welt die Vergangenheit bewertet, sondern die Zukunftsaussichten eines Unternehmens. Weil die gut sind, Energie ein großes Zukunftsthema ist, kann ich das alles nicht nachvollziehen. Ürigens betreibt die EnBW zwei Kernkraftwerke, die auch nach rot-grüner Gesetzgebung noch mindestens zehn Jahre am Netz wären. Was die Opposition macht, ist Wahlkampf pur.

sueddeutsche.de: Sie haben sich zuletzt auffällig positiv über den grünen Spitzenkandidaten Winfried Kretschmann geäußert ...

Mappus: ... warum auch nicht? Ich habe persönlich überhaupt kein Problem mit meinen Mitbewerbern. Deshalb habe ich auch keinen Grund, mich negativ über sie zu äußern. Ich würde mir wünschen, dass man umgekehrt den gleichen Maßstab anlegt, die Beleidigungen durch die Herren Palmer und Özdemir sprechen eine andere Sprache.

sueddeutsche.de: Warum werden dann aus den Reihen der CDU Gerüchte über Kretschmanns Gesundheitszustand laut?

Mappus: Ein Kollege hat solche Spekulationen angestellt. Und Sie können davon ausgehen, dass ich mit ihm Klartext gesprochen habe, ich so etwas weder lesen noch hören will. In der Sache muss auch gestritten werden, aber persönliche Dinge sind tabu.

"Ich kenne nette Grüne"

Stefan Mappus, Angela Merkel

Stefan Mappus mit Kanzlerin Angela Merkel: "Die Menschen müssen entscheiden, ob sie das Erreichte aufs Spiel setzen wollen, denn für Baden-Württemberg geht es um ziemlich viel."

(Foto: AP)

sueddeutsche.de: Jetzt haben Sie die Chance zur Wiedergutmachung: Fällt Ihnen etwas Nettes zu den Grünen ein, jenseits von Herrn Kretschmann?

Mappus: Ja, ich kenne einige Grüne, die nett sind. (lacht)

sueddeutsche.de: Ist nach Ihrer persönlichen Kehrtwende in der Atompolitik eine schwarz-grüne Koalition wahrscheinlicher geworden?

Mappus: Wenn ich lese, was die Grünen alles wollen, dann halte ich das nicht für sehr verantwortungsvoll, sondern offenbar dem Wahlkampf geschuldet: In sechs Jahren aus der Kernkraft raus, das haben die ja nicht mal vertreten, als sie selbst an der Regierung waren. Herr Kretschmann will sogar raus aus Kohle und Gas. Gleichzeitig blockieren die Grünen in Baden-Württemberg erneuerbare Energien, den Bau eines Pumpspeicherkraftwerks. Bei diesem und vielen anderen Themen sind wir meilenweit auseinander. Aber ich bin schon erstaunt, was man den Grünen alles durchgehen lässt.

sueddeutsche.de: Haben Sie die Handynummern von Nils Schmid und Winfried Kretschmann?

Mappus: Von Winfried Kretschmann auf jeden Fall, die hab ich schon des Öfteren benutzt. Bei Nils Schmid weiß ich es im Augenblick nicht, ob ich sie habe.

sueddeutsche.de: Womöglich müssen Sie ihm gratulieren.

Mappus: Wenn Sie den Geburtstag von Nils Schmid meinen, dann besorg ich sie mir rechtzeitig und gratuliere gerne.

sueddeutsche.de: Nach fast 60 Jahren CDU-Herrschaft in Baden-Württemberg könnten Sie der Ministerpräsident sein, der die Macht verliert. Ist das eine schwere Bürde?

Mappus: Ich wusste ja, worauf ich mich einlasse. Es ist eines der schönsten politischen Ämter, die man überhaupt haben kann. Natürlich hätte das vergangene Jahr leichter sein können, aber ich empfinde das nicht als Bürde, sondern als Herausforderung. Und wir werden den Menschen bis zur letzten Minute sagen, dass Baden-Württemberg toll dasteht, wir haben das höchste Wirtschaftswachstum, die niedrigste Arbeitslosigkeit, bei allen Bildungsvergleichen liegen wir immer auf den Top-Plätzen in Deutschland. Wir kämpfen gegen den ungerechten Länderfinanzausgleich und für die Umsetzung des Schlichterspruchs bei Stuttgart 21. Und im Unterschied zu Rot-Grün gibt's mit uns keine Steuererhöhungen. Die Menschen müssen entscheiden, ob sie das Erreichte aufs Spiel setzen wollen, denn für Baden-Württemberg geht es um ziemlich viel.

sueddeutsche.de: Und was machen Sie, wenn es doch schiefgeht am Sonntag?

Mappus: Ich werde nicht verlieren.

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