Baden-Württemberg:So will die grün-schwarze Koalition regieren

Einigung auf grün-schwarzen Koalitionsvertrag im Südwesten

Zeit für Scherze: Am Sonntagabend haben sich Ministerpräsident Kretschmann (rechts) und CDU-Landeschef Strobl auf ihren Koalitionsvertrag geeinigt.

(Foto: dpa)
  • Die künftige grün-schwarze Regierung in Baden-Württemberg stellt ihr Arbeitsprogramm für die kommenden fünf Jahre vor. CDU und Grüne müssen dem Vertrag noch zustimmen.
  • Beiden Parteien fallen je fünf Ministerien zu und vier Staatssekretärsposten.

Am Montagmittag haben die künftigen Regierungspartner in Baden-Württemberg ihr Programm für die kommende Legislaturperiode vorgestellt. Der noch amtierende und wohl bald wiedergewählte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sagte, die neue Regierung wolle nicht nur verwalten, "sondern das schöne Land weiter gestalten und an der Spitze halten in Deutschland und Europa".

Kretschmann und der künftige Vize-Regierungschef Thomas Strobl (CDU) einigten sich am Wochenende auf die Ressortverteilung. Nach "sehr harten, teilweise auch beinharten Verhandlungen", wie Kretschmann sagte. In großer Runde handelten die künftigen Partner den Entwurf für den Koalitionsvertrag aus. "Wir haben uns nicht gesucht, doch wir haben uns gefunden, die Grünen und die Schwarzen", sagt CDU-Landeschef Strobl.

Die bundesweit erste grün-schwarze Koalition hat sich Nachhaltigkeit als zentrales Thema vorgenommen. SPD-Landeschef Nils Schmid bezeichnet das bevorstehende Regierungsbündnis als "Schlafwagen-Koalition auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner". Indes legt Kretschmann ausgesprochenen Wert darauf, dass das Vertragswerk mehr ist als nur das minimale Einvernehmen der beiden Parteien. Hier sind die wesentlichen Inhalte:

Bildung

Zum Leidwesen der CDU haben es die unter der grün-roten Landesregierung 2012 eingeführten Gemeinschaftsschulen in den Koalitionsvertrag geschafft. Neben den 300 bereits bestehenden sollen weitere genehmigt werden dürfen. Manche sollen eine gymnasiale Oberstufe erhalten. Im Gegenzug hat die CDU erreicht, dass die Realschule gestärkt wird. Aus der von der Union im Wahlkampf versprochenen Wahlfreiheit zwischen G8 und G9 an den Gymnasien wird nichts - weiterhin soll das Gymnasium in acht Jahren bis zum Abitur führen.

Grün-Schwarz will einen Kinderbildungspass einführen. Mit monatlich 75 Euro will die Regierung junge Familien unterstützen, die Kinder im Vorschulalter haben.

Haushalt

"Verlässlich, nachhaltig, innovativ" will Grün-Schwarz regieren, das haben die die Parteien auf den Koalitionsvertrag geschrieben. Sie wollen sich an die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse halten und diese auch in der Landesverfassung festschreiben. Die Bremse sieht vor, dass das Land von 2020 an keine neuen Schulden mehr aufnehmen darf. Dafür müsste Baden-Württemberg jährlich mindestens 1,8 Milliarden Euro sparen. Sollte die Zahl der Flüchtlinge wieder steigen und damit auch die Kosten für die Kommunen, liegt das Einsparungsdefizit höher.

Noch-Finanzminister Nils Schmid (SPD) scheidet mit einem Haushaltsdefizit von offiziell 2,3 Milliarden Euro für 2017 aus dem Amt. In den Jahren darauf ist es noch höher. Deshalb wird die künftige Regierung auch weiterhin bei Beamten und Kommunen einsparen.

Mehr Geld für die Polizei, Radschnellwege und lokale Alkoholverbote

Innere Sicherheit

Binnen fünf Jahren will die grün-schwarze Landesregierung 1500 Stellen bei der Polizei schaffen. "Angesichts der Kriminalitätsentwicklung und der Bedrohung durch Terrorismus" sei diese Stärkung der Sicherheitskräfte unumgänglich, sagt der künftige Vize-Regierungschef Strobl. Diese Vertrags-Passage gilt als Trophäe der CDU. 100 Millionen Euro sollen in bessere technische Ausstattung der Polizei investiert werden. Der Vertrag enthält auch bei den Grünen umstrittene Vereinbarungen zur Vorratsdatenspeicherung und Online-Durchsuchungen.

Strobl und Kretschmann wollen die Kommunen stärken. So sollen die lokalen Verwaltungen zum Beispiel die Möglichkeit bekommen, zeitlich und örtlich begrenzte Alkoholverbote auszusprechen. Damit soll verhindert werden, dass eventuelle öffentliche Gelage die Sicherheit von Bürgern, aber auch von Polizisten gefährden.

Verkehr

Der grüne Verkehrsminister Winfried Hermann wird voraussichtlich seine Politik zu großen Teilen unverändert fortführen können. Radschnellwege sollen gebaut werden.

Stuttgart 21

Die Kosten für das umstrittene Bahnprojekt sollen gedeckelt werden. Folgende Formulierung hat Einzug in den Koalitionsvertrag gefunden: "Das Land hält (...) am Ziel fest, dass über die im Vertrag genannten Kostenanteile in Höhe von 930,6 Millionen Euro hinaus von Seiten des Landes keine Zahlungen zu leisten sind." Die CDU hat ursprünglich versucht, diese Passage zu verwässern.

Digitalisierung

325 Millionen Euro will die künftige Regierung in die Digitalisierung des Landes stecken. "Wir gehen einen Riesenschritt voran in ein digitales Baden-Württemberg", sagt Strobl. Die Investitionen in den Breitbandausbau, das mobile Internet und die "Wirtschaft 4.0" seien "zwingend notwendig", sagt Strobl, um Wohlstand und Arbeitsplätze zu erhalten.

Wer wird welches Ministerium leiten?

Nach heftigem Ringen um die Ressortverteilung haben sich Kretschmann und Strobl geeinigt. Grüne und CDU bekommen jeweils fünf Fachressorts und vier Staatssekretärsposten. Die Grünen führen darüber hinaus die Regierungszentrale. Die bisherige Strukturierung der Ministerien wird sich verändern. Das Ministerium für Integration wird aufgelöst und an das Sozialressort angegliedert.

Sitzverteilung Baden Württemberg

SZ-Grafik; Quelle: Landeswahlleiter

In der Auflösung des Ministeriums sieht die scheidende Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) einen Erfolg der CDU. "Es war das erklärte Ziel der CDU, das Integrationsministerium abzuschaffen", sagt Öney am Montag. Sie erinnere sich an die Aussage des CDU-Fraktionsvorsitzenden zu Beginn ihrer Amtszeit. "Er sagte: "Frau Öney, gehen Sie zurück nach Berlin. Wir brauchen sie hier nicht." Das Interesse an diesem Thema habe man deutlicher nicht ausdrücken können, sagt Öney. Nun fällt der Teilbereich Migration in die Zuständigkeit des CDU-geführten Innenministeriums.

Die Grünen werden künftig die Minister stellen für Wissenschaft und Forschung, für Umwelt, Klima und Energie, für Verkehr und Infrastruktur, für Finanzen und für Soziales und Integration. Die CDU leitet das Ministerium für den Ländlichen Raum sowie die Ressorts Inneres (mit Digitalisierung und Migration), Kultus, Wirtschaft (mit Arbeit, Städtebau und Wohnungsbau) und Justiz/Verbraucherschutz. Die Zuständigkeit für Europa fällt dem Kompetenzbereich der CDU zu.

Nach Gerüchten über eine außereheliche Liebesaffäre will der bisherige Minister für den Ländlichen Raum, Alexander Bonde (Grüne), kein Ministeramt mehr. Das Ressort fällt der CDU zu. Kretschmann bedauert den Rückzug des Agrarministers. "Er war die letzten Jahren ein guter Minister", sagt der Regierungschef. "Der Ländliche Raum und der Naturschutz waren in besten Händen." Bonde habe etwas geschafft, dass jede Landesregierung in den 25 Jahren zuvor gescheut habe, durchzusetzen: die Einrichtung des Nationalparks Schwarzwald.

Wer die Ministerien leiten wird, ist noch nicht bekannt. Die Frauen Union (FU) hat sich für eine zwischen Männern und Frauen ausgewogene Besetzung ausgesprochen. "Unsere Forderung lautet, dass entweder drei Ministerposten und zwei Staatssekretärsposten an Frauen gehen oder umgekehrt", sagte die FU-Landeschefin Inge Gräßle. Nach den Worten Gräßles sollten weibliche Mitglieder der Landtagsfraktion im Kabinett unbedingt vertreten sein. Dabei kämen die Verkehrsexpertin Nicole Razavi, die Ex-Agrarstaatssekretärin Friedlinde Gurr-Hirsch oder die Hochschulfachfrau Sabine Kurtz infrage.

Wie es jetzt weitergeht

Auf ihren Parteitagen am Freitag und am Samstag müssen CDU und Grüne dem Vertrag noch zustimmen. Am 12. Mai will der Landtag Kretschmann für weitere fünf Jahre als Ministerpräsidenten wählen.

Bei der Wahl am 13. März wurden die Grünen erstmals überhaupt stärkste Kraft in einem Land. Der massive Stimmenverlust für die SPD machte allerdings eine Regierung mit dem bisherigen Koalitionspartner unmöglich. Die CDU füllt nun die Lücke, die der scheidende rote Juniorpartner hinterlässt.

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